Erika Frank

Im Bett mit Palermo


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auszustrecken. So eine lange Fahrt auf dem Motorrad war ich nicht gewöhnt. Und die neuen Schuhe drückten, denn meine Füße schwellten von der warmen Luft, die der heiße Motor von sich gab, an. War ich froh, als er tanken musste! Endlich konnte ich meine Beine ausschütteln. Schon ganz zappelig saß ich auf dem Sozius, versuchte aber, es ihm nicht zu zeigen. Wenn er mich fragte, ob alles okay sei, antwortete ich immer mich an ihn drückend, dass alles in Ordnung sei. Endlich kamen wir in dem Dorf an. Rechts rum, links, dann scharf rechts. Er stoppte, griff nach dem Schlüssel und öffnete die elektronische Toreinfahrt. Wir fuhren bergan die Hauptallee, die eingerahmt war von hohen mächtigen Pinien und hielten vor einem kleinen Landhaus mit verschlossenen dunkelbraunen Fensterläden. Wunderschön, dachte ich. Wir stiegen ab. Er parkte das Motorrad vor der breiten mehrstufigen Mar­mortreppe. Er öffnete die Holzläden vor der Eingangstür, schloss auf und wir traten ein. Ich nahm vor Aufregung von dem Raum so gut wie nichts wahr. Die geschlossenen Fensterläden machten den Raum dunkel und kühl. Er stellte die Tasche ab und nahm mich sofort in die Arme. Dann begrüßten wir uns erstmal richtig. Wir knutschten uns zwei Meter vom Eingang entfernt stehend wie wild ab. Erhitzt und erregt führte mich Massimo eng an sich ziehend durch einen Flur ins Schlafzimmer. Auch hier war es schummrig. Ich nahm nur das große Bett wahr. Wir rissen uns gegenseitig die Kleider vom Leib und ließen alles auf den Terrazzo Boden fallen. Schreiend vor Sehnsucht liebten wir uns. Hier konnten wir so laut schreien, hier würden wir niemanden durch unsere Geräusche belästigen, hier gab es weit und breit kein Haus. Nach unserem Liebesakt musste ich mich ausruhen, während Massimo aufgestanden und arbeiten gegangen war. Als ich aufgestanden war, sah ich mich im Haus um. Es hatte drei Bäder. Zu jedem Schlafzimmer gehörte ein Bad. Die Anrichten, der Sims über dem Kamin und die Wände waren überfüllt mit Fotorahmen von seiner Familie und irgendwelchem alten Schnickschnack. Es sah unaufgeräumt aus. Der Badezimmerschrank im angrenzenden Bad zu unserem Schlafzimmer war voll mit abgelaufener Kosmetik. Seine Partnerin war seit vielen Jahren nicht mehr hier gewesen. Das Landleben interessierte sie und ihre Kinder nicht. Sie genossen das Stadtleben. Es war ähnlich wie bei einem meiner Ex-Lover. Das Sommerhaus blieb nachdem die Familie auseinandergebrochen war, nach der Scheidung, unverändert. Jahreskalender aus dem Jahr der Scheidung hingen noch Jahre später an den Wänden. Nicht ein Möbelstück war ersetzt oder verrückt worden. In einem der Kinderzimmer schlief er, wenn er allein in dem Haus war. Sind Männer so gepolt? Können sie nicht mit der Vergangenheit abschließen?

      Ich ging auf die Terrasse, die an der Frontseite begann und weiter an der rechten Giebel­wand verlief, von einer kniehohen Klinkermauer eingesäumt, über die man in den weiten Olivenhain und auf die gelblichweiße Hügellandschaft sehen konnte. Ich ging einmal um das Landhaus herum. Von der Terrasse führte eine Treppe zur Nordseite in den Olivenhain, dessen Boden frisch umgegraben war. Den Hang hinunter wuchs das Gras üppig. Mein Blick entdeckte am Ende der nordwestlichen Begrenzung kleine Felder, auf denen Tomaten, Melonen und Zucchini angepflanzt waren. Stapel von Olivenholz für den Kamin lagerten unordentlich an der Westseite. Am schönsten war der Blick vor dem Eingang. Ein üppiger Lorbeerstrauch, eigentlich schon ein kleiner Baum, Lavendel und Kakteen wucherten und versperrten die Sicht in das untenliegende Dorf. Links vor der Eingangstür standen riesige Pflanzkübel aus verwaschenem Ton mit roten kräftigen hochgewachsenen Geranien, die ich später pflegte. Ich setzte mich auf die alte eiserne Bank und genoss schönheitstrunken diese mediterrane Pflanzenwelt.

