kannten, das auserlesene Mobiliar, die große Venusstatue, alles das rief bei ihnen eine gewisse Ehrfurcht, ja beinah Angst hervor. Das konnte sie aber natürlich alle nicht daran hindern, sich allmählich mit frecher Neugier trotz ihrer Angst hinter Rogoschin her in den Salon zu drängen; aber als der Herr mit den Fäusten, der »Bittsteller« und einige andere den General Jepantschin unter den Gästen bemerkten, wurden sie im ersten Augenblick dermaßen mutlos, daß sie sogar anfingen, sich sachte nach dem andern Zimmer zurückzuziehen. Nur Lebedew, der am meisten Mut und Selbstvertrauen besaß, ging beinah an Rogoschins Seite; denn er wußte, was es bedeutet, ein Kapital von einer Million und vierhunderttausend Rubeln im Besitz und hunderttausend augenblicklich in Händen zu haben. Es muß übrigens hervorgehoben werden, daß sie alle, sogar den sachverständigen Lebedew nicht ausgeschlossen, sich über die Grenzen ihrer Macht einigermaßen im unklaren befanden und nicht wußten, ob ihnen jetzt tatsächlich alles erlaubt sei oder nicht. Lebedew hätte in manchen Augenblicken darauf schwören mögen, daß sie jetzt alles wagen dürften; aber in andern empfand er ein unruhiges Bedürfnis, sich im stillen für jeden Fall an einige Paragraphen der Gesetzsammlung, und namentlich an solche ermutigenden und beruhigenden Inhalts, zu erinnern.
Auf Rogoschin machte Nastasja Filippownas Salon den entgegengesetzten Eindruck wie auf alle seine Gefährten. Kaum hatte er die Portiere zurückgeschlagen und Nastasja Filippowna erblickt, als alles übrige für ihn zu existieren aufhörte, gerade wie am Tage, sogar in noch höherem Grade als vorher. Er wurde blaß und blieb einen Augenblick stehen; man konnte erraten, daß sein Herz furchtbar klopfte. Schüchtern und fassungslos sah er einige Sekunden lang Nastasja Filippowna mit unverwandten Augen an. Auf einmal ging er, als ob ihm alle Kraft abhanden gekommen wäre, beinah schwankend an den Tisch heran; unterwegs stieß er an Ptizyns Stuhl und trat mit seinen schmutzigen Stiefeln auf den Spitzenbesatz des prachtvollen himmelblauen Kleides der schweigsamen schönen Deutschen; aber er entschuldigte sich nicht und hatte es gar nicht bemerkt. Als er zum Tisch gelangt war, legte er einen sonderbaren Gegenstand darauf nieder, den er beim Betreten des Salons in beiden Händen vor sich hingehalten hatte. Es war ein großes Päckchen, dreizehn Zentimeter hoch und achtzehn Zentimeter lang, dicht und fest in eine Nummer der Börsennachrichten eingeschlagen und straff von allen Seiten und zweimal über Kreuz mit einem Bindfaden zusammengebunden, von der Art, wie man ihn zum Umschnüren von Zuckerhüten gebraucht. Dann stand er, ohne ein Wort zu sagen, mit herabhängenden Armen da, wie wenn er sein Urteil erwartete. Sein Anzug war ganz derselbe wie am Tage; nur hatte er jetzt ein ganz neues seidenes Tuch um den Hals, hellgrün mit rot; ferner trug er eine große Brillantnadel, die einen Käfer darstellte, und an dem schmutzigen Ringfinger der rechten Hand einen massiven Brillantring. Lebedew ging nicht bis an den Tisch heran, sondern blieb in einer Entfernung von drei oder vier Schritten stehen; die übrigen, wie schon gesagt, sammelten sich allmählich im Salon. Katja und Pascha, die beiden Stubenmädchen Nastasja Filippownas, waren auch herbeigelaufen, um hinter den ein wenig aufgehobenen Portieren hervor mit tiefem Erstaunen und großer Angst zuzusehen.
»Was ist das«? fragte Nastasja Filippowna, indem sie ihre Blicke unverwandt und neugierig auf Rogoschin richtete und mit den Augen auf das Päckchen hinwies.
»Hunderttausend Rubel«, antwortete dieser fast flüsternd.
»Ah, er hat also Wort gehalten! Na, so ein Mensch. Setzen Sie sich, bitte; da, auf diesen Stuhl; ich werde Ihnen nachher etwas sagen. Wen haben Sie da bei sich? Das ist wohl die ganze Gesellschaft von vorhin? Nun, sie sollen hereinkommen und Platz nehmen; dort auf dem Sofa ist noch Platz; und da ist noch ein anderes Sofa. Da sind zwei Lehnsessel ... Was haben die Leute denn nur? Sie wollen wohl nicht?«
Manche waren in der Tat ganz verlegen geworden, zogen sich zurück und setzten sich im anstoßenden Zimmer hin, um dort zu warten; manche aber blieben da und nahmen auf die Einladung hin Platz, aber möglichst fern vom Tisch und möglichst in den Ecken; die einen wünschten immer noch gewissermaßen zu verschwinden; die andern aber gewannen, je ferner sie saßen, um so mehr Mut, und zwar mit überraschender Geschwindigkeit. Rogoschin setzte sich ebenfalls auf den ihm angewiesenen Sessel, blieb aber nicht lange sitzen; er stand bald wieder auf und setzte sich dann nicht mehr hin. Allmählich begann er die Gäste zu unterscheiden und deutlicher zu sehen. Als er Ganja erblickte, lächelte er boshaft und flüsterte vor sich hin: »Sieh mal an!« Den General und Afanasi Iwanowitsch betrachtete er ohne Verlegenheit und sogar ohne besonderes Interesse. Aber als er neben Nastasja Filippowna den Fürsten bemerkte, vermochte er längere Zeit nicht, seinen Blick von ihm loszureißen; er war äußerst erstaunt und anscheinend nicht imstande, sich das Zusammensein dieser beiden zu erklären. Man konnte vermuten, daß er sich zeitweilig in einem Zustand wirklicher Geistesverwirrung befand. Abgesehen von allen Erschütterungen, die ihm dieser Tag gebracht hatte, hatte er die ganze vorhergehende Nacht im Waggon zugebracht und schon fast seit achtundvierzig Stunden nicht geschlafen.
