Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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mit der Miene eines Menschen, der darauf gefaßt ist, im nächsten Augenblick eine Ohrfeige zu erhalten.

      »Die Sache hat ihre Richtigkeit«, erklärte Ptizyn endlich, indem er den Brief wieder zusammenfaltete und dem Fürsten zurückgab. »Sie werden ohne alle Umstände auf Grund des unanfechtbaren Testaments Ihrer Tante ein sehr beträchtliches Kapital erhalten.«

      »Es ist unmöglich!« rief der General unwillkürlich.

      Alle rissen wieder den Mund auf.

      Sich vorzugsweise an Iwan Fjodorowitsch wendend, setzte Ptizyn die Sache folgendermaßen auseinander. Vor fünf Monaten sei eine Tante des Fürsten gestorben, die er nie persönlich gekannt habe, eine ältere Schwester seiner Mutter, die Tochter des Moskauer Kaufmanns dritter Gilde Papuschin, der Bankrott gemacht habe und in größter Armut gestorben sei. Aber der gleichfalls unlängst verstorbene ältere Bruder dieses Papuschin sei ein bekannter, reicher Kaufmann gewesen. Vor einem Jahr seien ihm fast in ein und demselben Monat seine beiden einzigen Söhne gestorben. Das habe der alte Mann sich so zu Herzen genommen, daß er bald darauf selbst erkrankt und gestorben sei. Er sei Witwer gewesen, und es seien absolut keine andern Erben dagewesen als die Tante des Fürsten, die Nichte Papuschins, eine sehr arme Frau, die bei fremden Leuten lebte. Zu der Zeit, als ihr diese Erbschaft zugefallen sei, habe diese Tante schon an Wassersucht todkrank gelegen, habe aber sofort Nachforschungen nach dem Fürsten anstellen lassen, womit Salaskin von ihr betraut worden sei, und vor ihrem Tod noch Zeit gehabt, ein Testament zu machen. Anscheinend hätten weder der Fürst noch der Arzt, bei dem er in der Schweiz gewohnt habe, auf eine amtliche Benachrichtigung warten oder Erkundigungen einziehen mögen; sondern der Fürst habe sich entschlossen, mit Salaskins Brief in der Tasche selbst nach Rußland zurückzukehren.

      »Ich kann Ihnen nur sagen«, schloß Ptizyn, sich an den Fürsten wendend, »daß das alles jedenfalls sicher und richtig ist und daß Sie alles, was Ihnen Salaskin über die Unanfechtbarkeit und Gesetzlichkeit Ihrer Ansprüche schreibt, so ansehen können, als hätten Sie bereits das bare Geld in der Tasche. Ich gratuliere Ihnen, Fürst! Vielleicht erhalten Sie anderthalb Millionen, möglicherweise auch noch mehr; denn Papuschin war ein sehr reicher Kaufmann.«

      »Es lebe der letzte Fürst Myschkin!« brüllte Ferdyschtschenko.

      »Hurra!« schrie Lebedjew mit seiner vom Trinken heiseren Stimme.

      »Und ich habe dem armen Schlucker heute noch fünfundzwanzig Rubel geliehen, hahaha! Das ist ja die reine Zaubervorstellung!« rief der General, der vor Erstaunen wie betäubt war. »Nun, ich gratuliere, ich gratuliere!«

      Er erhob sich von seinem Platz, ging zum Fürsten hin und umarmte ihn. Nach ihm standen auch die andern auf und drängten sich ebenfalls zum Fürsten heran. Sogar diejenigen, die sich hinter die Portiere zurückgezogen hatten, erschienen wieder im Salon. Ein buntes Stimmengetöse erhob sich; allerlei Ausrufe erschollen; man rief sogar nach Champagner; alles drängte und stieß sich; alle waren in geschäftiger Bewegung. Für einen Augenblick hatte man Nastasja Filippowna fast vergessen, und daß sie doch eigentlich bei ihrer Abendgesellschaft die Wirtin war. Aber allmählich trat allen fast gleichzeitig der Gedanke wieder vor die Seele, daß der Fürst ihr soeben einen Heiratsantrag gemacht habe. Die Sache erschien dadurch noch weit seltsamer und ungewöhnlicher als vorher. Tozki zuckte im höchsten Erstaunen die Schultern; er war fast der einzige, der sitzengeblieben war; der ganze übrige Schwarm drängte sich unordentlich um den Tisch. Alle behaupteten später, von diesem Augenblick an sei Nastasja Filippowna geistig gestört gewesen. Sie saß immer noch da und betrachtete eine Zeitlang alle mit einem sonderbaren, verwunderten Blick, wie wenn sie das alles nicht begriffe und sich Mühe gäbe, eine klare Vorstellung zu gewinnen. Dann wandte sie sich auf einmal zum Fürsten hin und sah ihn mit finster zusammengezogenen Brauen starr an; indes dauerte das nur einen Augenblick; vielleicht hatte sie auf einmal geglaubt, daß alles nur Scherz und Spott sei. Aber die Miene des Fürsten mußte sie vom Gegenteil überzeugen. Sie wurde nachdenklich; dann lächelte sie wieder, als wüßte sie selbst nicht recht, worüber sie eigentlich lächelte ...

