Liesa-Maria Nagel

ANGEL


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eine Weile dauern, bis die Sonne weit genug aufgegangen war und der Moment kam, der den Schmerz auslöste. Seufzend ließ ich den Kopf auf die Pfoten sinken.

      Ich würde warten müssen.

      Vielleicht schaffte ich es, eine Weile zu schlafen. Der Schmerz würde mich schon wecken ...

      Ein schrilles, lautes Fauchen schreckte mich nur kurze Zeit später unsanft aus meiner Ruhe. Das Geräusch kam mir sofort bekannt vor. Ich drehte den Kopf und lauschte in die verblassende Nacht.

      Zuerst war da nur Stille, aber dann hörte ich es erneut. Dieses katzenähnliche, drohende und zugleich lustvolle Fauchen. Diesmal aber viel leiser.

      Ein unverkennbares Geräusch. Langsam kroch ich aus meinem Gebüsch hervor. Das wollte ich mir aus der Nähe ansehen.

      Kaum einen Steinwurf von mir entfernt sah ich ihn schon. Gehüllt in eine weite, zähe Nebelwolke, deren Schwaden zwischen den umstehenden Bäumen umherkrochen.

      Dicht am Boden drang ich ins Zentrum des Nebels vor, ahnte bereits, was mich erwartete und ich wurde nicht enttäuscht.

      Im Inneren der wabernden Wolke fand ich ihn. Seine Beute fest umschlungen in einer fast romantisch wirkenden Umarmung. Seine kreidebleichen Hände strichen sanft über die Wange des Mädchens. Voller Gier und Hunger.

      Ich war nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Ein makaberes Grinsen verzerrte meine Lippen. Vampire erschrecken machte so einen Spaß! Lautlos richtete ich mich auf um…

       Schritte!

      Sofort glitt ich in den Schatten zurück. Auf dem nahe gelegenen Fußweg kam jemand auf uns zu. Vermutlich der Nachtwächter des Parks.

      Ein Blick zu dem dummen Vampir hinüber verriet mir, dass er den Wärter nicht hörte. Viel zu tief war er in seinem Blutrausch verfallen.

      Ich verdrehte die Augen und bereute schon fast, dass ich überhaupt aufgestanden war. Eigentlich war es doch sein Problem, wenn der Parkwächter ihn erwischte. Was ging es mich an, wenn der Vampir entlarvt wurde? Sollte er doch selbst zusehen, wie er das wieder ausbügelte ...

      Aber irgendetwas tief in mir zwang mich, meine Prinzipien und die meiner gesamten Art zu verraten, und diesem Blutsauger zu helfen.

      Schnell huschte ich im Schatten um ihn herum und kauerte mich in ein Gebüsch am Wegesrand. Erst von hier konnte ich erkennen, wie unglücklich der Vampir den Ort für sein Mahl gewählt hatte. Zwar verhüllte ihn der Nebel vor allzu aufdringlichen Blicken, aber der Wärter hatte eine Taschenlampe. Er würde ihn sofort -

      Nur um ein Haar verfehlte mich das Gebiss des Rottweilers.

      Laut und wütend bellend sprang der Hund mich an. Ich hatte ihn tatsächlich übersehen. Aber die Luft hier war so überschwer mit Blutgeruch, dass der Hund darin einfach unterging.

      Alarmiert vom Lärm seines Hundes rannte der Wärter in meine Richtung. Er rief immer wieder nach dem Vieh, das allen Ernstes versuchte mir zu drohen. Der Mann würde sterben müssen … Doch zuerst musste ich diesen Köter zum Schweigen bringen, bevor er noch mehr Menschen anlockte!

      Ich fuhr zu dem Tier herum und knurrte ihn an. Mit gefletschten Zähnen kauerte ich mich zum Angriff nieder. Das Fell auf meinen Schultern und meinem Nacken sträubte sich. Selbst so wütend, wie er war, reichte mir das Tier kaum bis ans Kinn.

      Ich schnellte vor, holte aus und schlug zu. Jaulend flog der aufgerissene Körper des Hundes davon. Dummerweise krachte er genau gegen den Rücken des Vampirs, der dadurch endlich aus seiner Trance gerissen wurde. Fauchend fuhr er herum, aber dafür hatte ich jetzt wirklich keine Zeit.

      Ich stand mitten auf dem Weg und spürte die Angst des Wächters kaum drei Schritte hinter mir. Ich wandte mich vollends zu ihm um - und hätte beinah die Besinnung verloren.

      Wunderschönes Entsetzen und himmelweite Panik strahlten mich aus seinen Augen an.

      Sofort hatte er meine Lust geweckt.

