alle frechen, unverschämten Gesellen deiner Art habe ich damals gebetet, wie du wissen wirst, da du mich niemals bei meinem Gebet hast belauschen mögen ...«
»Na, nun hör nur auf; laß es genug sein; bete, für wen du willst; hol dich der Teufel; warum bist du so ins Schreien hineingekommen?« unterbrach ihn der Neffe ärgerlich.
»Er ist außerordentlich belesen, Fürst; haben Sie das schon gewußt?« fügte er mit einem ungeschickten Lächeln hinzu. »Er liest jetzt immer Memoiren und allerlei andere Bücher.«
»Ihr Onkel ist aber bei alledem kein herzloser Mensch«, bemerkte der Fürst etwas unwillig.
Dieser junge Mann wurde ihm sehr zuwider.
»Sie werden ihn uns am Ende noch durch Ihr Lob verderben! Sehen Sie nur, wie er gleich die Hand aufs Herz legt und einen spitzen Mund macht; das ist ihm süß eingegangen! Herzlos ist er nicht, meinetwegen; aber ein Spitzbube ist er, das ist das Malheur; und außerdem ist er auch noch ein Trunkenbold und ist wie jeder Mensch, der ein paar Jahre lang getrunken hat, ganz aus dem Leim gegangen, so daß alles an ihm knarrt. Die Kinder hat er allerdings lieb, und meine selige Tante hat er gut behandelt ... Sogar mich hat er lieb, und er hat mir gewiß in seinem Testament einen Teil seines Vermögens hinterlassen.«
»Nichts hinterlasse ich dir!« schrie Lebedjew ingrimmig.
»Hören Sie mal, Lebedjew«, sagte der Fürst in bestimmtem Ton, indem er sich von dem jungen Mann abwandte, »ich weiß ja aus Erfahrung, daß Sie, wenn Sie wollen, auf geschäftlichem Gebiet Tüchtiges leisten können ... Ich habe jetzt sehr wenig Zeit, und wenn Sie ... Entschuldigen Sie, wie ist doch Ihr Vor-und Vatersname? Ich habe es vergessen.«
»Ti-Ti-Timofej.«
»Und?«
»Lukjanowitsch.«
Alle, die im Zimmer anwesend waren, lachten wieder laut auf.
»Er lügt!« rief der Neffe. »Auch darin lügt er! Er heißt gar nicht Timofej Lukjanowitsch, Fürst, sondern Lukjan Timofejewitsch! Na, nun sag selbst, warum hast du denn gelogen? Dir kann es doch gleich sein, ob du Lukjan oder Timofej heißt, und was hat der Fürst daran für ein Interesse? Er schwindelt nur aus reiner Angewohnheit, versichere ich Ihnen!«
»Ist das wirklich wahr?« fragte der Fürst ungeduldig.
»Ich heiße allerdings Lukjan Tomofejewitsch«, gestand Lebedjew verlegen ein, indem er demütig die Augen niederschlug und wieder die Hand aufs Herz legte.
»Aber warum tun Sie denn das? Ich bitte Sie!«
»Aus Selbsterniedrigung«, flüsterte Lebedjew, der seinen Kopf immer tiefer und immer demütiger herabsinken ließ.
»Ach was! Was liegt denn darin für eine Selbsterniedrigung! Wenn ich nur wüßte, wo Kolja jetzt zu finden ist!« sagte der Fürst und wollte sich schon umdrehen, um wegzugehen.
»Ich will Ihnen sagen, wo Kolja ist«, erbot sich wieder der junge Mann.
»Nein, nein, nein!« rief Lebedjew aufgeregt und hastig.
»Kolja hat hier übernachtet, ist aber am Morgen weggegangen, um seinen General zu suchen, den Sie, Fürst, Gott weiß warum aus dem Schuldgefängnis losgekauft haben. Der General hatte noch gestern versprochen, er würde hierherkommen, um hier zu übernachten; aber er ist nicht gekommen. Am wahrscheinlichsten ist er die Nacht über im Gasthaus ›Zur Waage‹, nicht weit von hier, gewesen. Kolja ist also entweder dort oder in Pawlowsk bei Jepantschins. Er hatte Geld und wollte noch gestern hinfahren. Also er ist in der ›Waage‹ oder in Pawlowsk.«
»In Pawlowsk, in Pawlowsk wird er sein ...! Aber wir wollen in unser Gärtchen gehen und ... ein Täßchen Kaffee ...«
Und Lebedjew zog den Fürsten an der Hand hinaus. Sie verließen das Zimmer, durchschritten einen kleinen Hof und passierten ein Pförtchen. Dort befand sich wirklich ein sehr kleines, sehr hübsches Gärtchen, in welchem dank dem guten Wetter schon alle Bäume grün waren. Lebedjew ließ den Fürsten auf einem grün angestrichenen Holzbänkchen an einem in die Erde gegrabenen Tisch Platz nehmen und setzte sich selbst ihm gegenüber. Nach kurzer Zeit wurde wirklich der Kaffee gebracht. Der Fürst lehnte ihn nicht ab. Lebedjew fuhr fort, ihm mit kriecherischer Miene in großer Spannung in die Augen zu sehen.
