Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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Raserei zu Ganja hinstürzte und ihn am Ärmel riß. »Greif hinein, du Narr! Es verbrennt; O du ver-r-r-dammter Kerl!«

      Ganja stieß Ferdyschtschenko heftig von sich, drehte sich um und ging auf die Tür zu; aber er hatte kaum zwei Schritte gemacht, als er schwankte und zu Boden stürzte.

      »Er ist ohnmächtig!« riefen die Umstehenden.

      »Mütterchen, es verbrennt!« heulte Lebedjew.

      »Es verbrennt ohne allen Sinn und Zweck!« wurde von allen Seiten gebrüllt.

      »Katja, Pascha, bringt ihm Wasser und Spiritus!« befahl Nastasja Filippowna, ergriff die Feuerzange und holte das Päckchen heraus.

      Fast das ganze äußere Papier war angebrannt und glimmte; aber man konnte sofort sehen, daß der Inhalt heilgeblieben war. Das Päckchen war in dreifaches Zeitungspapier eingeschlagen, und das Geld war unversehrt. Alle atmeten freier.

      »Kaum ein Tausender ist ein bißchen beschädigt; aber alle übrigen sind ganz«, sagte Lebedjew förmlich gerührt.

      »Das ganze Geld gehört ihm! Das ganze Päckchen ist sein! Hören Sie, meine Herrschaften!« rief Nastasja Filippowna und legte das Päckchen neben Ganja hin. »Er hat sich doch beherrscht und ist nicht hingegangen! Also ist bei ihm das Ehrgefühl doch noch stärker als die Geldgier. Die Ohnmacht ist nicht gefährlich; er wird schon wieder zu sich kommen! Wenn ich es ihm nicht schenkte, würde er mich womöglich ermorden ... Da! er kommt schon wieder zur Besinnung. General, Iwan Petrowitsch, Darja Alexejewna, Katja, Pascha, Rogoschin, habt ihr es gehört? Das Päckchen gehört Ganja. Ich überlasse es ihm zu vollem Eigentum, als Entschädigung ... oder wie man es sonst nennen will! Sagt ihm das! Mag es da neben ihm liegenbleiben ... Vorwärts, Rogoschin! Leb wohl, Fürst; ich habe zum erstenmal einen Menschen gefunden! Leben Sie wohl, Afanasi Iwanowitsch, merci!«

      Rogoschins ganze Rotte eilte lärmend, polternd und schreiend hinter ihm und Nastasja Filippowna her durch die Zimmer dem Ausgang zu. Im Wohnzimmer reichten ihr die Mädchen den Pelz; die Köchin Marfa kam aus der Küche herbeigelaufen. Nastasja Filippowna küßte sie alle.

      »Aber wollen Sie uns denn wirklich ganz verlassen, Mütterchen? Und wohin gehen Sie denn? Und noch dazu am Geburtstag, an einem solchen Tag!« fragten die weinenden Mädchen, indem sie ihr die Hände küßten.

      »Ich gehe auf die Straße, Katja; du hast es ja gehört; da ist mein Platz; oder aber ich werde Wäscherin! Mit Afanasi Iwanowitsch bin ich fertig! Grüßt ihn von mir, und gedenket meiner nicht im Bösen ...«

      Der Fürst eilte, so schnell er nur konnte, nach dem Portal zu, wo alle dabei waren, sich in vier mit Glöckchen behängte Troiken zu verteilen. Der General, der ihm nachlief, holte ihn noch auf der Treppe ein.

      »Ich bitte dich, Fürst, komm zur Besinnung!« sagte er und ergriff ihn bei der Hand. »Laß doch das Weib laufen! Du siehst ja, was sie für eine ist! Ich rede zu dir wie ein väterlicher Freund ...«

      Der Fürst sah ihn an, riß sich aber, ohne ein Wort zu sagen, los und lief nach unten.

      Am Portal, von dem die Troiken gerade abgefahren waren, sah der General noch, wie der Fürst die erste beste Droschke nahm und dem Kutscher zurief: »Nach Jekateringof, hinter den Troiken her!« Dann kam der mit einem grauen Traber bespannte Wagen des Generals vorgefahren und brachte den General nach Hause, mit neuen Hoffnungen und Plänen und mit dem Perlenschmuck, den der General doch nicht vergessen hatte mitzunehmen. Mitten unter diesen Spekulationen tauchte Nastasja Filippownas verführerisches Bild ein paarmal vor seinem geistigen Auge auf, und er seufzte:

      »Schade, wirklich schade! Ein verlorenes Weib! Ein verrücktes Weib! Nun, der Fürst kann jetzt eine Nastasja Filippowna nicht brauchen ... Vielleicht ist es also sogar gut, daß die Sache eine solche Wendung genommen hat.«

      In ähnlicher Weise widmeten noch zwei andere Gäste Nastasja Filippownas, die sich dafür entschieden hatten, eine Strecke zu Fuß zu gehen, ihr ein paar moralische Worte als Nachruf.

