Karin Pfeiffer

Draggheda - Resignation


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und nach kurzer Zeit wurde auch Swiwas Gier nach Blut immer stärker. Skrupel hatte er schon lange keine mehr. Alles um was es ihm ging, war Odile!

      Odile vor ihm, unter ihm. Odile mit leidenschaftlich verzerrtem Gesicht während er tötete. Und dann die Schlinge um ihren Hals! Der Moment, in dem sie ihm das erste Mal die Macht gegeben hatte, sie zu töten. Als sich ihr Gesicht verfärbte während ihr die Luft ausging, da war er gekommen, wie er noch nie zuvor gekommen war.

      Ja, nach all dem war Swiwa bereit, tausende von Jahren so mit ihr zu verbringen. Er war bereit, Millionen von Menschen für sie zu töten. Konsequenzen spielten schon lange keine Rolle mehr.

      So hatten sie viele Jahre gelebt, vielleicht hundert Jahre, wahrscheinlich mehr. Und Zeit und Raum verschwammen für Swiwa. Und plötzlich war sie verschwunden!

      Sie war fort, als ob er all das nur geträumt hätte. Panisch suchte Swiwa nach ihr. Er suchte überall, war hysterisch und voller Angst. Und schließlich übermannte ihn der Hass. Er war überzeugt davon, dass man sie ihm genommen hatte. Etwas, JEMAND hatte sie ihm genommen! Auf die Idee, dass sie einfach gegangen war, kam er nicht. Er suchte immer weiter und als er schließlich erschöpft aufgab, ließ er seiner Wut freien Lauf. Er tötete und folterte, er brach jeden der ihm begegnete und so wurde seine Dunkelheit fast schwärzer, als es ihre jemals gewesen war. Doch nirgends fand er sie. Nie konnte ihm jemand einen Anhaltspunkt geben, was aus ihr geworden war. Sie war einfach fort. Und zum Schluss brach er zusammen. Er hatte sie verloren! Monatelang zog er durch das Land. Immer in engen Kreisen um den Punkt, an dem sie einander das letzte Mal geliebt hatten. Menschen die ihm begegneten, starben schreiend. Swiwa war am Ende. Er war allein und ohne Hoffnung. Weitere Monate siechte er vor sich hin und war nicht in der Lage den Kopf zu erheben.

      Doch eines Tages während er blicklos in die Leere gestarrt hatte, konnte er einen Schatten in der Ferne ausmachen. Einen Umriss, der ihm so vertraut erschien. Doch er traute seinen Augen nicht. Swiwa wähnte sich in einem Traum, denn da war sie! Sie kam lächelnd auf ihn zu und sie kam nicht alleine. Sie trug ein Kind bei sich und als er seinen Augen endlich traute und das Kind in ihren Armen ansah, da wusste er: Dieses Kind war kein Opfer! Kein Kind, das er töten sollte. Dieses Kind war sein Kind! Sie kam zurück! Und sie brachte ihm seinen Sohn!

      Die Monate, die darauf gefolgt waren, schienen für Swiwa so unfassbar hell, dass sie ihm selbst heute noch völlig unwirklich vorkamen. Alles war in gleißendes Licht getaucht und in diesem Licht erkannte er nur noch das Antlitz seines Kindes und der Hexe, die er liebte. Zuvor hatten sie kein Zuhause gehabt. Sie hatten dort ihr Lager aufgeschlagen, wo sie abends zur Ruhe kamen. Sie hatten ganze Familien ausgelöscht, nur um eine Nacht in deren Betten zu schlafen und am Morgen weiter zu ziehen. Doch nun verschaffte er ihnen ein Zuhause. Er brachte Odile und den Jungen auf eine prächtige Burg. Er schuf ihnen ein warmes Nest und ließ seine Familie einziehen. Und Odile trug seinen Sohn lächelnd über die Leichen des Burgherren und seiner Kinder. Danach lebten und liebten sie. Sie nahmen ihr Liebesspiel wieder auf. Sie gab sich ihm hin und er nahm sie. Nie fragte er, warum sie ihn verlassen hatte. Nie erklärte sie sich ihm. Und wenn er sie nicht liebte, dann hielt er seinen Sohn auf den Armen. Er war vernarrt in das Kind und zum ersten Mal seit Ewigkeiten fühlte er etwas, das nichts mit ihr zu tun hatte. Wenn er in die Augen seines Sohnes blickte, dann fühlte er Licht und Wärme. Und er erkannte den Unterschied zu dem, was Odile in ihm auslöste. Doch es störte ihn nicht. Die Dunkelheit mit der sie ihn erfüllte, war das, wonach er sich sehnte, wenn der Junge schlief. Und lächelnd erwartete sie ihn mit der Schlinge um ihren Hals.

      So lebten sie einige Jahreswechsel. Und während dieser Zeit schmiedeten sie Pläne. Pläne für ihr Fortbestehen und wie immer folgte Swiwa ihr. Dima, sein Sohn, fing an zu laufen und zu lachen. Er war ein fröhliches Kind und Swiwa fühlte sich glücklich, wenn er ihm zusah. Dass Odile sich immer mehr veränderte, fiel Swiwa zwar auf, aber er schob es auf die Langeweile die sie ergriffen hatte. Sie hatte das Leben auf der Burg satt. Sie wollte wieder nach draußen. Sie wollte tanzen, durch das Land ziehen, sie wollte morden. Swiwa zog nach wie vor noch aus und brachte ihr Spielzeuge mit. Doch anstatt an den Männern und Frauen Befriedigung zu finden, schienen sie ihre Sehnsucht zu bestärken. Diese Opfer kamen von dort, wohin es sie zog. Sie hatten, was Swiwa ihr versagte! Er brachte ihr dieses Pack nur um ihr zu zeigen, was er ihr nicht zugestand. Sie konnte sie an ihnen riechen: die Freiheit! Das freie Land durch das sie gezogen waren. Arrogant und selbstgerecht war dieses Pack gewesen! So lange, bis sie Swiwa in die Finger gerieten! Odile kam in ihrer verdrehten Wahrnehmung gar nicht auf den Gedanken, dass die Toten zu ihren Füßen einfache Bauern gewesen waren. Einfache Menschen, die nichts getan hatten, um das Schicksal zu verdienen, dass sie getötet hatte.