»Ich wußte gar nicht, daß Sie ein so hübsches Hauswesen haben«, sagte der Fürst; aber sein Gesicht machte den Eindruck, als ob er an etwas ganz anderes dächte.
»Wir sind arme, unglückliche ...«, begann Lebedjew, sich zusammenkrümmend; aber er hielt inne.
Der Fürst blickte zerstreut vor sich hin und hatte seine letzte Bemerkung offenbar schon wieder vergessen. Es verging noch ungefähr eine Minute. Lebedjew beobachtete den Fürsten und wartete. »Nun also, wie steht es?« fragte der Fürst, der aus seinen Gedanken zu sich zu kommen schien. »Sie wissen ja selbst, Lebedjew, was wir beide miteinander zu verhandeln haben: ich bin infolge Ihres Briefes hergekommen; nun reden Sie!«
Lebedjew wurde verlegen; er wollte etwas sagen, brachte aber nur stotternde Laute heraus und konnte nichts Deutliches von sich geben. Der Fürst wartete ein Weilchen und lächelte trüb.
»Ich glaube Sie sehr gut zu verstehen, Lukjan Tomofejewitsch: Sie haben mich wahrscheinlich nicht erwartet. Sie dachten, ich würde mich aus meiner Zurückgezogenheit nicht gleich auf Ihre erste Benachrichtigung hin aufmachen, und schrieben mir, um Ihr Gewissen zu beruhigen. Aber Sie sehen, ich bin hergekommen. Nun lassen Sie es genug sein, und täuschen Sie mich nicht weiter! Hören Sie auf, zwei Herren zu dienen! Rogoschin ist schon drei Wochen hier; ich weiß alles. Haben Sie es schon wieder fertiggebracht, sie ihm zu verraten und zu verkaufen wie damals? Sagen Sie die Wahrheit!«
»Der Unmensch hat es selbst erfahren, ganz allein.«
»Schimpfen Sie nicht auf ihn; er hat Sie ja freilich schlecht behandelt ...«
»Geprügelt hat er mich, geprügelt!« fiel Lebedjew in großer Erregung ein. »Mit einem Hund hat er mich in Moskau gehetzt, die ganze Straße entlang, mit einem Jagdhund. Es war ein schreckliches Tier!«
»Sie halten mich für ein kleines Kind, Lebedjew. Sagen Sie mir im Ernst: hat sie ihn jetzt in Moskau verlassen?«
»Im Ernst, im Ernst, und wieder unmittelbar vor der Trauung. Der zählte schon die Minuten; aber sie reiste hierher nach Petersburg und kam geradewegs zu mir: ›Rette mich, beschütze mich, Lukjan‹, sagte sie, ›und sage dem Fürsten nichts ...!‹ Sie fürchtet sich vor Ihnen, Fürst, noch mehr als vor ihm, und das ist das Rätselhafte!« Lebedjew hielt mit schlauer Miene den Finger an die Stirn.
»Und jetzt haben Sie die beiden nicht wieder zusammengeführt?«
»Durchlauchtigster Fürst, was konnte ... was konnte ich dagegen tun?«
»Nun genug! Ich werde selbst alles in Erfahrung bringen. Sagen Sie mir nur: wo ist sie jetzt? Bei ihm?«
»O nein, ganz und gar nicht! Sie lebt immer noch ganz für sich. Sie sagt: ›Ich bin frei‹, und wissen Sie, Fürst, das ist bei ihr immer der Refrain: ›Ich bin noch vollkommen frei‹, sagt sie. Sie wohnt immer noch in der Petersburgskaja, im Haus meiner Schwägerin, wie ich Ihnen ja auch geschrieben habe.«
»Ist sie auch jetzt dort?«
»Ja, wenn sie nicht bei dem schönen Wetter in Pawlowsk ist, bei Darja Alexejewna, in deren Landhaus. Sie sagt: ›Ich bin vollkommen frei!‹ Noch gestern hat sie sich Nikolai Ardalionowitsch gegenüber sehr ihrer Freiheit gerühmt. Ein übles Zeichen!«
Lebedjew schmunzelte.
»Ist Kolja oft bei ihr?«
»Er ist leichtsinnig und unberechenbar und nicht diskret.«
»Sind Sie in neuerer Zeit dagewesen?«
»Ich gehe alle Tage hin, alle Tage.«
»Also waren Sie auch gestern da?«
»N-nein,