Birgit Theisen

Herr Spiro


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letzte Tropfen Öl verbrannte. So setzte er sich an den Tisch. Die leuchtend gelbe Flamme wurde kleiner und kleiner. Herr Spiro merkte, dass ihn Wehmut erfüllte, je näher das Ende des Lichtes rückte. Sein Herz schlug immer schneller, er hoffte darauf, aus diesem Albtraum erwachen zu dürfen. Seine Hoffnung erfüllte sich nicht.

      Ein bläuliches Flämmchen war nur noch zu sehen, ein Saum, der nicht mehr lange währen würde, und Herr Spiro hielt den Atem an, bis die Lampe schließlich verlosch.

      Das Kostbarste, was er jemals besessen hatte, war unwiederbringlich dahin. Herr Spiro starrte seine Lampe an und sah sie doch nicht. Seine Gedanken waren wie erstickt. Vom Boden stieg eine eisige Kälte zu ihm auf, die ihn erstarren ließ; er spürte es nicht.

      So saß er die halbe Nacht an seinem Tisch vor der wunderbaren Lampe, in stummer Verzweiflung, dass sein Leben nie wieder so werden würde, wie es vorher gewesen war.

      Weiche, ungespitzte Bleistifte brauchte sie jetzt, nichts anderes. Anna stand auf, in der Schreibtischschublade waren passende. Sie wollte die leere Seite nutzen, die Lohwald für eine Illustration vorgesehen hatte.

      Mit einem zweiten Milchkaffee setzte sie sich an ihren Schreibtisch und begann zu skizzieren. Eine Wohnstube, der Tisch, ein Gedeck.

      Sollte sie Herrn Lohwald anrufen?

      Warum nicht?

      Sie wollte ihm Bescheid geben, doch vorher hätte sie noch gerne etwas anderes gewusst.

      In der Kommodenschublade lag ein Telefonbuch, das drei Jahre alt war, die Vormieterin hatte es hinterlassen. Wie viele Lohwalds wohl in Münchens Innenstadt wohnten? Anna wurde fündig, die Nummer stimmte mit der von der letzten Seite der Geschichte überein. Lohwald, Robert und Fiona, Asam 23. Robert, das war klar gewesen. Und Fiona.

      Der Kaffee schmeckte ihr nicht mehr. Anna stellte die Tasse beiseite, nahm den weichen Bleistift und skizzierte weiter. Mit den Grautönen fühlte sie sich am wohlsten. Die Lampe war dran.

      So lang war die Geschichte nicht. Hätte sich Frau Wehner nicht längst melden können?

      Viel schlimmer: Warum hatte Robert diese Seiten nicht in der Schublade behalten, wo sie gut aufgehoben gewesen wären?

      Hatte er Kai damit verraten?

      Auf alle Fälle war es jetzt zu spät für solche Überlegungen, Herr Spiro war aus Kais und Roberts Welt in die von Frau Wehner getreten. Aber wahrscheinlich lag die Geschichte in ihrem Schwimmrucksack und konnte dort in aller Stille in Vergessenheit geraten.

      Mit dem Gedanken wollte Robert sich jetzt schnell anfreunden. Dinge, die sich von selbst erledigten, waren selten genug. Was würde sein zweites Problem machen, das ihm Kopfschmerzen bereitete? Die Nierenkolik war langsam gekommen, aber gewaltig.

      Heilige Scheiße, hatte er nur noch gedacht, war froh um den nahen Parkplatz gewesen und hatte es gerade so geschafft, den Autoschlüssel aus der Manteltasche zu fischen und die Tür noch hinter sich zuzuziehen.

      Irgendwann, nach unendlich langen Minuten, hatte der Schmerz nachgelassen, Robert war wieder zu Atem gekommen und hatte sich die Schweißperlen von der Stirn gewischt.

      Geht jetzt das Theater wieder los?, fragte er sich seitdem in einer Tour.

