Erika Frank

Im Bett mit Palermo


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Das Essen war ganz gut“, meinte ich. Heute früh hatte der Sohn der Hotelchefin Dienst. Adolfo meinte zu mir, ich könne das Zimmer verlassen, wann ich wollte. „Danke, sehr großzügig“, sagte ich. Sie unterhielten sich. Ich verstand nicht viel und sagte dann: „Ich gehe mal zum Markt und bin in einer Stunde wieder zurück, dann ziehe ich um. Ich muss mir ein Paar Flipflops kaufen.“ „Ja, die bekommen Sie da. Da bekommen Sie alles“, meinte Massimo. Beide Herren musterten mich, gekleidet in schwarzen Jogginghosen, Modell Capri Tights, Shirt und Turnschuhen, von oben bis unten, als ich aufstand. „Bis später“, verabschiedete ich mich verlegen.

      Der Markt, bestehend aus zwei Märkten, war langgezogen. Ich begann mit dem Mercato Capo. Vorbei an Ständen mit Handy- und iPad-Hüllen, billigem Firlefanz aus Asien, dann an Fischständen mit Doraden, Rotbarben, Schwertfischköpfen, Tuna, Austern, getrocknetem Stockfisch, Obst- und Gemüseständen. Vorbei an Gewürzständen, vor denen ich öfter stehen blieb, um das riesige Angebot näher zu betrachten. Außerdem roch es so gut. Arabische, sizilianische, afrikanische, asiatische Händler boten eine Vielfalt von Waren an. Ich glaubte, hier bekam man wirklich alles. Geschrei, Marktabfälle, ratternde Vespas, Abgase, diverse Gerüche nervten und ich wollte so schnell als möglich meine Flipflops finden und dann wieder weg von dort. Noch nie war ich ein großer Fan von Märkten. Nach einer Stunde fand ich dann endlich die Flipflops, für nur drei Euro und eilte zurück ins Hotel, denn ich wollte das Zimmer pünktlich räumen. Gegen zehn Uhr war ich wieder im Hotel. Schnell wechselte ich meine Kleidung, griff nach meiner engen Jeans und dem dunkelblauen Shirt mit der Aufschrift Fast Living und schlüpfte in die Turnschuhe. Rasch stopfte ich meine Sachen in den Koffer. Als ich soweit war und in die Lobby eintrat, erschien im gleichen Moment auch Massimo. Er nahm mir den Koffer ab und trug ihn in mein Zimmer. Woher wusste er, dass ich fertiggepackt hatte? Kurz nach elf Uhr betrat ich mein neues Zimmer, das später meinen Vornamen Eva-Marie er­hielt. Der Inneneinrichter war gerade damit beschäftigt, ein Raffrollo zu montieren. Massimo stellte meinen Koffer an die noch kahle Wand neben das Bett, wo ein paar Monate später ein Plexiglasschreibtisch mit einem Thonett-Stuhl stehen sollten und wechselte ein paar Worte mit dem Monteur. Ich legte meinen Stadtführer auf das Beistelltischchen und meine sportliche braune Umhängetasche aufs Bett. Massimo führte mich noch einmal in die Lobby und erklärte mir, welche baulichen Änderungen hier vom Architekten vorgenommen worden waren. Seine Jugendzeit hatte er hier bei seinem Onkel verlebt. Aus dieser ehemals sehr großen Wohnung waren die jetzigen Apartments entstanden. „Gefällt Ihnen die Tapete?“, fragte er mich. „Ja, ich finde alles sehr schick und gelungen.“ „Stellen Sie sich dort an die Wand“, sagte er zu mir und griff nach meinem Handy. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Wand, der einzigen, die mit einer eleganten, gestreiften Tapete beklebt war, legte meine Handflächen auf die Wand, grinste mit verschlossenem Mund kopfschüttelnd verlegen in die Kamera. Ich ging auf ihn zu, um mir das kurze Video anzusehen. Wir betraten wieder mein Zimmer. Massimo stellte sich entspannt ans Fußende des Bettes und beobachtete den jungen Monteur, der gerade das weiße Raffrollo vorsichtig abrollte und jetzt in Fensterbretthöhe war. „Gefällt Ihnen dieses halbtransparente Rollo?“, fragte er mich. „Ja, es sieht super aus. Schick.“ Ich fotografierte Massimo, der entspannt mit runterhängenden Armen, bekleidet mit einer Jeans und einem olivgrünen Hemd, das in der Hose steckte, den Monteur bei der Arbeit beobachtete. Es dauerte nicht mehr lange und der Monteur nahm sein Werkzeug und verabschiedete sich. Massimo erklärte mir kurz die Bedienung mit den seitlichen Schnüren. Ich war so entspannt, hatte keine Hintergedanken, ich fühlte mich einfach wohl, dachte weder an Sex noch an Liebe. Bevor auch er ging, fragte er mich, ob ich Lust hätte, morgen, am Samstag, mit ihm auf den Monte Pellegrino zu fahren. „Ja, sicher. Ich habe Lust. Ich bin neugierig. Ich möchte hier alles kennenlernen.“

      Ich hatte mich schon innerlich entschieden, doch länger zu bleiben und sagte zu ihm: „Ich denke, ich bleibe länger.“ „Sie können bleiben so lange Sie wollen. Das Zimmer ist für Sie reserviert“, bestätigte er. Mein Gott war der unkompliziert, dachte ich und sagte: „Danke.“

      „Ich hole Sie morgen um zehn Uhr ab und zeige Ihnen den Monte Pellegrino, den Pilger­berg.“

