Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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wohnt im Nebengebäude.«

      »Ist er verheiratet?«

      »Er ist Witwer. Wozu willst du das denn wissen?«

      Der Fürst blickte vor sich hin und erwiderte nichts; er war plötzlich in Gedanken versunken und schien die Frage gar nicht gehört zu haben. Rogoschin drang nicht auf eine Antwort, sondern wartete ruhig. Sie schwiegen beide. »Ich habe dein Haus, als ich näherkam, auf hundert Schritte als das deinige erkannt«, sagte der Fürst.

      »Woran denn?«

      »Das weiß ich schlechterdings nicht. Dein Haus hat die Physiognomie eurer ganzen Familie und eures ganzen Rogoschinschen Lebens; wenn du mich aber fragst, worauf sich diese meine Anschauung gründet, so kann ich dafür keine Erklärung geben. Es ist natürlich nur Einbildung. Ich bin sogar in Sorge darüber, daß mich solche Dinge so aufregen. Früher wäre mir gar nicht der Gedanke gekommen, daß du gerade in einem solchen Haus wohnen würdest; aber sowie ich es jetzt erblickte, mußte ich sofort denken: ›Ja, gerade so muß sein Haus aussehen!‹«

      »Nun sieh mal an!« versetzte Rogoschin mit einem unbestimmten Lächeln, ohne den unklaren Gedanken des Fürsten recht zu verstehen. »Dieses Haus hat noch der Großvater gebaut«, bemerkte er. »Es haben immer Skopzen darin gewohnt, die Familie Chludjakow; die wohnen auch jetzt hier zur Miete.«

      »Es ist hier so düster. Du sitzt hier auch so im Dunklen«, sagte der Fürst, indem er sich im Arbeitszimmer umsah.

      Es war ein großes, hohes, dunkles Zimmer, mit allerlei Möbeln vollgestellt, meist großen Arbeitstischen, Schreibtischen und Schränken, in denen Geschäftsbücher und Papiere aufbewahrt wurden. Ein breites, rotes Ledersofa diente offenbar als Rogoschins Bett. Der Fürst bemerkte auf dem Tisch, an dem ihn Rogoschin hatte Platz nehmen lassen, ein paar Bücher; eines von ihnen, Solowjows Geschichte Rußlands, war aufgeschlagen und mit einem Lesezeichen versehen. An den Wänden hingen in trüben Goldrahmen einige Ölgemälde, die so dunkel geworden waren, daß sich auf ihnen schwer etwas erkennen ließ. Ein lebensgroßes Porträt zog die Aufmerksamkeit des Fürsten auf sich: es stellte einen etwa fünfzigjährigen Mann dar, in einem langschößigen Rock von deutscher Fasson, mit zwei Medaillen am Hals, mit einem sehr dünnen, kurzen, grauen Bart, runzligem, gelbem Gesicht und mißtrauischem, verschlossenem, finsterem Blick.

      »Das ist wohl dein Vater?« fragte der Fürst.

      »Ja, das ist er«, antwortete Rogoschin mit einem unangenehmen Lächeln, als ob er vorhätte, im nächsten Augenblick irgendeinen ungenierten Scherz über seinen verstorbenen Vater zu machen.

      »War er ein Altgläubiger?«

      »Nein, er ging in die Kirche; aber er sagte allerdings, der alte Glaube sei richtiger. Auch vor den Skopzen hat er Achtung gehabt. Dies hier war sein Arbeitszimmer. Warum fragst du danach, ob er altgläubig war?«

      »Wirst du die Hochzeit hier feiern?«

      »J-ja«, antwortete Rogoschin, der bei der unerwarteten Frage zusammenzuckte.