      Als Massimo nach Hause kam, fuhr er mich auf seiner alten BMW durchs Dorf und zeigte mir seine Azienda agricolore. Mal fuhren wir über Pflastersteine, mal über sandige Wege mit Schlaglöchern oder großen Kuhlen und ich konzentrierte mich aufs Festhalten. Mein Blick schweifte über Weizenfelder, Olivenhaine, vorbei an Artischocken, Mandeln und hügelige Felder voller Tomaten. Ab und zu grüßte Massimo jemanden im Vorbeifahren. Oben auf einem Hügel hielten wir auf dem Hof eines Kollegen, dessen Grundstück an sein Lager, seinen Maschinenpark, grenzte. Er stellte mich als eine Kundin vor. Nach der kurzen Besprechung mit seinem Kollegen, der über sein Grundstück wachte, fuhren wir auf sein Gelände, wo er die landwirtschaftlichen Maschinen, seinen Dieseltank, seine Werkstatt und sein Lager hatte. Ich war beeindruckt von seinem großen Maschinenpark und dachte, was das alles kostet! Stolz präsentierte er mir alles, zeigte mir das Motorrad, mit dem wir durch Tunesien fahren würden, das neben zwei weiteren BMWs in der Werkstatt stand. Ich fragte ihn: „Warum hast du so viele Motorräder und Mopeds?“ Er lachte nur und sagte: „Eines meiner Hobbys ist alte gebrauchte BMW Motorräder zu sammeln“, und fügte hinzu, dass er sich mal die Zeit nehmen müsste, um hier Ordnung zu schaffen. Ja, da musste ich ihm recht geben, es sah in der Werkstatt wirklich chaotisch aus. Nachdem er mir jeden Winkel gezeigt hatte, gingen wir zurück zum geparkten Motorrad. Auf meine Frage, warum er so viele eigene Maschinen besitzt und sich diese nicht mit anderen Landwirten teilt, meinte er, er kann sie sich leisten. Be­vor wir wieder aufs Motorrad stiegen, kletterten wir beide auf den Traktor und er drehte mit mir eine Runde: „Gefällt es dir hier? Willst du meine Felder sehen?“ „Ja, gern, zeig mir alle deine Felder.“ Die Nachmittagssonne wärmte uns, als wir den Weg über die holprigen Wege fortsetzten. Immer wieder verlangsamte er oder hielt sogar an, um mir stolz seine Felder zu zeigen. Massimo hatte Landwirtschaft studiert und promovierte in Landwirtschaft und zusätzlich in Betriebswirtschaft. Er betonte mehrmals, dass er hier auf dem Land seine innere Ruhe fand, aber leben wollte er hier auch nicht.

      Abends fuhren wir mit dem Motorrad in einen etwa zwanzig Kilometer entfernten Ort, um dort noch etwas zu essen. Der Weg in der warmen Dunkelheit führte erst bergan, dann bergab über holprige kurvenreiche kaputte Landstraßen, abschnittsweise Sandwege, auf denen mein Geliebter mir seine Fahrkünste zeigte. Er beschleunigte, sodass die Steine unter den Reifen geräuschvoll prasselten. Ich drückte mich fester an ihn. Er stoppte, fuhr in den Kurven schnell. „Hast Du Angst?“, rief er mir seinen Kopf zu mir drehend zu. „Nein, überhaupt nicht. Ich vertraue dir.“ Das Restaurant, in dem er einen Platz reserviert hatte, war schwer zu finden. Wie mit dem Geschäft des Schlossers in Palermo konnte er sich auch hier nicht genau an den Weg erinnern. „Es ist schon lange her, dass ich dort mal mit einem Freund gegessen habe“, entschuldigte er sich bei mir. Mehrmals hielt er an und fragte Passanten nach dem Weg. Als der Weg immer steiler und steiniger wurde, klammerte ich mich fest um seinen Bauch. Endlich oben auf dem Hügel angekommen stiegen wir von seiner BMW ab, legten die Helme auf den Sitz, gingen aufeinander zu, umarmten und küssten uns. Wir waren glücklich, endlich wieder zusammen zu sein. Tief unter uns lagen zahlreiche kleinere und größere Ortschaften im Lichtermeer. Als wir das Lokal betraten, waren wir die einzigen Gäste. Ich wusste gar nicht, warum er reserviert hatte. Er besprach das Menü mit der Wirtin. Ich nickte zu allem. Wir hatten uns für Fisch entschieden und als Primo Spaghetti. Dazu tranken wir einen Weißwein aus der Gegend. Ich dachte, er trinkt weder Wein noch Bier. Zumindest hatte er es mal erwähnt. Er trank schnell. Aber auch das war mir bei Italienern aufgefallen. Sie trinken zum Essen schnell ein bis zwei Gläser und danach nicht mehr. Ich habe sie nie betrunken erlebt. Ich dagegen trank und aß langsam und konnte nach dem Essen weitertrinken. Als wir das Restaurant verließen, bestaunten wir den Sternenhimmel mit dem Vollmond. Wir Frischverliebten drückten und küssten uns hungrig, bevor wir unsere Heimfahrt antraten. Massimo war so ausgelassen. Er schien ein ganz anderer Mensch geworden zu sein. Wir hielten in einem Dorf auf der Piazza vor einer Eisdiele. Ihm zu Liebe aß ich ein Eis, obwohl ich gar kein Verlangen danach hatte, er nahm nur einen Espresso. Ich verzehrte das Eis im Stehen vor dem Motorrad. Die Dorfjungen beobachteten uns Fremde mit Neugier und ich spürte, wie stolz er auf mich, seine Begleitung, die große schlanke Blondine, war. Nach dem kurzen Zwischenstopp fuhren wir fröhlich nach Hause. Unter dem leuchtenden Sternenhimmel sangen wir ausgelassen englische Songs wie „Love Is In The Air“ und andere, die jeder von uns mal anstimmte. Massimo suchte meine Hand und küsste sie immer und immer wieder. Schlaglöcher, Sand, Gegenverkehr, Vollmond. Der Vollmond war so intensiv wie ein Scheinwerfer, sodass Massimo ab und zu das Licht ausschaltete. Mal fuhr er schnell, dann wieder ganz langsam. Eine wunderbare warme Nacht, vorbei an einsamen Gehöften, die von Hunden bewacht wurden, von denen ab und zu einer bellend auf uns zusprang und die wir lachend mit lautem: „Wau, Wau“ ärgerten. Eine romantische Heimfahrt zwei­er verliebter Erwachsener, ausgelassen vor Lebensfreude und Vorfreude auf die allererste langersehnte gemeinsame Nacht. Bisher hatten wir uns immer nur morgens und nachmittags in meinem Zimmer geliebt. Als wir spät in seinem Landhaus eingetroffen waren, gingen wir subito ins Schlafzimmer.