      Er schloss die Augen, um zu rechnen. Mehr als ein dreiviertel Jahr hatte er Ruhe gehabt. Eine Zeit, nach der man normalerweise davon ausgegangen wäre, dass man einen Nierenstein losgeworden sein könnte.

      Was war das heute Vormittag dann gewesen? Ein neuer? Abwarten.

      Das Andere wiederum hätte er am liebsten nicht abgewartet, aber das Telefon schwieg. Es war gut, dass er Frau Wehner nicht gleich alle drei Geschichten gegeben hatte. Was, wenn er sie durch Herrn Spiro in ein Tief riss? Die herbstliche Jahreszeit würde vielleicht den Rest dazu liefern.

      Robert wusste noch, wann Im Bergwerk entstanden war. Er und Kai hatten an dem Abend telefoniert. Sven, der Krankenpflegepraktikant, war am Nachmittag mit seinem Kaffeebecher zur Parkbank gekommen und hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als Kai vom Suizid seines Vaters zu berichten. Kai war wütend gewesen, dass der Junge danach den Kaffee neben der Bank ins Gras geschüttet hatte.

      „Neben meine Bank, die bis dato kaum einer kannte. Jetzt bin ich nicht mal mehr da sicher, wenn der Knabe mir ab heute immer hinterherschleicht. In dem Scheißladen ist man nirgends allein! Das wäre aber das Einzige, was ich mir noch wünsche. Meine Ruhe, meine gottverdammte Ruhe.“

      „Ich muss dir das jetzt so deutlich sagen, verzeih mir: Was Svens Vater getan hat, war feige. Wir müssen weitermachen, solange wir können. Wir dürfen nicht aufgeben. Nie.”

      Kai hatte eine lange Pause gemacht und geantwortet: „Sei mir nicht böse. War ein anstrengender Tag, die Nacht davor auch schon …“

      So hatte Kai es immer umschrieben, wenn die Trauer mit ihm durchgegangen war.

      „Ich bin müde, verstehst du. Einfach nur müde.“

      Roberts Nackenhaare hatten sich aufgestellt, er wäre gerne ruhig geblieben, aber es war ihm nicht gelungen. „Ich höre es, ja. Aber du machst keinen Blödsinn, hörst du?! Keinen Blödsinn! Versprich es mir …“

      Kais Schweigen war erdrückend gewesen.

      „Soll ich vorbeikommen?“

      „Brauchst du nicht.“ Kai hatte sich um eine festere Stimme bemüht. „Ehrlich.“

      „Darf ich dir das glauben?“

      „Darfst du.“

      Robert hatte es dabei belassen und gehofft, dass seine Worte angekommen waren.

      Sie waren es. Das konnte er jedes Mal wieder in der Bergwerksgeschichte lesen, der letzten vollständigen Episode über Herrn Spiro. Würden ihr jetzt noch weitere folgen?

      Robert wusste nicht, ob Kais Wunsch eines Tages in Erfüllung gehen konnte. Er wusste nur, dass heute ein Weißbierabend angesagt war, denn für Nierenprobleme fehlte ihm die Zeit. Erst einmal musste er in der neuen Abteilung als neuer Kollege Fuß fassen. Bis jetzt war er nur der Mann, der aus dem Kommissariat für vorsätzliche Tötungsdelikte aus persönlichen Gründen ins Dezernat für Prävention und Opferschutz gewechselt hatte.

      Drei Halbe und der Grieß dürfte weg sein, hatte sein Internist damals gesagt. Robert solle nicht mehr allzu lang damit warten, denn wenn sich erst einmal Steine gebildet hätten, würde er mit dieser Rosskur das Gegenteil erreichen und unter Umständen seine Niere aufs Spiel setzen.

      Wann er beim Arzt gewesen war, fragte sich Robert. Und als Nächstes, wie schnell bei ihm aus Grieß Nierensteine geworden waren, die zum Ausspülen zu groß waren.

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