Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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der Krim. Damals war noch sein Bruder Stepan Worchowskoi der Kommandeur des Regiments und zeichnete sich als solcher aus. Ich muß gestehen, ich habe noch viele Jahre nachher Gewissensbisse verspürt: warum, zu welchem Zweck habe ich so schlecht an ihm gehandelt? Wenn ich noch selbst damals verliebt gewesen wäre! Aber so war es einfach ein dummer Streich, um einer Dame ein bißchen die Cour zu machen, weiter nichts. Und hätte ich ihm dieses Bukett nicht weggefischt, wer weiß, der Mensch lebte vielleicht heute noch und wäre glücklich und hätte es zu etwas gebracht, und wäre nie auf den Gedanken gekommen, gegen die Türken zu ziehen.«

      Afanasi Iwanowitsch hörte jetzt mit derselben ruhigen Würde auf zu sprechen, mit der er seine Erzählung begonnen hatte. Man bemerkte, daß, als Afanasi Iwanowitsch schwieg, Nastasja Filippownas Augen in einer ganz besonderen Weise zu funkeln und sogar ihre Lippen zu zittern anfingen. Alle blickten gespannt diese beiden an.

      »Sie haben Ferdyschtschenko geprellt! Nein, wie haben Sie mich geprellt! Das ist zu arg!« rief Ferdyschtschenko weinerlich, da er sich sagte, daß er jetzt eine Bemerkung machen könne und müsse.

      »Warum verstehen Sie Ihre Sache nicht besser? Lernen Sie jetzt von klugen Leuten!« versetzte ihm Darja Alexejewna in triumphierendem Ton. Sie war eine alte, treue Freundin Tozkis und stand immer auf seiner Seite.

      »Sie haben recht, Afanasi Iwanowitsch; dieses Gesellschaftsspiel ist sehr langweilig, und wir müssen es so schnell wie möglich abbrechen«, sagte Nastasja Filippowna wegwerfend. »Ich werde nun noch selbst erzählen, was ich versprochen habe, und dann wollen wir Karten spielen.«

      »Aber vorher noch vor allen Dingen die versprochene Geschichte!« stimmte ihr der General eifrig bei.

      »Fürst«, wandte Nastasja Filippowna sich plötzlich in scharfem Ton an diesen; »meine alten Freunde hier, der General und Afanasi Iwanowitsch, wollen mich immer verheiraten. Sagen Sie mir, wie Sie darüber denken: soll ich mich verheiraten oder nicht? Was Sie sagen, das werde ich tun.«

      Afanasi Iwanowitsch wurde blaß, der General ganz starr; alle rissen die Augen auf und streckten die Köpfe vor. Ganja stand wie angewurzelt auf seinem Platz.

      »Mit ... mit wem?« fragte der Fürst mit fast versagender Stimme.

      »Mit Gawrila Ardalionowitsch Iwolgin«, fuhr Nastasja Filippowna scharf, bestimmt und deutlich wie vorher fort. Es vergingen einige Sekunden unter Stillschweigen; es schien, daß der Fürst mit aller Anstrengung zu reden versuchte, aber kein Wort herausbekam, wie wenn ein furchtbarer Druck auf seiner Brust lastete.

      »N-nein ... heiraten Sie ihn nicht!« flüsterte er endlich; er konnte nur mühsam atmen.

      »So soll es denn auch sein! Gawrila Ardalionowitsch!« wandte sie sich herrisch und gleichsam triumphierend an diesen. »Haben Sie gehört, welche Entscheidung der Fürst getroffen hat? Nun, darin liegt zugleich auch meine Antwort; so mag denn diese Sache ein für allemal erledigt sein!«

      »Nastasja Filippowna!« sagte Afanasi Iwanowitsch mit zitternder Stimme.

      »Nastasja Filippowna!« rief auch der General in bittendem, aber erregtem Ton.

      Alle waren in Bewegung und Unruhe geraten.

      »Aber meine Herrschaften«, fuhr sie fort, indem sie ihre Gäste anscheinend sehr erstaunt ansah, »warum regen Sie sich denn so auf? Und was machen Sie alle für Gesichter?«

      »Aber ... erinnern Sie sich doch, Nastasja Filippowna«, murmelte Tozki stotternd, »Sie haben uns doch das Versprechen gegeben ... ganz freiwillig ... und hätten doch auch etwas rücksichtsvoller verfahren können ... Es fällt mir schwer und ... gewiß, ich bin verwirrt, aber ... Mit einem Wort, jetzt in diesem Augenblick und in Gegenwart ... in Gegenwart so vieler Leute, und alles das so ... eine so ernste Sache durch ein Gesellschaftsspiel zu entscheiden, eine Sache, bei der es sich um die Ehre und um das Herz handelt ... von der so viel abhängt ...«