»Das sind hunderttausend Rubel, meine Herrschaften«, sagte Nastasja Filippowna, indem sie sich mit fieberhafter Ungeduld laut an alle Anwesenden wandte, »hier in diesem schmutzigen Päckchen. Heute am Tage schrie er wie ein Wahnsinniger, er werde mir am Abend hunderttausend Rubel bringen, und da habe ich denn immer auf ihn gewartet. Er hat mir nämlich ein Angebot gemacht: er fing mit achtzehntausend an; dann sprang er plötzlich auf vierzigtausend, und nun sind hier hunderttausend. Er hat Wort gehalten! O weh, wie blaß er aussieht ...! Das passierte heute alles in Ganjas Wohnung; ich war hingekommen, um seine Mama zu besuchen; zu meiner künftigen Familie war ich gekommen, und da schrie mir seine Schwester ins Gesicht: ›Schafft denn niemand dieses schamlose Weib hinaus?‹ – und ihrem Bruder Ganja spie sie ins Gesicht. Ein energisches Mädchen!«
»Nastasja Filippowna!« rief der General vorwurfsvoll.
Er begann die Sache ein wenig zu verstehen, wenigstens auf seine Art.
»Was haben Sie denn, General? Das ist wohl unschicklich, nicht wahr? Wenn ich im Französischen Theater in meiner Loge wie eine unberührbare Tugend aus der Beletage gesessen und alle, die in diesen fünf Jahren hinter mir her waren, wie menschenscheu gemieden und mir das Aussehen einer stolzen Unschuld gegeben habe, so hat mich zu diesem ganzen Benehmen nur meine Dummheit gebracht! Da ist nun dieser Mensch nach den fünf Jahren der Unschuld in Ihrer Gegenwart hergekommen und hat hunderttausend Rubel auf den Tisch gelegt, und gewiß stehen die Troiken dieser Leute schon da und warten auf mich. Auf hunderttausend Rubel hat er mich taxiert. Ganja, ich sehe, du bist auf mich immer noch böse? Hast du mich denn wirklich in deine Familie einführen wollen? Mich, Rogoschins Eigentum! Was hat der Fürst vorhin gesagt?«
»Ich habe nicht gesagt, daß Sie Rogoschins Eigentum seien; das sind Sie auch nicht!« sagte der Fürst mit zitternder Stimme.
»Nastasja Filippowna, laß es genug sein, meine liebe Freundin; laß es genug sein, Täubchen!« mischte sich Darja Alexejewna ein, die sich nicht länger beherrschen konnte. »Wenn sie dir alle so zuwider geworden sind, was brauchst du dich denn um sie zu kümmern? Du wirst doch nicht wirklich mit diesem Menschen davongehen wollen, und wenn er dir auch hunderttausend Rubel bietet! Es ist ja richtig: hunderttausend Rubel, das ist schon etwas! Nimm doch einfach die hunderttausend Rubel und jage ihn weg; so muß man es mit ihnen machen. Ach, ich würde sie an deiner Stelle alle ... was kann da weiter sein?«
Darja Alexejewna war ordentlich zornig geworden. Sie war eine gutherzige und sehr teilnahmsvolle Frau.
»Sei nicht ärgerlich, Darja Alexejewna«, erwiderte Nastasja Filippowna lächelnd; »ich habe es ihm ja nicht im Zorn gesagt. Habe ich ihm denn einen Vorwurf gemacht? Es ist mir auch ganz unbegreiflich, wie ich habe auf den dummen Gedanken kommen können, in eine ehrenhafte Familie einzutreten. Ich habe seine Mutter gesehen und ihr die Hand geküßt. Und wenn ich dich heute bei dir zu Hause verhöhnt habe, Ganja, so habe ich das absichtlich getan, um zum letztenmal zu sehen, wie weit du wohl zu gehen imstande wärest. Nun, du hast mich in Erstaunen versetzt, wahrhaftig. Ich hatte viel erwartet, aber das denn doch nicht! Konntest du dich denn wirklich dazu verstehen, mich zur Frau zu nehmen, obwohl du wußtest, daß der hier mir einen solchen Perlenschmuck ganz kurz vor deiner Hochzeit schenkt und ich ihn annehme? Und Rogoschin? Er hat ja in deiner Wohnung, in Gegenwart deiner Mutter und deiner Schwester, mir ein Gebot gemacht, und du bist doch trotz alledem hierhergekommen, um dich um meine Hand zu bewerben, und hättest beinah deine Schwester mitgebracht!