sofort ... schnell wie der Wind!«
Damit lief Lebedjew rasch aus dem Zimmer hinaus. Erstaunt blickte der Fürst das junge Mädchen, den Knaben und den auf dem Sofa liegenden jungen Mann an, die alle drei lachten. Auch der Fürst fing an zu lachen.
»Er ist gegangen, sich den Frack anzuziehen«, sagte der Knabe.
»Es tut mir außerordentlich leid ...«, begann der Fürst.
»Ich dachte schon ... Sagen Sie, ist er vielleicht ...«
»Sie meinen betrunken?« rief eine Stimme vom Sofa her.
»Nicht die Spur! Er hat vielleicht drei bis vier Gläschen getrunken, na, oder auch fünf; aber was will das bedeuten? Das ist ja ganz normal!«
Der Fürst wollte sich zu der vom Sofa herkommenden Stimme hinwenden; aber nun begann das junge Mädchen zu sprechen und fragte mit dem offenherzigsten Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht:
»Vormittags trinkt er nie viel; wenn Sie in einer geschäftlichen Angelegenheit zu ihm hergekommen sind, dann reden Sie jetzt mit ihm; es ist gerade die rechte Zeit. Wenn er abends nach Hause kommt, dann ist er allerdings manchmal betrunken; aber jetzt weint er meistens bis in die Nacht hinein und liest uns aus der Heiligen Schrift vor, weil unsere Mutter vor fünf Wochen gestorben ist.«
»Er ist wahrscheinlich deswegen weggelaufen, weil er noch nicht recht wußte, was er Ihnen antworten soll«, rief lachend vom Sofa her der junge Mann. »Ich möchte wetten, daß er vorhat, Sie zu betrügen, und sich jetzt überlegt, wie er es anzustellen hat.«
»Erst vor fünf Wochen! Erst vor fünf Wochen!« fiel der zurückkehrende Lebedjew ein, der inzwischen den Frack angezogen hatte. Er blinzelte mit den Augen und zog ein Taschentuch aus der Tasche, um sich damit die Tränen abzuwischen. »Meine Kinder sind mutterlos!«
»Aber warum kommen Sie denn in diesem zerlumpten Anzug herein?« sagte das Mädchen. »Da hinter der Tür haben Sie ja einen ganz neuen Oberrock liegen; haben Sie ihn nicht gesehen, nein?«
»Schweig still, du Schwätzerin!« schrie Lebedjew sie an.
»Willst du wohl!« Er trampelte wieder, um sie zu bedrohen, mit den Füßen.
Aber dieses Mal lachte sie nur. »Warum versuchen Sie, mich zu erschrecken? Ich bin ja nicht Tanja; ich werde nicht davonlaufen«, sagte sie. »Sie werden noch unsere kleine Ljubow hier aufwecken, und dann wird sie noch Krämpfe bekommen ... Weshalb schreien Sie denn so?«
»Nein, nein, nein! Schweig, schweig ...!« versetzte Lebedjew in größter Bestürzung, lief zu dem Kind hin, das auf dem Arm seiner Tochter schlief, und bekreuzte es mit erschrockener Miene mehrmals. »Herr Gott, erhalte sie mir; Herr Gott, erhalte sie mir! Das ist meine Kleinste, meine Tochter Ljubow«, wandte er sich an den Fürsten; »sie ist in legitimer Ehe von meiner unlängst verstorbenen Gattin Jelena geboren, die im Wochenbett starb. Und dieser Kiebitz hier ist meine Tochter Wjera, in Trauerkleidung. Und dieser, dieser, ja dieser ...«
»Nun? Bist du steckengeblieben?« rief der junge Mann.
»So fahr doch fort! Sei nicht verlegen!«
»Durchlaucht!« rief Lebedjew plötzlich mit Heftigkeit.
»Haben Sie von der Ermordung der Familie Schemarin in den Zeitungen gelesen?«
»Ja, ich habe davon gelesen«, erwiderte der Fürst einigermaßen verwundert.
»Nun, das ist hier der wahre Mörder der Familie Schemarin; er ist es, er!«
»Aber was reden Sie!« versetzte der Fürst.
»Das heißt, im übertragenen Sinn gesprochen; er ist der künftige zweite Mörder einer künftigen zweiten Familie Schemarin, wenn es noch einmal eine solche geben wird. Darauf bereitet er sich jetzt schon vor ...«
Alle lachten. Dem Fürsten kam der Gedanke, Lebedjew mache vielleicht wirklich diese Winkelzüge und Seitensprünge nur deshalb, weil er seine Fragen voraussehe, nicht wisse, was er darauf antworten solle, und Zeit zu gewinnen suche.