      »Also bin ich wirklich eine Fürstin!« flüsterte sie gewissermaßen spöttisch vor sich hin und lachte, als sie zufällig nach Darja Alexejewna hinblickte, laut auf. »Eine unerwartete Lösung ...! So ... so hatte ich sie mir nicht gedacht ... Aber warum stehen Sie denn, meine Herrschaften? Bitte, setzen Sie sich doch und gratulieren Sie mir und dem Fürsten! Es hatte ja wohl jemand Champagner gewünscht; Ferdyschtschenko, gehen Sie doch einmal hin und bestellen Sie welchen! Katja, Pascha«, sagte sie zu ihren Dienstmädchen, die sie in diesem Augenblick an der Tür erblickte, »kommt heran; ich werde mich verheiraten; habt ihr es gehört? Mit dem Fürsten; der besitzt anderthalb Millionen; er ist ein Fürst Myschkin und nimmt mich zur Frau!«

      »Gott gebe dazu seinen Segen, liebste Freundin; es ist auch hohe Zeit! Das darfst du dir nicht entgehen lassen!« rief Darja Alexejewna, die durch diese Vorgänge tief erschüttert war.

      »Aber setzen Sie sich doch neben mich, Fürst!« fuhr Nastasja Filippowna fort. »So ist's recht; und da kommt auch der Champagner. Nun gratulieren Sie, meine Herrschaften!«

      »Hurra!« schrien viele Stimmen.

      Viele drängten sich zum Champagner hin; darunter befanden sich fast alle Begleiter Rogoschins. Aber obgleich sie bereitwillig schrien, so hatten doch viele von ihnen trotz der Seltsamkeit der Umstände und der Umgebung die Empfindung, daß sich ein Szenenwechsel vollzog. Andere waren verlegen und warteten mißtrauisch ab. Viele aber flüsterten einander zu, eigentlich sei an der Geschichte nichts Ungewöhnliches; was heirateten die Fürsten nicht oft für Frauen! Suchten sie sich doch manchmal ihre Weiber im Zigeunerlager aus! Rogoschin stand da und sah alle diese Vorgänge mit an; er hatte sein Gesicht zu einem starren, verständnislosen Lächeln verzogen.

      »Fürst, liebster Freund, so komm doch zu dir!« flüsterte der General ganz entsetzt, indem er von der Seite an ihn herantrat und ihn am Ärmel zupfte.

      Nastasja Filippowna bemerkte es und lachte.

      »Nein, General! Ich bin jetzt selbst eine Fürstin; haben Sie es gehört: der Fürst wird mich von niemand beleidigen lassen! Afanasi Iwanowitsch, gratulieren Sie mir doch! Ich werde jetzt überall neben Ihrer Gemahlin sitzen dürfen; meinen Sie nicht, daß es vorteilhaft ist, einen solchen Mann zu haben? Anderthalb Millionen, und dazu noch Fürst, und überdies noch, wie es heißt, ein Idiot: was will man mehr? Jetzt fängt erst das wahre Leben an! Du bist zu spät gekommen, Rogoschin! Nimm dein Päckchen wieder mit; ich heirate den Fürsten und bin selbst reicher als du!«

      Aber jetzt hatte Rogoschin endlich begriffen, um was es sich handelte. Ein unsägliches Leid prägte sich auf seinem Gesicht aus. Er schlug die Hände zusammen, und ein Stöhnen entrang sich seiner Brust.

      »Tritt zurück!« schrie er dem Fürsten zu.

      Ringsum wurde gelacht.

      »Er soll wohl zu deinen Gunsten zurücktreten?« fiel Darja Alexejewna triumphierend ein. »Seht doch, wie er das Geld auf den Tisch geworfen hat, der Plebejer! Der Fürst wird sie zur Frau nehmen; du aber warst zu unsittlichem Zweck hergekommen!«

      »Ich nehme sie auch zur Frau! Sofort nehme ich sie zur Frau, augenblicklich! Alles will ich hingeben ...«

      »Seht doch, kommt der Mensch betrunken aus der Schenke hierher! Davonjagen sollte man dich!« schalt Darja Alexejewna empört weiter.

      Das Gelächter wurde noch stärker.

      »Hörst du, Fürst«, wandte sich Nastasja Filippowna an diesen, »was der Plebejer deiner Braut für ein Angebot macht?«

      »Er ist betrunken«, erwiderte der Fürst; »er liebt Sie sehr.«

      »Wirst du dich auch später nicht schämen, daß deine Braut beinah mit Rogoschin weggefahren wäre?«

      »Sie fieberten; auch jetzt fiebern Sie und reden irre.«

      »Und wirst du dich nicht schämen, wenn die Leute später zu dir sagen werden, daß deine Frau früher Tozkis Geliebte