Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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... Es ist besser so, Fürst, wirklich besser; du würdest mich später verachten, und es würde nicht unser Glück sein! Schwöre nicht! Ich glaube es nicht. Und wie dumm würde es auch sein ...! Nein, am besten scheiden wir voneinander als gute Freunde; auch ich bin ja eine Träumerin; es würde nichts Gutes dabei herauskommen! Habe ich nicht selbst von dir geträumt? Darin hast du recht; ich habe schon lange von dir geträumt, schon als ich bei ihm auf dem Dorf fünf Jahre lang mutterseelenallein lebte; da denkt und denkt man manchmal und träumt und träumt, und da habe ich mir immer so einen Mann vorgestellt, wie du einer bist, einen guten, ehrenhaften, braven, ein bißchen dummen Mann, der auf einmal kommt und sagt: ›Sie tragen keine Schuld, Nastasja Filippowna, und ich vergöttere Sie!‹ Und ich versenkte mich manchmal so in meine Träumereien, daß ich fast den Verstand verlor ... Und da kam nun dieser Mensch hier: alle Jahre blieb er zwei Monate lang zu Besuch, entehrte und schändete mich, entflammte und verdarb mich und fuhr dann wieder davon. Tausendmal habe ich in den Teich springen wollen; aber ich war zu feige, mein Mut reichte dazu nicht aus. Nun, aber jetzt ... Rogoschin, bist du bereit?«

      »Alles bereit! Nicht herankommen!«

      »Alles bereit!« riefen mehrere Stimmen.

      »Die Troiken warten, mit Schellen!«

      Nastasja Filippowna nahm das Päckchen in die Hand.

      »Ganja, mir ist ein Gedanke gekommen: ich will dich entschädigen; denn warum solltest du alles verlieren? Rogoschin, wird er für drei Rubel bis nach der Wasili-Insel kriechen?«

      »Jawohl, das wird er tun!«

      »Nun denn, so höre, Ganja; ich will zum letztenmal einen Blick in deine Seele tun; du hast mich deinerseits ganze drei Monate lang gequält; jetzt ist die Reihe an mir. Du siehst dieses Päckchen; darin sind hunderttausend Rubel! Ich werde es jetzt gleich in den Kamin werfen, ins Feuer, hier vor aller Augen; alle Anwesenden sind Zeugen! Sobald das Feuer es ganz erfaßt haben wird, greife in den Kamin, aber ohne Handschuhe, mit bloßen Händen und aufgestreiften Ärmeln, und zieh das Päckchen aus dem Feuer! Wenn du es herausziehst, soll es dir gehören, die ganzen hunderttausend Rubel sollen dir gehören! Du wirst dir nur ein ganz klein bißchen die Fingerchen verbrennen; aber dafür bekommst du auch hunderttausend Rubel, bedenk das wohl! Das Herausholen ist ja in einem Augenblick ausgeführt! Ich aber will mich an dem Anblick deiner Seele erfreuen, wie du nach meinem Geld ins Feuer greifst. Alle sind Zeugen, daß das Päckchen dann dir gehört! Greifst du aber nicht hinein, so verbrennt es; ich werde keinen andern heranlassen. Weg da! Alle weg! Es ist mein Geld! Ich habe es von Rogoschin für eine Nacht bekommen. Gehört das Geld mir, Rogoschin?«

      »Dir gehört es, du meine Herzensfreude! Dir, du meine Königin!«

      »Nun, dann also alle weg! Was ich will, das tue ich auch! Suche mich keiner zu hindern! Ferdyschtschenko, schüren Sie das Feuer!«

      »Nastasja Filippowna, ich kann die Arme nicht heben!« erwiderte Ferdyschtschenko, der ganz wie benommen war.

      »Ach was!« rief Nastasja Filippowna, ergriff die Feuerzange, scharrte zwei schwelende Holzscheite auseinander und warf, sobald das Feuer lebhafter aufbrannte, das Päckchen hinein. Die Umstehenden stießen einen Schrei aus; viele bekreuzigten sich sogar.

      »Sie ist verrückt geworden!« wurde ringsum gerufen.

      »Sollten wir ... sollten wir sie nicht binden?« flüsterte der General dem neben ihm stehenden Ptizyn zu. »Oder sollten wir nicht nach der Polizei schicken ...? Sie ist ja verrückt geworden, total verrückt.«

      »N-nein das ist vielleicht gar nicht Verrücktheit«, flüsterte Ptizyn zurück, der bleich wie Leinwand geworden war, am ganzen Leibe zitterte und seine Augen von dem bereits schwelenden Päckchen nicht loszureißen vermochte.

      »Ist sie nicht verrückt? Ist sie nicht verrückt?« fragte der General dann beharrlich Tozki.

      »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß sie ein eigentümliches Weib ist«, murmelte Afanasi Iwanowitsch, der ebenfalls etwas blaß geworden war.

