Liesa-Maria Nagel

ANGEL


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genauso wie das Vampir-Gen. Ein jeder von ihnen litt daran und es gab keine Heilung. Je älter sie waren, je mehr Vampir-Gene in ihnen steckten, desto grausamer war die Krankheit.

      „Solch finstere Gedanken in einer so schönen Nacht?“

      Robin schauderte, als seine Stimme, wie warmer Honig ihren Rücken hinunter rann. Tief und dunkel und warm. Nur langsam hob sie den Blick und betrachtete den Schönling, der neben ihr an der Mauer lehnte und sie lächelnd ansah. Allein sein Blick verriet, wie bereit er für sie war. Robin würde sich nicht bemühen müssen, um ihn mitzunehmen.

      „Die Nacht ist gerade noch viel schöner geworden“, schnurrte sie und wandte sich ihm zu.

      Herr Rosaro lachte und sein Lachen rollte durch die Nacht, wie Donner. „Ich mag es, wenn Frauen kein Blatt vor den Mund nehmen.“

      Robin schmunzelte. „Du magst Frauen, die dir sagen, wie schön du bist.“

      Wieder lachte er schallend auf, beugte sich aber in derselben Bewegung etwas zu ihr herunter. „Mir scheint, als würde es dir nichts ausmachen, mir das die ganze Nacht lang zu sagen“, raunte er und warme Finger strichen über ihre Wange, hinab zu ihrem Hals. Sie machte einen Schritt vor, stieß mit ihrer Brust an seine. „Komm mit zu mir, dann können wir das herausfinden.“

      Wie auf Kommando fuhr Rachel mit ihrem Minivan gerade an den Bürgersteig heran und hielt. Lächelnd ließ der Schönling sich von ihr zum Auto führen.

      „Darf ich dich Robin nennen?“, fragte er leise, während er ihr die Tür zum Rücksitz aufhielt. Sie sah lächelnd zu ihm auf, während sie sich auf den Sitz gleiten ließ. „Hm … Gerne“, erwiderte sie und rutsche tiefer ins Innere des Wagens, um Platz für ihn zu machen.

      „Nenn' mich ruhig Tony“, murmelte er und zog die Tür hinter sich zu.

       Kapitel V

      Gemütlich und entspannt schlenderte er durch das allmorgendliche Treiben auf den Straßen. Hindurch zwischen all den Pendlern und Berufstätigen, die zur Arbeit hetzten, ihren Kaffee in der Hand. Unter einem Arm die Morgenzeitung, unter dem anderen die Aktentasche. Es war noch sehr früh, die Sonne ging gerade erst auf, und dennoch waren alle so geschäftig, hatten es so eilig. Niemand nahm auch nur Notiz von ihm.

      Die Hände in die Taschen seiner Motorradjacke gesteckt, eine Zigarette zwischen den Lippen, genoss er die Unachtsamkeit der Menschen.

      Er mochte es manchmal, dass sich niemand vor ihm in den Staub warf. Eine willkommene Abwechslung zu seinem sonstigen Alltag. Hier war er nur einer von ihnen, fiel nicht weiter auf, solange man ihn nicht genauer betrachtete. Meistens mochte er die Menschen und ihre blinde, naive Art. Ihren Ehrgeiz und ihre unerschöpfliche Kraft. Viel zu selten konnte er sich die Zeit nehmen und einen Spaziergang wagen. Zu sehr drückte die Last seiner Aufgabe auf seine Schultern.

      Als er um die nächste Ecke bog, rempelte ihn eine Frau Mitte dreißig an. Brünett und adrett gekleidet. Eine Büroangestellte vielleicht oder eine Sekretärin mutmaßte er, während er sie musterte.

      „Passen sie doch auf!“, wetterte sie los und zupfte ihren Blazer zurecht. „Sie sind hier schließlich nicht allein auf der -“

      Als sie den Blick hob, um ihn wütend anzustarren, erstarb ihre Stimme. Ihre Augen wurden so groß, dass man glauben mochte, sie quollen jeden Moment aus ihren Höhlen. Dabei sah er sie einfach nur an. Ausdruckslos. Nicht einmal verärgert, allenfalls neugierig. Die Frau jedoch starrte ihn an, als stünde sie dem Leibhaftigen gegenüber.

      Das war ein Gedanke, der ihn schmunzeln ließ.

      „Bitte … Bitte entschuldigen sie ...“, stammelte die Frau atemlos, ihre Stimme schrill vor Angst. Ohne ihn noch einmal anzusehen, fuhr sie herum und beeilte sich, ihren Weg fortzusetzen.