»Er revoltiert! Er stiftet Verschwörungen an!« schrie Lebedjew, als wenn er nicht mehr imstande wäre, sich zu beherrschen. »Na, bin ich denn imstande, na, bin ich denn berechtigt, einen solchen Verleumder, einen solchen Wüstling und Unmenschen als meinen leiblichen Neffen, als den einzigen Sohn meiner seligen Schwester Anisja anzuerkennen?«
»Hör doch auf, du betrunkenes Subjekt! Können Sie es glauben, Fürst, jetzt ist er auf den Einfall gekommen, sich mit Advokatur zu befassen und Vertretungen vor Gericht zu übernehmen; er hat sich auf die Rhetorik geworfen und redet mit seinen Kindern im Haus immer nur noch im höheren Stil. Vor fünf Tagen hat er vor den Friedensrichtern gesprochen. Und wen hat er da verteidigt? Nicht die alte Frau, die ihn gebeten und angefleht hatte, und die von so einem Schuft von Wucherer ausgeplündert worden war (fünfhundert Rubel, die ihr gehörten, ihr ganzes Vermögen, hatte der Mensch sich angeeignet), sondern eben diesen Wucherer selbst, einen gewissen Seidler, einen Juden, weil der versprochen hatte, ihm fünfzig Rubel zu geben ...«
»Fünfzig Rubel, wenn ich den Prozeß gewönne, und nur fünf, wenn ich ihn verlöre«, erklärte Lebedjew auf einmal in einer ganz andern Tonart als die, in der er bisher gesprochen hatte, und so, als ob er nie geschrien hätte.
»Na, er hat natürlich nichts ausgerichtet; es geht jetzt bei Gericht nicht mehr so zu wie ehemals; man hat ihn da nur ausgelacht. Aber er war mit sich sehr zufrieden. ›Denken Sie daran, meine unparteiischen Herren Richter‹, hat er gesagt, ›daß ein unglücklicher Greis, der nicht gehen kann und von seiner ehrlichen Arbeit lebt, seines letzten Stückes Brot beraubt wird; denken Sie an die weisen Worte des Gesetzgebers: Im Gericht soll Milde herrschen!‹ Und können Sie es glauben? Jeden Morgen deklamiert er uns hier dieselbe Rede vor, Wort für Wort, wie er sie da gehalten hat; es ist heute das fünftemal, daß er sie uns vorgetragen hat, jetzt eben, bevor Sie kamen; so gut hat sie ihm gefallen. Er sagt sich selbst darüber Elogen. Und er hat vor, noch so einen zu verteidigen. Sie sind ja wohl Fürst Myschkin? Kolja hat mir von Ihnen gesagt, Sie seien der klügste Mensch, der ihm bisher auf der Welt vorgekommen wäre ...«
»Das stimmt! Das stimmt! Der klügste Mensch auf der Welt!« fiel Lebedjew sofort ein.
»Na, der hier schwatzt das allerdings nur so hin. Der eine liebt Sie, und der andere möchte sich bei Ihnen in Gunst setzen; aber ich beabsichtige durchaus nicht, Ihnen zu schmeicheln; das sage ich Ihnen ein für allemal. Sie sind ja doch ein urteilsfähiger Mensch: seien Sie Schiedsrichter zwischen mir und ihm! Na, bist du damit einverstanden, daß der Fürst es übernimmt, unser Schiedsrichter zu sein?« wandte er sich an seinen Onkel. »Ich bin ordentlich froh, Fürst, daß Sie gerade hergekommen sind.«
»Ja, ich bin damit einverstanden!« rief Lebedjew in entschlossenem Ton und sah sich unwillkürlich nach dem Publikum um, das wieder heranzurücken begann.
»Aber was haben Sie denn eigentlich miteinander?« fragte der Fürst und runzelte ein wenig die Stirn.
Er hatte wirklich Kopfschmerzen und gelangte außerdem immer mehr und mehr zu der Überzeugung, daß Lebedjew ihm etwas vormachte und sich darüber freute, daß die Hauptsache hinausgeschoben wurde.
»Also Darlegung des Tatbestandes! Ich bin sein Neffe; darin hat er nicht gelogen, obwohl er sonst immer lügt. Ich habe mein Studium nicht beendet; aber ich will es beenden und werde meine Absicht durchsetzen; denn ich habe einen energischen Charakter. Inzwischen aber will ich, um zu existieren, eine Stellung bei der Eisenbahn mit fünfundzwanzig Rubeln Gehalt annehmen. Ich bekenne außerdem, daß er mir schon zwei- oder dreimal geholfen hat. Ich besaß zwanzig Rubel und habe sie verspielt. Können Sie es glauben, Fürst, ich war so gemein und nichtswürdig, das Geld zu verspielen!«
»An einen Schurken, an einen Schurken, dem er überhaupt nichts hätte bezahlen sollen!« schrie Lebedjew.
»Ja, an einen Schurken; aber bezahlen mußte ich es ihm«, fuhr der junge Mann fort. »Daß er aber ein Schurke ist, kann auch ich bezeugen, und zwar nicht deswegen, weil er dich durchgeprügelt