Liesa-Maria Nagel

ANGEL


Скачать книгу

ebenfalls naturgegeben ausgeprägter, als die eines Menschen, schwillt an. Finger- und Zehennägel werden von den Klauen verdrängt, ebenso die Zähne. Das Wachsen des Fells ist der… Nein! Ich durfte nicht in blinde Panik verfallen! Das würde es nur schlimmer machen.

      Konzentrier dich Angel. Versuche klar zu denken. Entspanne dich. Still redete ich weiter auf mich ein und tatsächlich löste sich die kalte Faust der Angst etwas. Mark kam näher an die Gitter. In seinen Augen glomm bereits goldgelbes Feuer.

      „Versuch nicht es aufzuhalten. Das vergrößert nur den Schmerz. Lass es einfach geschehen. Du wirst sehen, dann ist es schnell vorbei.“ Laute des Tieres in ihm untermalten seine Stimme, machten sie rau und tief. Ich nickte kurz und versuchte meine Angst hinunter zu schlucken. Ich würde keine Angst haben, schwor ich mir. Nicht ich!

      Mittlerweile hatten sich meine Muskeln sosehr angespannt, dass es wehtat. Meine Oberschenkelmuskeln krampften und zuckten von der Anstrengung.

      Niemand musste mir sagen, wann der entscheidende Moment gekommen war. Der Schmerz, der mir von den Zehen bis hinauf in die Schädelbasis jagte, war genauer als jede Uhr. Ich musste die Zähne fest aufeinander pressen, um nicht zu schreien. Aus allen Richtungen um mich herum hörte ich das gleiche, schmerzerfüllte Keuchen. Mein Blick schnellte zu Mark, der mir immer noch am nächsten stand.

      Ich sah, wie er einmal tief und deutlich hörbar ausatmete, ehe sich sein ganzer Körper verkrampfte. Er sank auf die Knie, als der Schmerz der Wandlung ihn niederzwang.

      Mit angehaltenem Atem fühlte ich in mich hinein, die Qual erwartend. Erst geschah gar nichts, ich spürte überhaupt nichts. Beinah schaffte ich es sogar darüber verwirrt zu sein, doch dann brach es über mich herein. Aus dem Nichts jagte eine neue, tausendmal heftigere Welle aus purem Schmerz durch mich hindurch. Unter einem Schmerzenslaut brach ich in die Knie. Mit aller Kraft zwang ich mich, den Kopf zu heben und zu Mark zu sehen. Ich brauchte Halt, eine Sicherheit, dass alles in Ordnung war. Vor Schmerzen gekrümmt und auf allen Vieren am Boden kauernd, wurde dessen Haut dunkler. Schwärzer und schwärzer, bis er von einem dichten Fell überzogen war.

      Ich schlang die Arme um mich und versuchte, durchzuatmen. Endlich fühlte ich, wie ich mich veränderte. Ich fiel vornüber und musste mich mit den Händen auffangen. Der Schmerz zwang all meine Muskeln dazu, sich anzuspannen. Wie von allein grub ich die Nägel in den Beton, bis sie splitterten. Ich hockte zitternd am Boden, mein Rücken krümmte sich. Schon erschien der erste schwarze Flaum auf meiner Haut. Meine abgebrochenen Fingernägel wurden lang und spitz und auch meine Hände verzerrten sich langsam zu schwarz behaarten Pfoten. Das Fell kroch an meinen Armen und Beinen hinauf über meinen Rücken und erreichte schließlich mein Gesicht. Als es dort ankam, war der Rest meines Körpers schon kaum mehr menschlich. Meine Füße waren ebenso Klauen, wie meine Hände und aus meinem weiblichen Leib war ein starker, muskulöser Wolfskörper geworden. Ächzend riss ich den Rachen auf, um dem Druck der wachsenden Zähne nachzugeben. Meine Nase und mein Mund vereinten sich und bildeten eine lange, schmale Schnauze – gespickt mit fürchterlichen, rasiermesserscharfen Zähnen.

      Letztlich kauerte ich schwer atmend auf dem rauen Boden und wartete sehnlich darauf, dass der Schmerz abflaute. Mein heißer Atem bildete kleine Wolken in der kühlen, feuchten Kellerluft. Langsam krochen die Empfindungen in meine Glieder zurück und ich wagte, mich zu bewegen. Vorsichtig richtete ich mich auf – erst auf alle Viere und dann zur vollen Größe. Der diabolische Schmerz von eben war verschwunden und an seine Stelle waren hochempfindliche Sinne getreten. In einem tiefen Atemzug füllte ich meine gewaltigen Lungen. Unbeschreiblich viele Gerüche strömten durch meine Nase, aber ich machte mir nicht die Mühe sie alle zu identifizieren. Ich fühlte die Anwesenheit der anderen, und dass ihre Verwandlung längst abgeschlossen war. Sie beobachteten mich und ich fühlte ihre Sorge. Und noch etwas stellte ich fest: Die Angst, die schreckliche Panik, war verschwunden. Da war nichts mehr, vor dem ich mich fürchtete. Ich fühlte mich … frei.

      Zögernd öffnete ich die Augen. Taghell erschien es mir im Raum, so lichtempfindlich waren meine Augen geworden.