      Vergessen war die Tatsache, dass mein letztes Mahl erst eine gute Stunde zurücklag. Ich richtete mich auf, langsam und voller Genuss. Gierig sog ich die angstgeschwängerte Luft ein, die immer süßer wurde. Vergessen war der Vampir. Vergessen, der herannahende Tag.

      Der Mensch verstand nicht, was dort vor ihm stand. Er sah nur diese gewaltige, schwarze Gestalt, vielmehr Bestie denn Mensch. Sein wirrer Blick wanderte über meinen Körper. Ich spürte ihn als scharfes Prickeln auf der Haut. Was er sah, war nicht menschlich.

      Die langen, spitzen Klauen.

      Die glutroten Augen, die ihn anstarrten.

      Die weißen Reißzähne, von denen blutiger Geifer troff, entblößt in einem hämischen Grinsen.

      Schritt für Schritt, langsam - drohend - kam ich näher.

      Der Mann wich vor mir zurück und ich sah, wie ihm sein Verstand zu entgleiten drohte. Der Wahnsinn schlich sich in seinen Blick und dieser herrliche Anblick ließ mich nun endgültig die Beherrschung verlieren.

      Brüllend vor Lust sprang ich vor und stieß den Wächter zu Boden. Meine Klauen bohrten sich tief in sein Fleisch. Ein gepeinigter, wahnsinniger Schrei entwich der Kehle des Mannes, der meine Gier aber nur noch mehr anfachte.

      Er musste sterben.

       Jetzt!

      Einen letzten, kurzen Augenblick verharrte ich noch über ihm, ließ ihm Gelegenheit seinem wahrhaftigen Tod in die Augen zu blicken. So gern hätte ich diese Angst länger ausgekostet, aber der Hunger in mir war unerbittlich. Schnell stieß ich hinab und versenkte meine Kiefer lustvoll in seinem Hals. Seine Schreie ertranken in seinem eigenen Blut. Oh, wie ich dieses Geräusch liebte!

      Plötzlich stieß mich jemand hart mit dem Fuß in die Seite und riss mich aus meinem Rausch. Fauchend fuhr ich herum und starrte in das blutverschmierte, blasse Gesicht des Vampirs. Erst jetzt erkannte ich, dass er weiblich war. Das kurze, rote Haar klebte an ihren Wangen.

      „Wir sollten hier schleunigst verschwinden“, sagte sie leise und ich roch einen kaum wahrnehmbaren Hauch von Angst an ihr. „Die Sonne ... Sie geht jeden Moment auf ...“

      Sie wies mit dem Kopf zum Horizont und ich erschrak, als ich sah, dass dort ein sanfter bronzefarbener Streifen zwischen den Hausdächern emporkroch.

      Wie auf Kommando schoss ein glühend heißer Schmerz meine Wirbelsäule hinauf direkt in meinen Schädel. Ein innerer Flächenbrand breitete er sich in mir aus, leitete meine Rückverwandlung ein. Keuchend sank ich auf ein Knie nieder.

      Nicht jetzt! Noch nicht!, war alles, was ich noch denken konnte.

      „Ich sagte ja, wir sollten uns beeilen“, wiederholte die Vampirin und ließ sich ebenfalls auf ein Knie nieder. Sie legte die Arme um meine Schultern, wobei sie kaum bis zur anderen Seite reichte, und half mir auf. Ich knurrte, es sollte bedrohlich klingen, aber durch den Schmerz, der sich in meinem Inneren immer schneller ausbreitete, klang es eher kläglich.

      Sie sah mich nur mit hochgezogener Augenbraue an und setzte sich in Bewegung.

      „Ich kenne hier ganz in der Nähe einen Unterschlupf. Da können wir erstmal bleiben.“

      Sie zog mich einfach mit sich. Scheinbar völlig mühelos schleifte sie einen zwei Meter großen, schwarzen Koloss durch die Gegend. Und ich ließ es geschehen.

      In diesem Moment war ich einfach nur dankbar, dass sie mir half. Darüber, dass Werwölfe und Vampire sich eigentlich mieden, weil sie dieselbe Beute jagten, konnte ich mir später noch Gedanken machen.

      Am Rand des Parks angelangt, hielt sie kurz in einem Gebüsch inne und ließ mich los. Mich vor Schmerzen krümmend, sank ich zu Boden. Die Veränderung meines Körpers hatte längst begonnen. Das schwarze, dichte Fell zog sich langsam unter meine Haut zurück und ich war schon merklich kleiner geworden. Die wölfischen Züge wichen zunehmend meinen menschlichen.

      „Hey!“,