      „Oh das ist ja toll! Danke im Voraus.“

      „Ich komme mit dem Motorrad.“

      „Wir fahren mit dem Motorrad? Wie geil!“ Na das ging ja ab hier. Wie nett, dass mich der Gastgeber herumfuhr und mir seine Stadt zeigte, auch wenn unsere Kommunikation auf Italienisch für mich genauso anstrengend war wie für ihn. Wie ein kleines Kind freute ich mich auf diesen Ausflug und wartete am nächsten Tag überpünktlich in der Lobby. Er kam wenige Minuten nach zehn Uhr. Wir setzten uns kurz auf die Couch. „Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer.“ Er tippte seine Telefonnummer und E-Mail-Adresse in mein iPhone. Dann fuhren wir los. Wieder wusste ich nicht, wo und wie ich mich festhalten konnte. Er gab mir zu verstehen, ich solle die Hände um ihn legen: „So“, sagte er und griff erst nach meinem rechten Arm, den er um seinen Bauch legte und dann schnappte er den linken Arm. Ich konnte unter dem Blouson und dem dunkelblauen Poloshirt seinen weichen Bauch fühlen. Was für ein schöner sonniger Morgen! War das eine spannende Fahrt hoch auf den Berg! An diesem Vormittag waren nur wenige Leute unterwegs. Wir überholten einige Radfahrer, die ich laut bewunderte, indem ich Massimo ins Ohr schrie: „Die sind ja super trainiert. Ich würde den Berg nicht hochkommen. Du?“ Er lachte nur. Oben angekommen parkten wir und besuchten im Schnelldurchgang die Kapelle Santa Rosalia. Er erklärte mir vieles auf Italienisch. Ich nickte nur mit dem Kopf und reimte mir aus Wortfetzen wie Marmor, Gold und anderen, die ich verstand, einiges zusammen. Später las ich in meinem Reiseführer nach, dass Goethe den Monte Pellegrino in seinem Reisebericht "Die Italienische Reise" als das schönste Vorgebirge der Welt beschrieb. In den Sommermonaten ist dieser Berg ein beliebtes Ausflugsziel der Palermitaner. Auf einer Aussichtsplattform mit einer Statue der Santa Rosalia gibt es regelmäßig Musik- und Theateraufführungen. Jährlich, am 14. und 15. Juli, feiert man die heilige Rosalia beim Festino. Im September findet zu Ehren der Schutzheiligen alljährlich eine Wallfahrt auf den Berg statt, die Acchianata Santa Rosalia. Als ich ein paar Minuten nach Massimo die Kapelle verließ, ging ich auf ihn zu und fotografierte ihn beim Telefonieren. Er lächelte in meine Kamera. „Kommen Sie, ich fotografiere Sie auch“, sagte er zu mir. „Ja, aber mit dem Motorrad“, antwortete ich. Wir liefen an den von nur wenigen Touristen besuchten Souvenirständen mit kirchlichem Krimskrams wie dem Papst in Lebensgröße vorbei. Nach einer Viertelstunde gingen wir zum Motorrad und fuhren zu einer anderen Aussichtsplattform. Ständig fotografierte er mich. Dabei fühlte ich mich sexy und hatte ein warmes Gefühl im Bauch. Er wollte eine andere Abfahrt nehmen. Doch mussten wir umkehren, denn der Weg war gesperrt. Schade. Immer wieder hielt er am Straßenrand, damit ich mit dem Handy Fotos machen konnte und er erklärte mir die Gegend. Es war ein unvergesslicher Ausflug. Der Blick auf die malerische Bucht, in der Palermo lag, die man La Conca d`Oro, die goldene Muschel, nannte, war faszinierend. Der blaue Himmel und das Meer verschmolzen miteinander. Die Bucht, flankiert von dem sechshundertsechs Meter hohen Monte Pellegrino im Norden und dem Capo Mongerbino im Osten, wo einst Orangen- und Zitronenplantagen blühten, war heute ein gigantischer Maloch aus Beton, vielen Hochhäusern am Stadtrand, wo heute fast eine Million Menschen lebten. Auf dem Rückweg zeigte er mir den Hafen, wo zahlreiche ziemlich heruntergekommene Fischerboote angelegt hatten. Fischer reparierten ihre Netze. Massimo grüßte jemanden und meinte zu mir, dass das sein Boot sei, das er vermietet hätte. Kinder spielten am schmalen, vermüllten und verdrecktem Sandstrand. Dann suchte er noch einen Schlosser auf und fragte sich nach der Adresse durch, an die er sich nicht genau erinnerte. Er schlängelte sich durch die schmalen Gassen vor und zurück, hin und her, bis er den kleinen Laden, über dessen Tür ein riesiger Schlüssel hing, fand. Während er ins Geschäft eintrat, fotografierte ich draußen die alten Häuser. Zwei Stunden später setzte er mich wieder vor dem Hotel ab und verabschiedete sich. Gern hätte ich den Rest des Tages mit ihm verbracht.

      Samstagnachmittag und Sonntag verbrachte ich am Strand der Palermitaner: Mondello. Was für ein klangvoller Name für einen Badeort mit einem etwa eineinhalb Kilometer langen feinen Sandstrand, in einer Bucht mit herrlichem türkisfarbenem Wasser. Elegante Jugendstilvillen und andere Residenzen umgeben von duftenden Gärten, die einst die Adli­gen von Palermo hier errichteten, ziehen heute viele Touristen und Palermitaner an. Als ich Sonntag auf einer Bank saß und die Fischer beobachtete,