nicht die Spur betrunken bin ich!«
Lebedjew machte geradezu ein finsteres Gesicht.
»Sagen Sie mir: in welchem Zustand befand sie sich, als Sie sie verließen?«
»Sie suchte ...«
»Sie suchte?«
»Es war, als ob sie immer etwas suchte, als ob sie etwas verloren hätte. Was die bevorstehende Ehe betrifft, so war ihr sogar der Gedanke daran zuwider, und sie faßte die bloße Erwähnung derselben als Beleidigung auf. An ihn selbst denkt sie nicht mehr als an ein Stückchen Apfelsinenschale, das heißt: doch mehr, sie denkt an ihn mit Furcht und Schrecken und verbietet einem sogar, von ihm zu reden; sie sehen einander nur, wenn es unbedingt nötig ist ... und er empfindet das außerordentlich schmerzlich! Aber sie wird ihrem Schicksal doch nicht entgehen ...! Sie ist unruhig, spottlustig, launisch, zänkisch..«
»Launisch und zänkisch?«
»Ja, zänkisch; denn es fehlte das vorige Mal wenig daran, daß sie mich wegen etwas, was ich gesagt hatte, an den Haaren gerissen hätte. Ich wollte sie durch die Offenbarung des Johannes gesund machen.«
»Wie? Was?« fragte der Fürst, der sich verhört zu haben glaubte.
»Durch Vorlesen aus der Offenbarung des Johannes. Sie ist eine Dame mit einem unruhigen Geist, hehe! Überdies habe ich die Beobachtung gemacht, daß sie eine große Neigung zu ernsten, wenn auch abseits gelegenen Gesprächsgegenständen hat. Sie liebt dergleichen und faßt es sogar als ein Zeichen besonderer Hochachtung auf, wenn man von solchen Dingen anfängt. Ja. Ich bin in der Auslegung der Offenbarung stark und beschäftige mich damit schon seit fünfzehn Jahren. Sie stimmte mir darin bei, daß wir jetzt bei dem dritten Pferd, dem Rappen, angelangt sind und bei dem Reiter, der ein Maß in seiner Hand hat, da ja in jetziger Zeit alles nach dem Maß und dem Vertrag geht und alle Menschen nur ihr Recht suchen: ›Ein Maß Weizen um einen Denar und drei Maß Gerste um einen Denar ...‹, und dann möchten sie sich noch einen freien Geist und ein neues Herz und einen gesunden Leib und alle andern Gaben obendrein bewahren. Aber auf Grund des bloßen Rechts können sie sich das nicht bewahren, und danach folgt das fahle Pferd und der, dessen Name Tod heißt, und nach ihm kommt dann die Hölle ... Darüber reden wir, wenn wir zusammenkommen, und es hat bei ihr starke Wirkung getan.«
»Sie selbst glauben daran?« fragte der Fürst, indem er Lebedjew mit einem eigentümlichen Blick ansah.
»Ich glaube daran und lege es aus. Denn ich bin arm und nackt und ein Atom im Strudel der Menschheit. Und wer achtet Lebedjew? Jeder spottet über ihn, und jeder versetzt ihm einen Fußtritt. Aber dort, bei dieser Auslegung, stehe ich den Großen dieser Welt gleich. Denn dabei kommt es auf den Verstand an! Und es hat auch schon ein hoher Würdenträger vor mir gezittert, auf seinem Lehnstuhl, als ihm ein Licht aufging. Seine Exzellenz Nil Alexejewitsch hatte vor zwei Jahren vor Ostern von mir gehört (ich war damals noch in seinem Departement angestellt), ließ mich durch Peter Sacharowitsch expreß aus dem Bureau zu sich in sein Arbeitszimmer rufen und fragte mich unter vier Augen: ›Ist das wahr, daß du ein Verkünder des Antichrists bist?‹ Und ich leugnete nicht und sprach: ›Ich bin es.‹ Und ich legte ihm alles aus und stellte es ihm dar, und ich milderte das Schreckliche nicht, sondern steigerte es noch unvermerkt, indem ich die allegorische Bücherrolle öffnete, und zog Schlüsse aus den Zahlen. Und er lachte; aber bei den Zahlen und den Ähnlichkeiten fing er an zu zittern und bat mich, das Buch zu schließen und wegzugehen, und zu Ostern wies er mir eine Remuneration an, und in der zweiten Woche nach Ostern hauchte er seine Seele aus.«
»Was reden Sie da, Lebedjew?«
»Ich sage es, wie es gewesen ist. Er fiel nach dem Mittagessen aus seiner Equipage ... mit der Schläfe schlug er gegen einen Prellstein, und wie ein kleines Kind, ganz wie ein kleines Kind, war er auf dem Fleck tot. Dreiundsiebzig Jahre war er nach der Rangliste alt geworden; er hatte eine rötliche Gesichtsfarbe, graues Haar und besprengte sich ganz mit Parfüm; und immer lächelte er, immer lächelte er, wie ein kleines Kind. Peter Sacharowitsch erinnerte sich damals noch an das, was vorhergegangen war, und sagte zu mir: ›Du hast es vorhergesagt.‹«
Der Fürst erhob sich. Lebedjew wunderte sich und war sogar ganz befremdet, daß der Fürst schon fort wollte.