      »Ich verstehe Sie nicht, Afanasi Iwanowitsch; Sie sind wirklich ganz verwirrt. Erstens, was soll das heißen: ›in Gegenwart so vieler Leute‹? Befinden wir uns etwa nicht in einem schönen, vertrauten Kreis? Und warum sagen Sie: ›durch ein Gesellschaftsspiel‹? Ich beabsichtigte allerdings auch meinerseits einen Beitrag zu liefern; das habe ich getan; war er etwa nicht hübsch? Und warum meinen Sie, daß es mir nicht ernst sei? Ist denn das nicht ernst? Sie haben gehört, daß ich zum Fürsten sagte: ›Was Sie sagen wer den, das werde ich tun.‹ Hätte er nun ›ja‹ gesagt, so hätte ich sofort meine Einwilligung gegeben; aber er hat ›nein‹ gesagt, und daher habe ich mich geweigert; ist denn das etwa nicht ernst? Mein ganzes Leben hing hier an einem Haar; was kann es Ernsteres geben?«

      »Aber der Fürst! Was soll dabei der Fürst? Und was ist denn schließlich dieser Fürst für ein Mensch?« murmelte der General, der kaum mehr imstande war, seinen Unwillen darüber zu verbergen, daß dem Fürsten in einer für ihn selbst so kränkenden Weise eine solche Autorität zuerkannt wurde.

      »Der Fürst ist für mich insofern von Wert, als er in meinem ganzen Leben der erste Mensch ist, dem ich wegen seiner aufrichtigen Ergebenheit habe Vertrauen schenken können. Er hat auf den ersten Blick an mich geglaubt, und ich glaube an ihn.«

      »Es bleibt mir nur übrig, Nastasja Filippowna für das außerordentliche Zartgefühl zu danken, mit dem sie mich behandelt hat«, sagte Ganja endlich; er war ganz blaß, seine Stimme zitterte, seine Lippen verzogen sich krampfhaft. »Sie hat natürlich durchaus richtig gehandelt ... Aber ... der Fürst ... der Fürst wird dabei wohl ...«

      »Er wird dabei wohl nach den fünfundsiebzigtausend Rubeln trachten, nicht wahr?« unterbrach ihn Nastasja Filippowna. »Das wollten Sie doch sagen? Stellen Sie es nicht in Abrede; das wollten Sie sicherlich sagen! Afanasi Iwanowitsch, ich vergaß hinzuzufügen: behalten Sie diese fünfundsiebzigtausend Rubel und wissen Sie, daß ich Sie umsonst freilasse! Lassen wir es jetzt genug sein! Sie müssen doch auch endlich wieder frei atmen! Neun Jahre und drei Monate! Morgen beginnt für mich ein neues Leben; aber heute bin ich Geburtstagskind und meine eigene Herrin, zum ersten Mal in meinem ganzen Leben! General, nehmen auch Sie Ihren Perlenschmuck zurück; schenken Sie ihn Ihrer Gemahlin; da ist er. Und morgen verlasse ich diese Wohnung für immer. Ich werde hier keine Abendgesellschaften mehr geben, meine Herrschaften!«

      Nach diesen Worten erhob sie sich plötzlich, wie wenn sie weggehen wollte.

      »Nastasja Filippowna! Nastasja Filippowna!« wurde von allen Seiten gerufen.

      Alle waren in größter Aufregung und sprangen von ihren Plätzen auf; alle umringten sie; alle horchten mit Unruhe auf die abgerissenen, fieberhaften, leidenschaftlichen Sätze, die sie hervorstieß; alle hatten das Gefühl, daß da etwas nicht in Ordnung sei; niemand vermochte daraus klug zu werden; niemand konnte die Sache begreifen. In diesem Augenblick ertönte plötzlich ein starkes, lautes Klingeln, genauso wie einige Stunden vorher in Ganjas Wohnung.

      »A-a-ah! Da kommt die Entscheidung! Endlich! Um halb zwölf!« rief Nastasja Filippowna. »Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, meine Herrschaften; das ist die Entscheidung!«

      Nachdem sie das gesagt hatte, setzte sie sich selbst hin. Ein seltsames Lächeln zitterte auf ihren Lippen. Sie saß schweigend da, in fieberhafter Erwartung, und blickte nach der Tür.

      »Es ist Rogoschin mit den hunderttausend Rubeln; kein Zweifel!« murmelte Ptizyn vor sich hin.

      Das Stubenmädchen Katja kam ganz erschrocken herein.

      »Da begibt sich etwas ganz Tolles, Nastasja Filippowna; es sind etwa zehn Menschen eingedrungen, stark betrunken; sie verlangen Zutritt hierher und sagen, es sei Rogoschin, und Sie wüßten schon Bescheid.«

      »Es ist richtig, Katja; laß sie alle sogleich herein!«

      »Wirklich ... alle, Nastasja Filippowna? Die Leute sehen gar zu arg aus. Es ist schauderhaft!«

      »Laß sie nur alle herein, Katja, alle, fürchte dich nicht, alle ohne Ausnahme; sonst kommen sie ohne deine Erlaubnis herein. Da, was sie