Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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wird hinkriechen«, sagte Rogoschin plötzlich leise, aber im Tone festester Überzeugung.

      »Und wenn du noch nahe daran wärst, Hungers zu sterben! Aber du beziehst ja, wie es heißt, ein gutes Gehalt! Und zu alledem, ganz abgesehen von der Schande, wolltest du gar noch eine Frau, die du haßt, in dein Haus führen! (Denn du haßt mich; das weiß ich!) Nein, jetzt glaube ich, daß so ein Mensch für Geld einen Mord begeht! Es hat ja jetzt alle diese Menschen eine solche Gier ergriffen, es zieht sie so zum Gelde hin, daß sie wie Irrsinnige sind. So einer steht noch in ganz jungen Jahren und geht schon unter die Wucherer! Er bringt es fertig, Seide um ein Rasiermesser zu wickeln, so daß es feststeht, und sachte von hinten einem Freund wie einem Hammel den Hals abzuschneiden, wie ich das unlängst gelesen habe. Was bist du für ein schamloser Mensch! Ich bin ja schamlos; aber du bist noch weit ärger. Von dem Bukettschenker dort will ich gar nicht einmal reden ...«

      »Sind Sie es wirklich, sind Sie es wirklich, Nastasja Filippowna?« rief der General und schlug in aufrichtigem Schmerz die Hände zusammen. »Sie, die Sie sonst so zartfühlend waren und so taktvoll redeten, und nun auf einmal! Welche Sprache, welche Ausdrücke!«

      »Ich bin jetzt betrunken, General«, erwiderte Nastasja Filippowna lachend, »ich will fidel sein! Heute ist mein Tag, mein Fest- und Feiertag; auf den habe ich schon lange gewartet. Darja Alexejewna, siehst du da diesen Bukettschenker, diesen monsieur aux camélias? Da sitzt er und lacht uns aus ...«

      »Ich lache nicht, Nastasja Filippowna; ich höre nur mit der größten Aufmerksamkeit zu«, entgegnete Tozki mit würdiger Ruhe.

      »Warum habe ich ihn eigentlich fünf volle Jahre lang gequält und nicht von mir loskommen lassen? War er das denn wert? Er kann eben nicht anders sein, als er ist ... Er wird noch behaupten, daß ich in seiner Schuld stehe: er hat mich ja erziehen lassen und mich wie eine Gräfin unterhalten; was ist da für Geld daraufgegangen; und dann hat er schon dort einen anständigen Mann für mich ausgesucht und nun hier diesen Ganja. Und solltest du es glauben: ich habe diese fünf Jahre nicht mit ihm zusammengelebt, aber das Geld von ihm angenommen und im Recht zu sein gemeint! Ich war ja ganz wirr im Kopf geworden! Ich handelte nach deinem Grundsatz: ›Nimm die hunderttausend Rubel und jage den Geber weg, wenn er dir zuwider ist!‹ Daß er mir zuwider ist, ist richtig ... Ich hätte mich auch schon längst verheiraten können, und nicht nur mit Ganja; aber auch das war mir schon zuwider. Und warum habe ich meine fünf Jahre in dieser boshaften Stimmung verloren! Aber ob du es nun glaubst oder nicht: vor vier Jahren habe ich manchmal daran gedacht, ob ich nicht ganz einfach meinen Afanasi Iwanowitsch heiraten sollte. Dieser Gedanke ging bei mir damals nur aus Bosheit hervor; was ging mir damals nicht alles durch den Kopf; aber ich hätte ihn dazu bringen können, wirklich! Er selbst hat es mir angeboten, glaubst du es oder nicht? Er meinte es ja nicht ehrlich; aber er ist gar zu lüstern und kann seine Begierden nicht unterdrücken. Aber dann überlegte ich mir Gott sei Dank: ist er es denn wert, daß ich um seinetwillen eine solche Schlechtigkeit begehe? Und er wurde mir damals plötzlich so zuwider, daß ich seitdem, auch wenn er mir selbst seine Hand antrüge, sie ablehnen würde. Und ganze fünf Jahre habe ich in dieser gekünstelten Manier gelebt!

      Nein, das beste ist schon, ich gehe auf die Straße, wo ich ja auch hingehöre! Entweder will ich mit Rogoschin lustig leben oder gleich morgen Wäscherin werden! Denn Eigentum habe ich ja keines; ich werfe ihm alles hin; das letzte Läppchen lasse ich hier; und wenn ich so gar nichts habe, wer nimmt mich dann zur Frau? Frag mal Ganja, ob er mich nehmen würde! Nicht einmal Ferdyschtschenko würde mich nehmen ...!«

      »Ferdyschtschenko würde Sie vielleicht nicht nehmen, Nastasja Filippowna; ich bin ein offenherziger Mensch«, unterbrach sie Ferdyschtschenko. »Aber dafür würde der Fürst Sie nehmen! Sie sitzen da und klagen; sehen Sie doch einmal den Fürsten an! Ich beobachte ihn schon lange ...«

      Nastasja Filippowna wandte sich neugierig zum Fürsten hin.