      Ein Schatten trat an die Gitter heran und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Obwohl nichts von seiner menschlichen Gestalt geblieben war, erkannte ich Mark. Sein Blick war fragend, der Kopf leicht zur Seite geneigt. Wir hatten in dieser Gestalt keine Stimme, wie die Menschen. Allein über Körpersprache und selten über Laute und Gesten konnten wir kommunizieren.

      Sofort ersann mein Verstand einen kleinen Racheplan. Frei von jedweder Moral und Ethik dieses Körpers wollte ich Vergeltung für meine Gefangenschaft. Lautlos trat ich auf Mark zu und umschloss mit einer Pranke die Gitterstäbe. Ein Knurren entwich meiner Kehle, grollend tief und böse. Mark entblößte bei einem Grinsen die mächtigen Reißzähne. Glaubte er doch erkannt zu haben, dass ich bei Bewusstsein war. Er machte eine Geste in Seths Richtung, der daraufhin das Schloss von der Tür riss.

      Das habt ihr jetzt davon, dachte ich und ließ mich auf meine Pfoten fallen. Mit einem einzigen Satz und markerschütterndem Gebrüll sprang ich aus der Zelle. Jetzt wollte ich sie erschrecken!

      Mein Körper wusste genau, was er zutun hatte und wie er funktionierte. Die Stärke, die ich in jedem Muskel fühlte, war berauschend und atemberaubend. Trunken von meiner eigenen Kraft duckte ich mich zum Sprung und stieß mich ab. Wie ein Pfeil schoss ich durch den Keller. Erschrocken wichen die Männer mir aus. Einer stieß ein wütendes Grollen aus. Wohl Mark, der sich über seine offensichtliche Fehleinschätzung ärgerte. Ich jagte sie zur Treppe und hatte meine helle Freude an ihrer Flucht. So groß, so stark und dennoch flohen sie vor mir. Fast wie Kaninchen hetzten sie die Stufen hinauf. Ihre Klauen schlugen tiefe Kerben in das Holz. Nur einige Neue zu Tausenden Alten.

      Seth war der Erste, der begriff, dass ich nur bluffte. Er schlug die Klauen in den Marmor der Halle und fuhr herum. Wie ein Fels blieb er stehen und konterte meinen Angriff. Mit voller Wucht lief ich auf ihn auf. Knochen krachten und ein unangenehmes Geräusch erfüllte den hohen Raum, als Fleisch hart auf Fleisch prallte.

      Mark, Victor, Lukas und Nick schlitterten über den glatten Stein, als sie mein Spiel durchschauten. Seth stieß mich mit einem harten Stoß von sich und schleuderte mich zu Boden. So schnell ich konnte, rappelte ich mich wieder auf. Jaulend vor Freude sah ich sie an. Mit einem kurzen Satz war Seth an meiner Seite. Zorn glomm in seinen bernsteinfarbenen Augen. Er knurrte mich an. So etwas wie: Mach das ja nie wieder!

      Leichtfüßig sprang ich zur Seite und schnaubte abfällig. Das habt ihr halt davon. Marks Brüllen unterbrach meine Schadenfreude. Er fixierte mich mit einem herrischen Blick und ich senkte entschuldigend den Kopf. Er bedachte mich mit einem letzten, warnenden Grollen, ehe er zur Eingangstür schritt und sie behutsam mit seiner großen Pranke öffnete.

      Draußen erwartete uns eine schwüle, drückende Augustnacht. Der Vollmond stand hoch und silbrig am Himmel. Die Erde war nass und übersättigt vom letzten Regen, weich und warm unter meinen Ballen, als ich auf den Weg hinaustrat. Langsam ließ ich meinen Blick über die Einfahrt schweifen, über den nahen Wald und das weite Land dahinter. In mir brandete eine alles verschlingende, unbarmherzige Lust auf. Mein Puls beschleunigte sich. In meinen Klauen begann es zu prickeln. Ich wollte rennen. Weit und so schnell, bis ich keine Kraft mehr hatte.

      Vergessen waren Mark und seine Regeln. Vergessen war meine Vergangenheit. Jetzt gab es nur noch die Nacht, die Weite und mich.

      In einem eleganten, langen Satz übersprang ich Seth, der neben mir stand und sprengte über die Einfahrt. Kiesel flogen, dann matschige Erde. Brüllend und fluchend hörte ich die anderen hinter mir herhetzen. Ich ignorierte die Warnungen, hörte sie nicht. Das Rennen im Mondlicht und die Lust zur Jagd machten viel mehr Spaß, als mit ihnen zu streiten. Es war die reine Lust zu rennen, zu jagen und zu morden. Die pure Lust nach Blut. Mein Hunger schrie nach einer ersten Beute. Ich wollte nicht mehr denken. Ich wollte nur noch dem Wolf in mir freie Bahn lassen. Ich wollte frei sein, heute Nacht. Frei von allem. Ich wollte das sein, was ich war. Ein Monster.

      Der Erste, der nach ein paar Meilen wieder zu mir aufschloss, war Nick. Mein kleiner, temperamentvoller Bruder. Schnell hängten wir die Anderen ab und verschwanden in den Tiefen des Waldes. Heulend