      Und dann kam die Nacht, in der sich die Dinge zwischen Swiwa und Odile änderten. Denn in dieser Nacht, sie hatte schon zwei junge Männer getötet, in dieser Nacht holte sie sich Dima ins Bett. Entsetzt riss Swiwa ihr den Jungen aus den Armen. Sie fügte sich mit einem bösen Lächeln, doch nun nagte der Zweifel an ihm. Würde sie es wirklich tun? Wäre sie in der Lage sich an seinem Sohn schadlos zu halten, um ihre Langeweile zu befriedigen?

      Ab da ließ er den Jungen kaum noch aus den Augen. Anfangs blieb sie friedfertig, aber das hielt nicht lange vor. Immer öfter fiel Swiwa auf, wie sie das Kind lauernd betrachtete. Immer öfter lockte Odile Dima von ihm fort. Und immer öfter lächelte das Kind, wenn sie ihn rief. Bald veränderte sich der Blick des Jungen, wenn er seinen Vater ansah. Anfangs hatte das Kind ihn angehimmelt. Nun wich die Liebe in seinem Blick schnell einem Ausdruck, der ihn an den lauernden Blick seiner Mutter erinnerte.

      Und so wuchs etwas zwischen diesen beiden schwarzen Kräften, das ihr Gleichgewicht ins Schwanken brachte. Die Stimmung wurde angespannter, die Liebe die empfunden hatte, kühlte sich ab. Und vielleicht zum ersten Mal sah er sie, wie sie wirklich war: kalt und berechnend, nur auf ihren Vorteil bedacht. Es schauderte ihn, als ihm klar wurde, dass sein Sohn sich ihr zuwandte. Doch Swiwa hielt an ihrer Seite aus. Einen weiteren Winter hielt er durch und bewachte seinen Sohn eifersüchtig. Doch je stärker er versuchte, ihn vor ihr zu schützen, desto stärker wurde das Band zwischen Mutter und Sohn. Und so kam Swiwa eines Tages dazu, als der Junge an ihrer Seite vor dem Feuer saß. Er hörte die beiden flüstern und beobachtete sie unbemerkt. Das war der Moment, in dem er sich eingestand, dass sie gewonnen hatte. Sie hatte aus dem Jungen ihr Geschöpf gemacht. Als Dimas Blick ihn traf, erkannte Swiwa, dass seine Tage gezählt waren. Ohnmächtig überlegte er, wie er Dima retten sollte. Und wieder einmal erkannte er nicht das wirkliche Problem. Denn nicht das Kind musste gerettet werden. Nein, er, Swiwa, war der, der Hilfe brauchte.

      Es war einige Tage später, als Odile Streit suchte. Sie suchte ihn mit einem abschätzigen Lächeln unter einem fadenscheinigen Grund, und sie suchte die Auseinandersetzung vor dem Jungen. Swiwa versuchte, ihr auszuweichen. Mittlerweile hatte er Angst vor ihrer Macht über den Jungen und vor dem Kind selbst. Denn der Kleine war tagelang nicht von ihrer Seite gewichen. Sein Blick war verhangen und seine Gestalt fing an, die untrüglichen Zeichen eines Brechers auszubilden. Odile wusste um diese Angst und sie nutzte sie schamlos aus. Ihr Lächeln verursachte einen tiefen Schmerz in Swiwas Seele. Dann erhob sie sich und fing an, sich vor dem Jungen auszuziehen. Das Lächeln veränderte sich nicht, als sie ihre Finger bewegte. Wie von Fäden gezogen stand sein Sohn auf. Seine Augen waren voller Freude auf Odile gerichtet. Swiwa erkannte die Gier, die er selbst so oft gefühlt hatte, wenn sie ihn an sich zog. Voller Abscheu beobachtete er, wie sein Sohn sich seiner nackten Mutter näherte und dann voller Inbrunst das Gesicht zwischen ihren Schenkeln versenkte. Swiwa hatte keine Wahl. Sein Körper reagierte einfach. Frontal ging er auf sie los und riss das Kind von ihr fort. Doch anstatt sich zu wehren, lehnte sie sich einfach langsam zurück. Und vor sie schob sich sein Sohn.

      So war das letzte was Dogan an diesem Tag sehen sollte, wie der Sohn sich gegen den Vater wandte. Was Augenblicke zuvor noch ein Kind war, hatte sich in einen Brecher verwandelt. Ein Wesen, dessen Bestreben einzig und allein das Blutvergießen war. War ein Brecher erst einmal auf Spur, gab es keine Möglichkeit mehr, ihn vom Töten abzuhalten. Diese Hexenkinder hatte es lange nicht mehr gegeben. Sie waren ausgestorben, als man die Verbindungen zwischen Hexen und Zauberern verbot. Brecher gehörten niemandem. Sie waren mehr Maschinen als lebende Wesen. Sie verschrieben sich keinem König, keiner Aufgabe. Ihr Gott war das Blut, dass vergossen