      »Aber es sind ja doch hunderttausend Rubel ...!«

      »Herr Gott, Herr Gott!« wurde ringsumher gerufen. Alle umdrängten den Kamin, alle wollten sehen, alle schrien ... Manche stiegen sogar auf Stühle, um über die Köpfe der andern hinwegsehen zu können. Darja Alexejewna stürzte in das Nebenzimmer und redete dort in ängstlichem Flüsterton mit Katja und Pascha. Die schöne Deutsche war davongelaufen.

      »Mütterchen, Königin, Großmächtige!« heulte Lebedjew, der auf den Knien vor Nastasja Filippowna herumkroch und die Hände nach dem Kamin ausstreckte.

      »Hunderttausend, hunderttausend! Ich habe sie selbst gesehen; sie sind vor meinen Augen eingepackt worden. Mütterchen! Barmherzige! Erlaube mir, in den Kamin hineinzugreifen; ich will ganz und gar hineinkriechen; meinen ganzen grauen Kopf will ich ins Feuer hineinlegen ...! Ich habe ein krankes Weib, das nicht gehen kann, und dreizehn Kinder, für die keine Mutter sorgt; meinen Vater habe ich in der vorigen Woche begraben; wir haben nichts zu essen, Nastasja Filippowna!«

      Unter solchem Klagegeschrei wollte er schon zum Kamin hinkriechen.

      »Weg!« rief Nastasja Filippowna und stieß ihn fort. »Tretet alle auseinander! Ganja, was stehst du da? Schäme dich nicht, greif hinein! Es handelt sich um dein Lebensglück!«

      Aber Ganja hatte schon zuviel an diesem Tag und an diesem Abend ertragen und war auf diese letzte, unerwartete Prüfung nicht vorbereitet. Die Menge trat vor ihnen nach beiden Seiten auseinander, und er blieb Auge in Auge mit Nastasja Filippowna stehen, drei Schritte von ihr entfernt. Sie stand dicht beim Kamin und wartete, ohne ihren brennenden, festen Blick von ihm abzuwenden. Ganja, in Frack und Handschuhen, den Hut in der Hand, stand, ohne ein Wort zu sagen und ohne eine Antwort zu geben, vor ihr, hatte die Arme gekreuzt und blickte ins Feuer. Ein irres Lächeln huschte über sein Gesicht, das totenblaß geworden war. Allerdings vermochte er die Augen nicht von dem Feuer und dem glimmenden Päckchen wegzuwenden; aber ein neues Gefühl schien in seine Seele Eingang gefunden zu haben; er hatte sich geschworen, diese Folter zu ertragen; er rührte sich nicht vom Fleck; nach einigen Augenblicken war es allen deutlich geworden, daß er zu dem Päckchen nicht hingehen werde, nicht hingehen wolle.

      »Paß auf, das Geld wird verbrennen, und man wird dich auslachen!« rief ihm Nastasja Filippowna zu. »Nachher wirst du dich aufhängen; ich scherze nicht!«

      Das Feuer, das anfangs zwischen den beiden schwelenden Holzscheiten aufgeflammt war, hatte, als das Päckchen darauf fiel und es niederdrückte, zunächst beinahe erlöschen wollen. Aber eine kleine, blaue Flamme klammerte sich noch unten an eine Ecke des darunterliegenden Scheites. Endlich leckte eine schmale, lange Feuerzunge auch an dem Päckchen; das Feuer blieb daran haften und lief an den Ecken an dem Papier in die Höhe, und plötzlich flammte das ganze Päckchen im Kamin auf, und eine helle Flamme schlug in die Höhe. Alle stöhnten auf.

      »Mütterchen!« heulte Lebedjew immer noch und stürzte wieder nach vorn; aber Rogoschin zog und stieß ihn von neuem hinweg.

      Rogoschin selbst hatte sich sozusagen ganz in einen einzigen starren Blick verwandelt. Er konnte sich von Nastasja Filippowna nicht losreißen; er berauschte sich an ihr; er war im siebenten Himmel.

      »Das ist einmal eine Königin!« wiederholte er alle Augenblicke, indem er sich bald an diesen, bald an jenen der Umstehenden wandte. »Das ist einmal nach meinem Geschmack!« rief er, kaum von sich selbst wissend. »Na, wer von euch, ihr armseligen Gauner, ist eines solchen Streiches fähig, he?«

      Der Fürst beobachtete die Vorgänge traurig und schweigend.

      »Ich hole es für einen einzigen Tausender mit den Zähnen heraus!« erbot sich Ferdyschtschenko.

      »Ich täte es ebenfalls mit den Zähnen!« knirschte der hinter allen stehende Herr mit den Fäusten in einem Anfall echter Verzweiflung. »Hol's der Teufel! Es brennt, es brennt vollständig!« schrie er, als er die Flamme sah.

      »Es brennt, es brennt!« riefen alle zugleich und stürzten fast sämtlich ebenfalls zum Kamin hin.

      »Ganja,