      »Ist das wahr?« fragte sie.

      »Ja, es ist wahr«, flüsterte der Fürst.

      »Sie nehmen mich so, wie ich da bin, ohne alles?«

      »Ja, das tue ich, Nastasja Filippowna ...«

      »Da haben wir ja eine neue Tollheit!« murmelte der General. »Das war zu erwarten!«

      Der Fürst schaute Nastasja Filippowna traurig, ernst und durchdringend ins Gesicht, die ihrerseits fortfuhr, ihn anzusehen.

      »Da hat sich doch einer gefunden!« sagte sie dann, indem sie sich wieder zu Darja Alexejewna wandte. »Und er tut es rein aus gutem Herzen; das weiß ich. Ich habe einen Wohltäter gefunden! Übrigens haben die Leute vielleicht recht, wenn sie von ihm sagen, daß er ... hm, na ja! Wovon wirst du denn leben, wenn du schon so verliebt bist, daß du, ein Fürst, Rogoschins Geliebte heiraten willst?«

      »Ich nehme Sie als eine ehrbare Frau, Nastasja Filippowna, und nicht als Rogoschins Geliebte«, antwortete der Fürst.

      »Ich bin also eine ehrbare Frau?«

      »Ja.«

      »Nun, das hast du wohl aus Romanen! Das sind altmodische Torheiten, liebster Fürst; aber jetzt ist die Welt klüger geworden, und all das ist jetzt Unsinn! Und wie kannst du denn heiraten? Du brauchst ja selbst noch eine Wärterin!«

      Der Fürst stand auf und sagte mit zitternder, schüchterner Stimme, aber zugleich mit der Miene tiefster Überzeugung:

      »Ich weiß nichts von der Welt, Nastasja Filippowna; ich habe nichts von der Welt gesehen; darin haben Sie recht; aber ich ... ich bin der Ansicht, daß Sie mir eine Ehre erweisen und nicht ich Ihnen. Ich bin ein Nichts; aber Sie haben gelitten und sind aus einer solchen Hölle rein hervorgegangen, und das ist etwas Großes. Warum schämen Sie sich also und wollen zu Rogoschin gehen? Das ist Fieber ... Sie haben Herrn Tozki die fünfundsiebzigtausend Rubel zurückgegeben und sagen, daß Sie auf alles, was hier ist, verzichten werden; dessen wäre keiner der hier Anwesenden fähig. Ich ... ich liebe Sie, Nastasja Filippowna. Ich sterbe für Sie. Ich werde nicht dulden, daß jemand über Sie ein schlechtes Wort sagt. Wenn wir arm sein werden, so werde ich arbeiten, Nastasja Filippowna ...«

      Bei den letzten Worten hörte man Ferdyschtschenko und Lebedjew kichern, und selbst der General räusperte sich sehr mißvergnügt. Ptizyn und Tozki konnten sich nicht enthalten zu lächeln, beherrschten sich aber noch. Die übrigen rissen geradezu den Mund auf vor Verwunderung.

      »... Aber vielleicht werden wir nicht arm sein, sondern sehr reich, Nastasja Filippowna«, fuhr der Fürst in demselben bescheidenen Ton fort. »Ich weiß es übrigens nicht bestimmt und bedaure, daß ich den ganzen Tag über bis jetzt darüber nichts habe erfahren können; aber ich habe in der Schweiz einen Brief aus Moskau von einem Herrn Salaskin erhalten, und er teilt mir mit, ich könne eine sehr große Erbschaft an treten. Hier ist der Brief ...«

      Der Fürst zog wirklich einen Brief aus der Tasche.

      »Redet er denn irre?« murmelte der General. »Es ist ja hier das reine Narrenhaus!«

      Für einen Augenblick trat Stillschweigen ein.

      »Sie sagten ja wohl, Fürst, der Brief an Sie sei von Salaskin?« fragte Ptizyn. »Das ist ein in seinen Kreisen sehr bekannter Mann, ein bekannter Rechtsanwalt, und wenn er Ihnen das wirklich mitgeteilt hat, so können Sie sich vollständig darauf verlassen. Zum Glück kenne ich seine Handschrift, da ich erst kürzlich mit ihm geschäftlich zu tun hatte ... Wenn Sie mir den Brief zur Einsicht geben wollten, so könnte ich Ihnen vielleicht etwas darüber sagen.«

      Mit zitternder Hand reichte ihm der Fürst schweigend den Brief hin.

      »Ja, was hat denn das zu bedeuten? Was hat das zu bedeuten?« rief der General erstaunt und blickte alle wie ein Halbirrer an. »Hat er wirklich eine Erbschaft gemacht?«

      Alle richteten ihre Blicke auf Ptizyn, der den Brief las. Die allgemeine Neugier hatte einen neuen außerordentlichen Anstoß erhalten. Ferdyschtschenko war außerstande, auf seinem Platz sitzenzubleiben; Rogoschin machte ein verständnisloses, furchtbar beunruhigtes Gesicht und sah abwechselnd nach dem Fürsten und nach Ptizyn hin. Darja Alexejewna