»Sie sind jetzt so gleichmütig geworden, hehe!« erlaubte er sich unterwürfig zu bemerken.
»Ich fühle mich in der Tat nicht ganz wohl; der Kopf tut mir weh, wohl von der Reise«, antwortete der Fürst mit finsterem Gesicht.
»Sie sollten aufs Land gehen«, riet Lebedjew schüchtern.
Der Fürst überlegte.
»Ich will selbst in drei Tagen mit meiner ganzen Familie nach meinem Landhaus ziehen, damit sich auch der Säugling da kräftigt, und damit hier im Haus unterdessen alles zurechtgemacht wird. Ich ziehe ebenfalls nach Pawlowsk.«
»Sie ziehen auch nach Pawlowsk?« fragte der Fürst rasch. »Wie geht denn das zu? Ziehen hier alle Leute nach Pawlowsk? Und Sie haben, wie Sie sagen, dort ein eigenes Landhaus?«
»Alle Leute ziehen nicht nach Pawlowsk. Mir hat Iwan Petrowitsch Ptizyn eines von den Landhäusern überlassen, die ihm für ein Billiges da zugefallen sind. Es ist ein hübscher Ort und hochgelegen und grün und billig, und es herrscht da bon ton, und auch Musik ist da; darum ziehen so viele nach Pawlowsk. Ich wohne übrigens nur in einem Nebengebäude; das Landhaus selbst ...«
»Das haben Sie wohl vermietet?«
»N-n-nein. Noch nicht ... noch nicht definitiv.«
»Vermieten Sie es mir!« schlug der Fürst schnell vor.
Gerade darauf schien es Lebedjew abgesehen zu haben. Dieser Gedanke war ihm wenige Augenblicke vorher durch den Kopf gegangen. Ein Bedürfnis nach einem Mieter hatte er übrigens gar nicht mehr; ein solcher hatte sich bereits gefunden und ihn benachrichtigt, er werde das Landhaus vielleicht mieten. Lebedjew wußte bestimmt, daß er es nicht »vielleicht«, sondern sicher mieten werde; aber jetzt war ihm auf einmal ein seiner Meinung nach vielversprechender Gedanke gekommen, das Landhaus dem Fürsten zu überlassen, unter Benutzung des Umstandes, daß der bisherige Interessent sich nur unbestimmt ausgedrückt hatte. »Das ist ja ein eigentümliches Zusammentreffen und eine ganz neue Wendung der Dinge«, das war seine Empfindung. Er nahm den Vorschlag des Fürsten ordentlich mit Entzücken an und machte auf dessen direkte Frage nach dem Preis nur eine abwehrende Handbewegung.
»Nun, wie Sie wollen«, sagte der Fürst. »Ich werde mich erkundigen, was üblich ist, und Sie sollen nicht zu Schaden kommen.«
Sie verließen nunmehr beide den Garten.
»Ich könnte Ihnen ... ich könnte Ihnen ... wenn es Ihnen erwünscht wäre, könnte ich Ihnen eine sehr interessante Mitteilung machen, hochverehrter Fürst; ich könnte Ihnen etwas mitteilen, was sich auf denselben Gegenstand bezieht«, murmelte Lebedjew, der glückselig neben dem Fürsten einherscharwenzelte.
Der Fürst blieb stehen.
»Darja Alexejewna hat ebenfalls ein Landhaus in Pawlowsk.«
»Nun, und?«
»Ein gewisse Dame ist mit ihr befreundet und beabsichtigt anscheinend, sie häufig in Pawlowsk zu besuchen. Sie hat dabei eine bestimmte Absicht.«
»Nun?«
»Aglaja Iwanowna ...«
»Ach, hören Sie auf, Lebedjew!« unterbrach ihn der Fürst, als sei bei ihm ein wunder Punkt berührt. »Das verhält sich alles anders. Sagen Sie mir lieber, wann Sie umziehen! Mir ist es je eher um so lieber, da ich im Gasthaus ...«
Während dieses Gesprächs hatten sie den Garten verlassen, waren, ohne nochmals in das Haus zu gehen, über den Hof gegangen und näherten sich nun dem Torpförtchen.
»Das beste wäre«, meinte Lebedjew schließlich, »wenn Sie gleich heute vom Gasthaus zu mir zögen; übermorgen ziehen wir dann alle zusammen nach Pawlowsk.«
»Ich werde es