Liesa-Maria Nagel

ANGEL


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      Doch bevor ich darüber nachdenken konnte, keuchte auch ich auf, als mich etwas, wie mit aller Gewalt in die Brust stach.

      „Das ist normal“, sagte Mark mit rauer Stimme und rieb sich über die Brust, „Es zeigt dir, dass es Zeit wird. Komm, wir gehen in den Keller. Die anderen warten sicher schon.“

      Noch während er sprach, sah ich, wie sich die Farbe seiner Augen veränderte. Von einem tiefen, moosigen Grün hin zu einem schimmernden Bernsteingelb. Leuchtend und intensiv, wie Sterne. Er nahm wieder meine Hand und zog mich aus dem Arbeitszimmer hinaus in den Flur. Ich ließ mich einfach von ihm leiten. In meinem Kopf überschlugen sich gerade die Gedanken. Bildfragmente und Gefühle von Schmerz und Leid schossen von allen Seiten durch mein Hirn. Mein Atem wurde flach und meine Hände feucht. Mein Magen zog sich zu einem harten, kalten Klumpen zusammen.

       Ich hatte Angst.

      Mark öffnete die Kellertür und ging auf der schmalen Holztreppe voraus. Das gemauerte Gewölbe des Kellers war feucht und nur eine einzige, nackte Glühbirne erhellte den weiten, niedrigen Raum.

      Ich war noch nicht mit beiden Füßen auf dem rauen Betonboden angekommen, da nahm ich schon den Geruch der anderen wahr.

      Im Schatten der gegenüberliegenden Wand standen sie. Wartend. Unruhig. Angespannt. Die Luft war wie elektrisiert, die Spannung fast greifbar.

      „Hier.“ Sogar Mark klang jetzt ungeduldig. Er brachte mich zu einem Stahlgitterkäfig, den man in der hintersten Ecke des Kellers montiert hatte. Armdicke Stahlstangen würden alles dort drinnen halten, was man hineinsperrte.

      Beim Anblick der Enge stockte mir der Atem. Angst und schrille Panik schnürten mir mit einem Mal die Kehle zu. Ich verstand nicht, woher sie kamen, aber sie waren so real, dass ich sie nicht verdrängen konnte.

      „Ich kann nicht!“, keuchte ich und wich einige Schritte zurück. Mark fluchte unterdrückt. „Dafür haben wir jetzt wirklich keine Zeit. Du gehst in den Käfig, Angel! Keine Widerrede!“, knurrte er finster und griff nach meinem Arm. Ich starrte ihn mit einer Mischung aus Angst und Zorn an.

      „Nein! Ich gehe in keinen Käfig! Du kannst mich nicht einsperren!“, fauchte ich und nahm reflexartig eine bedrohliche Haltung an. Mark beobachtete meine Reaktion mit hochgezogener Augenbraue.

      „Das war keine Bitte, sondern ein Befehl!“, erwiderte er schroff und versuchte wieder nach mir zu greifen, doch ich wich ihm abermals aus. Woher kam die plötzliche Angst, eingesperrt zu sein? Ich konnte allein den Gedanken daran kaum ertragen. Eine tiefe, blinde, uralte Wut stieg in mir auf.

      „Du kannst mir nichts befehlen! Ich gehöre dir nicht!“, fauchte ich und hörte, wie Seth und Nick hinter uns scharf die Luft einsogen. Jemand fluchte.

      „Du bist jetzt ein Teil des Rudels und deshalb hast du dich mir als Alpha bedingungslos zu unterwerfen, ist das klar?“ Mark baute sich langsam vor mir auf. Eine unüberwindbare, einschüchternde Wand aus Zorn und Muskeln.

      „Seit wann gehöre ich zu euch? Das habe ich nie gesagt!“, zischte ich und machte einen Schritt zur Seite. Mark folgte mir in einer Drehung. Er würde mich nicht entkommen lassen und so langsam erreichte seine Geduld ihr Limit.

      „Du lebst in meinem Haus, isst mein Essen und rennst auf meinem Gelände. Es ist wie mit der Katze. Wenn du sie fütterst, ist es deine. Du gehörst jetzt dem Rudel und wirst für immer ein Teil von ihm sein. Also wirst du dich auch dem Alpha unterwerfen.“

      Ich stieß ein wütendes, verzweifeltes Knurren aus. „Ich. Unterwerfe. Mich. Dir nicht!“, brüllte ich und stieß mich vom Boden ab. Mark reagierte nur eine Spur zu langsam, vielleicht aber auch absichtlich. Ich erwischte ihn eben noch mit meinen Fingernägeln an der Wange.

       Waren meine Finger tatsächlich zu Klauen geworden?