      »Wissen Sie, Afanasi Iwanowitsch, bei den Japanern soll es etwas Ähnliches geben«, sagte Iwan Petrowitsch Ptizyn. »Da geht, wie es heißt, der Beleidigte zu dem Beleidiger hin und sagt zu ihm: ›Du hast mich beleidigt; deshalb bin ich hergekommen, um mir vor deinen Augen den Bauch aufzuschlitzen‹, und mit diesen Worten schlitzt er sich wirklich vor den Augen des Beleidigers den Bauch auf und fühlt dabei wahrscheinlich eine außerordentliche Befriedigung, als habe er sich tatsächlich gerächt. Es gibt sonderbare Charaktere auf der Welt, Afanasi Iwanowitsch!«

      »Und Sie meinen, daß auch hier etwas Derartiges vorliegt?« erwiderte Afanasi Iwanowitsch lächelnd. »Hm! Sie sind sehr geistreich und haben einen sehr schönen Vergleich beigebracht. Sie haben aber doch selbst gesehen, liebster Iwan Petrowitsch, daß ich alles getan habe, was in meinen Kräften stand; über die Grenze des Möglichen hinaus kann ich doch nichts tun, das müssen Sie selbst zugeben. Aber auf der andern Seite werden Sie auch das zugeben müssen, daß diese Frau großartige Eigenschaften, herrliche Charakterzüge besitzt. Ich wollte ihr vorhin schon zurufen, wenn das in diesem Wirrwarr möglich gewesen wäre, daß sie selbst meine beste Rechtfertigung gegen ihre Anschuldigungen sei. Nun, ist es nicht erklärlich, wenn sich jemand von diesem Weibe so fesseln läßt, daß er Vernunft und alles vergißt? Sehen Sie, dieser Plebejer, dieser Rogoschin, hat ihr hunderttausend Rubel gebracht! Alles, was sich da heute zugetragen hat, war allerdings unüberlegt, romantisch, unschicklich, aber dafür doch individuell und originell, das müssen Sie selbst zugeben. Oh Gott, wozu könnte sie es bei einem solchen Charakter und bei einer solchen Schönheit nicht bringen! Aber trotz aller Bemühungen von meiner Seite, ja trotz aller Bildung, die ihr zuteil geworden ist, ist nun doch alles zugrunde gegangen! Sie ist ein ungeschliffener Diamant, wie ich manchmal von ihr gesagt habe ...«

      Und Afanasi Iwanowitsch stieß einen tiefen Seufzer aus.

      I

      Zwei Tage nach den seltsamen Vorgängen auf Nastasja Filippownas Abendgesellschaft, mit denen wir den ersten Teil unserer Erzählung geschlossen haben, fuhr Fürst Myschkin eilig nach Moskau, um seine unerwartete Erbschaft in Empfang zu nehmen. Es hieß damals, seine eilige Abreise habe möglicherweise auch noch andere Ursachen; aber hierüber sowie über die Erlebnisse des Fürsten in Moskau und überhaupt während seiner Abwesenheit von Petersburg sind wir nur sehr weniges zu berichten imstande. Der Fürst blieb genau sechs Monate fort, und sogar diejenigen Leute, die einigen Grund hatten, sich für sein Schicksal zu interessieren, vermochten während dieser ganzen Zeit nur äußerst wenig über ihn in Erfahrung zu bringen. Manchen kamen allerdings, wiewohl nur sehr selten, gewisse Gerüchte zu Ohren; aber diese Gerüchte klangen großenteils recht seltsam und widersprachen einander fast immer. Am meisten interessierte man sich für den Fürsten natürlich im Jepantschinschen Haus, wo er bei seiner Abreise nicht einmal Zeit gefunden hatte, sich zu verabschieden. Der General war allerdings damals noch mit ihm zusammengekommen, sogar mehrere Male, und sie hatten miteinander ernste Gespräche geführt; aber von diesen Zusammenkünften machte Jepantschin seiner Familie keine Mitteilung. Und überhaupt wurde in der ersten Zeit, das heißt, einen ganzen Monat lang nach der Abreise des Fürsten, im Jepantschinschen Haus nach stillschweigender Übereinkunft von ihm nicht gesprochen. Nur die Generalin Lisaweta Prokofjewna äußerte sich ganz am Anfang dieser Zeit dahin, sie habe sich in dem Fürsten grausam getäuscht. Und einige Tage darauf fügte sie, ohne jedoch den Fürsten zu nennen, sondern nur so im allgemeinen, hinzu, das wichtigste Charakteristikum ihres Lebens bestehe darin, daß sie sich fortwährend in den Menschen täusche. Und schließlich nach weiteren zehn Tagen erklärte sie, als sie sich aus irgendeinem Grund über ihre Töchter geärgert hatte, nun sei es genug mit den Irrtümern; weitere werde sie nicht begehen. Außerdem war nicht zu verkennen, daß in diesem Haus lange Zeit eine recht unangenehme Stimmung herrschte. Es machte sich ein gewisser Druck, eine gewisse Gespanntheit fühlbar; man sprach sich nicht ordentlich aus und neigte dazu, sich zu streiten; alle machten finstere Gesichter. Der General war Tag und Nacht beschäftigt und mit Arbeit überhäuft; man hatte ihn selten stärker von Geschäften in Anspruch genommen und tätiger gesehen, namentlich im Dienst.