      »Werdet ihr bald heiraten?«

      »Du weißt ja selbst, daß das nicht von mir abhängt.«

      »Parfen, ich bin nicht dein Feind und beabsichtige nicht, dir irgendwie hinderlich zu sein. Ich wiederhole dir das jetzt ebenso, wie ich es dir früher einmal in einem fast gleichen Augenblick ausgesprochen habe. Als in Moskau deine Hochzeit bevorstand, bin ich dir nicht hinderlich gewesen; das weißt du. Das erstemal kam sie selbst zu mir hingestürzt, unmittelbar vor der Trauung, und bat mich, sie vor dir zu ›retten‹. Ich wiederhole dir ihren eigenen Ausdruck. Dann ist sie auch von mir weggelaufen; du hast sie wieder ausfindig gemacht und zum Altar geführt, und da ist sie, wie es heißt, wieder von dir weggelaufen, hierher. Ist das wahr? Mir hat es Lebedjew so mitgeteilt, und darum bin ich hergereist. Daß ihr euch aber hier wieder geeinigt habt, das habe ich erst gestern zum erstenmal von einem deiner früheren Freunde gehört, von Saloschew, wenn du es wissen willst. Hierhergefahren bin ich aber in folgender Absicht: ich wollte sie endlich überreden, zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit ins Ausland zu reisen. Sie ist körperlich und seelisch sehr heruntergekommen, namentlich hat ihr Kopf stark gelitten, und sie bedarf meines Erachtens sorgsamster Pflege. Ich wollte sie nicht selbst ins Ausland begleiten, sondern hatte in Aussicht genommen, alles Nötige ohne meine persönliche Anwesenheit einzurichten. Ich sage dir die reine Wahrheit. Wenn es wirklich zutrifft, daß ihr euch wieder geeinigt habt, dann werde ich ihr gar nicht vor Augen treten und auch zu dir nie wieder kommen. Du weißt selbst, daß ich dich nicht täusche, da ich immer gegen dich aufrichtig gewesen bin. Wie ich darüber denke, daraus habe ich dir nie ein Hehl gemacht und habe dir immer gesagt, daß es ihr sicheres Verderben ist, wenn sie deine Frau wird. Und auch dein Verderben wird es sein, vielleicht in noch schlimmerem Grad als das ihre. Wenn ihr euch wieder trenntet, so wäre das für mich eine große Beruhigung; aber meinerseits euch zu veruneinigen und auseinanderzubringen, ist nicht meine Absicht. Sei doch ruhig und hege keinen Argwohn gegen mich! Du weißt ja doch selbst, daß ich niemals dein wirklicher Nebenbuhler gewesen bin, selbst damals nicht, als sie sich zu mir geflüchtet hatte. Du lachtest jetzt eben, und ich weiß, warum du es tust. Aber wir haben dort getrennt gelebt, sie und ich, und dann sogar in verschiedenen Städten, und du weißt das alles doch ganz genau. Ich habe dir ja auch schon früher auseinandergesetzt, daß ich sie nicht aus Liebe, sondern aus Mitleid liebe. Ich meine, ich habe das damals klar dargelegt. Du sagtest damals, du hättest diese meine Worte verstanden, nicht wahr? Hast du sie auch wirklich verstanden? Oh, wie voll Haß du mich ansiehst! Ich bin hergekommen, um dich zu beruhigen, weil auch du mir teuer bist. Ich habe dich sehr lieb, Parfen. Ich gehe jetzt und komme niemals wieder. Lebe wohl!«

      Der Fürst stand auf.

      »Bleib noch ein Weilchen bei mir sitzen!« sagte Parfen leise; er erhob sich nicht von seinem Platz und legte den Kopf in die rechte hohle Hand. »Ich habe dich lange nicht gesehen.«

      Der Fürst setzte sich wieder. Beide schwiegen.

      »Wenn ich dich nicht vor mir sehe, fühle ich gleich gegen dich einen Groll, Ljow Nikolajewitsch. In diesen drei Monaten, wo ich dich nicht gesehen habe, bin ich jeden Augenblick auf dich ergrimmt gewesen, das weiß Gott! Ich hätte dich vergiften mögen! So steht das. Und jetzt hast du nun doch nicht eine Viertelstunde bei mir gesessen, und schon ist mein ganzer Groll vergangen, und du bist mir wieder lieb und wert wie früher. Bleib noch ein Weilchen bei mir sitzen ...!«

      »Wenn ich bei dir bin, dann glaubst du mir, und wenn ich nicht da bin, dann hörst du gleich auf, mir zu vertrauen, und hast mich wieder im Verdacht. Du artest ganz nach deinem Vater«, antwortete der Fürst freundlich lächelnd und bemüht, seine Rührung zu verbergen. »Ich glaube dem Klang deiner Stimme, wenn ich bei dir sitze. Ich verstehe ja, daß wir beide, du und ich, nicht miteinander zu vergleichen sind ...«

      »Warum fügst du das hinzu? Und gleich bist du wieder in gereizter Stimmung«, versetzte der Fürst, der sich über ihn wunderte.

      »Wir werden nicht nach unserer Meinung gefragt, was wir für einen Charakter haben wollen«, antwortete jener; »der wird ohne unser Zutun bestimmt. Wir beide lieben ja auch auf verschiedene Weise; es ist eben in allem ein Unterschied«, fuhr er nach kurzem Stillschweigen leise fort. »Du liebst sie, wie du sagst, aus Mitleid. Von solchem Mitleid mit ihr ist bei mir nichts vorhanden. Und sie haßt mich ja auch, haßt mich mehr als irgendeinen andern Menschen. Ich träume jetzt jede Nacht von ihr, und zwar immer, daß sie sich mit einem andern über mich lustig macht. So steht die Sache, Bruder. Sie geht mit mir zum Traualtar und denkt dabei an mich mit keinem Gedanken; sie hat dabei keine andere Empfindung, als wenn sie die Schuhe wechselte. Wirst du es glauben? Fünf Tage habe ich sie nicht gesehen, weil ich nicht wage zu ihr hinzufahren; ich fürchte, sie fragt mich: ›Warum bist du hergekommen?‹ Und wie oft hat sie mir Schimpf angetan ...«

      »Dir Schimpf angetan? Was redest du!«

      »Als ob du es nicht wüßtest! Sie ist ja doch von mir unmittelbar vor der Trauung mit dir weggelaufen; das hast du ja eben selbst gesagt.«

      »Aber du wirst doch nicht glauben, daß ...«

      »Und hat sie