      Ein blutiger Kratzer zog sich über Marks kräftigen Kieferknochen. Ungerührt fuhr er mit dem Daumen darüber und leckte das Blut ab.

      Ich sah seinen Angriff nicht kommen.

      Erst, als sich seine Finger um meine Kehle schlossen, begriff ich, dass er sich überhaupt bewegt hatte. Mit angehaltenem Atem und vollkommen reglos verharrte ich in seinem festen Griff. Er hatte mich. Mist!

      „Ruhig. Wenn du versuchst, dich zu wehren, muss ich dich leider bewusstlos schlagen“, flüsterte er und zwang mich langsam rückwärts. Seth knurrte von der anderen Seite her leise Flüche, die eindeutig mir galten. Es machte ihn rasend, dass ich mich so bewusst gegen Mark auflehnte. Ich warf ihm nur einen bösen Blick über Marks Schulter hinweg zu.

      Mark machte eine Kopfbewegung und Lukas kam zu uns herüber. Der blonde Mann öffnete die Käfigtür und Mark bugsierte mich hinein. Erst dann ließ er meine Kehle los. Ich holte tief Atem und rieb mit den Fingern über die schmerzende Haut. Böse musterte ich die Männer durch die Gitterstäbe. Das würden sie mir noch büßen.

      Lukas schloss die Tür hinter mir und hängte das solide Vorhängeschloss ein, während Mark erleichtert die Luft ausstieß. Sein Daumen fuhr noch einmal über die Stelle, wo ihn meine Fingernägel erwischt hatten. Aber die Schramme war bereits verheilt. Er kam nahe an die Gitter und sein Körper warf einen langen Schatten auf mich.

      „Stell dich nicht so an. Wenn du deinen Körper unter Kontrolle hast, lasse ich dich wieder raus. Das verspreche ich dir.“

      Ich glaubte ihm, aber die Panik wollte trotzdem nicht weichen. Der winzige Raum schien kleiner und kleiner zu werden. Ich bekam kaum noch Luft, mir wurde schlecht.

      Mit zitternden Fingern umfasste ich die Gitterstäbe und sah Mark flehend an. „Lass mich hier raus“, flüsterte ich, „ich halte das nicht aus.“

      Mit ernstem, aber mitfühlendem Blick kam er zu mir und legte seine Hände auf meine.

      „Das kann ich nicht, Angel. Noch nicht.“

      „Ich kann das nicht! Das Eingesperrtsein! Es macht mir Angst. Es kommt tief aus meinem Inneren. Mark, ich kann das nicht!“ Meine Stimme war schrill und leise, sie überschlug sich in meiner Panik. Wieder spürte ich, wie sein Daumen sanft über meine Haut rieb. Ein zärtliches, beruhigendes Gefühl. Wie eine Umarmung.

      „Vielleicht ein Erlebnis von früher“, überlegte er. „Es ist nicht für lange, glaube mir. Nur ein paar Minuten, dann ist es vorbei.“

      Ich klammerte mich an seine Worte und nickte schwach.

      „Zieh dir lieber die Kleider aus“, murmelte er, „Was aus dir wird, zerreißt alles, was jetzt noch auf deiner Haut liegt.“

      Die Angst trat für einen Moment in den Hintergrund, als meine Sorge meinen wenigen Habseligkeiten galt. Ich besaß nur wenige Kleider, und alle hatte Mark mir geschenkt. Ich wollte sorgfältig damit umgehen, also zog ich mir das Top über den Kopf und streifte die Hose ab. In Unterwäsche blieb ich sitzen und schlang die Arme um mich. Wenigstens einen Teil meiner schrecklichen Haut wollte ich vor ihren Augen verbergen.

      „Mehr bekommt ihr heute nicht zu sehen“, feixte ich, als mir Seths heißer Blick auffiel. Nick kicherte leise und Mark warf mir daraufhin einen schnellen, aufmunternden Blick zu. Ich seufzte und schenkte ihm ein Lächeln.

      Nun entledigten sich auch die anderen ihrer Kleider und warfen sie zu einem Haufen zusammen. Eine merkwürdige Angewohnheit, wie ich fand, aber da es alle automatisch taten, gehörte es wohl dazu. Zugegebenermaßen sahen alle fünf oben ohne und so versammelt gar nicht mal so schlecht aus. Eine wahre Augenweide.

      Für einen Moment vergaß ich alle Anspannung und sogar die Angst, doch Mark katapultierte mich nur Sekunden später wieder dorthin zurück.

      „So“, sagte er leise und warf einen Blick in die Runde, „Es ist soweit.“ Unwillkürlich stockte mir der Atem, als ich daran dachte, was ich alles in den Büchern gelesen hatte.

      Es beginnt mit Schmerz. Wie eine Häutung bei lebendigem Leibe. Die Struktur der