      Er seufzte und sah der Frau nach. Sie rannte fast, um von ihm fortzukommen. Ja, solange sie ihn nicht beachteten, fiel er nicht auf. Aber wenn sie es taten, konnte er nicht vollends verbergen, wer er war. Tief in ihrem Innersten weckte sein Anblick eine uralte, vergessene Furcht in diesen aufgeklärten, weltoffenen Menschen.

      Die Furcht vor der Dunkelheit.

      Während er weiterging, zündete er sich eine neue Nelkenzigarette an. Mittlerweile war er es gewohnt, dass sich jeder Sterbliche vor ihm fürchtete. Manchmal gab es jedoch Tage, da sehnte er sich nach jemandem, der sich ihm weder unterwarf noch ihn fürchtete.

      Aber er wäre nicht Luzifer, wenn er daran nicht schon arbeiten würde.

      Bald!, dachte er sich mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, bald ist es soweit! Noch diesen Sommer wird es geschehen. Der erste Teil des Plans wird in die Tat umgesetzt. Fast zweitausend Jahre habe ich gewartet. In den Schatten. Im Verborgenen. Auf die Stunde, in der die Saat für mein neues Ich gesät wird!

       Kapitel VI

      Mit Wehmut beobachtete ich aus meinem Versteck, wie der neue Tag anbrach. Die tiefe Nacht wich der heraufsteigenden Sonne, die schützende Dunkelheit dem Licht. Zaghaft, aber mit einer unaufhaltsamen Sicherheit krochen die ersten Schimmer über den Horizont. Die Luft war selbst in der schwindenden Dunkelheit stickig und so dick, dass man sie fast schneiden konnte. Bald würde die Nacht enden und ich wieder Mensch sein.

      In meinem Fell trocknete das Blut. Der Junkie, den ich diese Nacht getötet hatte, war die erste Nahrung seit vier Wochen.

      Seit ich von Craven fort war, hatte ich nichts mehr gegessen. Ein Dach über dem Kopf hatte ich auch nicht. Mit meinen wenigen Habseligkeiten wohnte ich im Park. Zwischen jenen Menschen, die ich für gewöhnlich jagte. In den dunkelsten Stunden der Nacht badete ich im Teich, damit ich wenigstens nicht stank, wie die Menschen unter denen ich lebte. Berlins Straßen waren rau. Schon so manche Nacht hatte ich bereut, ausgerechnet hierher geflogen zu sein. Mit dem wenigen Geld, das Victor mir zugesteckt hatte, hatte ich den erstbesten Flug genommen, der vom London Heathrow Airport abging. Ganz egal wohin. Hauptsache weg. Weg von zu Hause.

      Meine Klauen gruben sich in die Erde, als ich daran zurückdachte. Das war so erbärmlich ...

      Aber ich hatte nicht bleiben können. Nicht nachdem, was geschehen war.

      Nicht nachdem ich herausgefunden hatte, was ich war.

       Unsterblich.

      Mein Verstand spuckte das Wort aus wie eine Krankheit. Ich war nun ein Monster unter Monstern. Einfach wieder aufgestanden, wo ich eigentlich tot hätte sein müssen. Nach nur wenigen Momenten, die ich verdreht und mit gebrochenem Genick auf dem Boden gelegen hatte.

      Die Blicke der anderen würde ich niemals vergessen. Angestarrt wie ein Alien hatten sie mich. Als wäre ich nicht normal.

      Aber das war ich ja auch nicht. Ich konnte nicht sterben. Und, weiß Gott, ich hatte es versucht!

      Kein Wort glaubte ich ihnen, als sie mir sagten, dass ich gestorben und einfach wieder aufgestanden sei. Aber wer würde das schon glauben?

      Keine vierundzwanzig Stunden hielt ich diese Ungewissheit aus. Als alle schliefen, schlich ich mich ins Bad. Ich setzte mich in die Badewanne und schlitzte mir mit einem silbernen Messer beide Unterarme auf, bis hoch zum Ellbogen. Es blutete schrecklich. Wenigstens einige Minuten lang. Gemächlich und so, als besäßen sie alle Zeit der Welt, schlossen sich die tiefen Schnitte. Millimeter um Millimeter. Bis sogar die blassen Narben verschwunden waren.

      Mir wurde schwindelig, als mir klar wurde, was das bedeutete. Nicht einmal Silber wirkte bei mir. Es verlangsamte unsere Wundheilung extrem, so, dass sogar ein Werwolf verbluten konnte. Aber ich nicht. Ich … nicht …

      Verborgen unter einem weitläufigen, dichten Buschwerk irgendwo mitten im zoologischen Garten lag ich und wartete auf meine Verwandlung. Neben mir in einer Plastiktüte lagen meine Kleider und das