Liesa-Maria Nagel

ANGEL


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ein.

      Er hatte Interesse an mir und seinem Geruch nach zu Urteilen nicht gerade wenig. Seth wollte mich.

      In der großen Küche angekommen, ließ er mich von seinem Arm gleiten. Kaum, dass meine Füße auf den Kacheln aufsetzten, wandte er sich von mir ab. „Kannst du schon einmal anfangen?“, fragte er ohne mich anzusehen, „Ich hatte an Pfannkuchen gedacht. Ich werde dir gleich helfen, gib mir nur einen Moment ...“ Und ohne eine Antwort von mir abzuwarten, verließ er die Küche.

      Ich stand noch eine Weile wie angewachsen da und starrte die Tür an. Was war das denn gerade?

      Stöhnend sank ich schließlich auf die Bank am Küchentisch und schlug mir die Hände vor den Kopf.

      „Angel, du bist wirklich saublöd!“, schimpfte ich mich selbst. Was war ich doch blind. Ich schien neben meiner Erinnerung auch meinen gesunden Verstand verloren zu haben. Eine Frau in einem Haus, das nur von Männern bewohnt wurde. Seit einer Ewigkeit hatte hier schon keine Frau mehr gelebt. Von einstmals vielen waren nur noch die fünf Männer geblieben. Zwar war ich bestimmt nicht hübsch, aber eindeutig das einzige, weibliche Wesen im Haus. Es wäre also ein Wunder, wenn sie mich einfach ignorieren würden. Das war schlicht gegen ihre Natur.

      Wütend starrte ich mein Spiegelbild in der Fensterscheibe an. Was fand Seth nur an mir? Ich fand mich nicht schön, nicht außergewöhnlich. War ich in Seth' Augen wirklich so begehrenswert?

      „Nimm es ihm nicht übel.“ Nicks Stimme in der Tür ließ mich aufhorchen. Ich hob den Blick und sah ihn dort stehen, lässig an den Türrahmen gelehnt. „Er ist zu einem wesentlichen Teil mehr Tier, als jeder von uns. Sein Trieb ist sehr stark. Ich habe noch nie gesehen, dass er sich so lange zurückhalten konnte, wie bei dir.“

      „Aber ...“, wollte ich einwenden, ohne zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte. Nick lächelte und kam langsam näher. Mark hatte mich schon anfangs gewarnt, dass der Anteil an Werwolf-DNS in Seth ungleich höher war, als bei den übrigen Rudelmitgliedern. Das machte ihn launisch und aggressiver, aber das war mir bisher nie so aufgefallen. Auch, dass er einen besonders ausgeprägten Trieb besaß nicht, aber … wenn ich so darüber nachdachte, war er wirklich oft allein in die Stadt gefahren. Ich seufzte leise. Wie naiv ich doch war.

      „Normalerweise geht er zu den Frauen in die Stadt oder treibt Sport um sich abzureagieren. Ich meine, er sieht nicht umsonst so aus, wie er aussieht.“ Nick zuckte mit den Schultern. „Dass er sich so kontrolliert wie bei dir, ist selten. Er scheint dich wirklich zu mögen.“ Nick reichte mir die Hand und zog mich auf die Füße. „Komm, wir machen Pfannkuchen, bis er wieder da ist.“ Ich konnte nur nicken. Wortlos folgte ich ihm an Herd und versuchte zu verstehen, was das alles für mich bedeutete.

      Ein paar Minuten half ich ihm schweigend dabei den Teig zuzubereiten und Pflaumen zu entkernen, bis ich meine Sprache endlich wiederfand.

      „Warum sagt er mir das nicht einfach?“, platzte es aus mir heraus. Nick sah mich für einen Moment verwirrt an, ehe er leise kicherte. Er fuhr sich mit der Hand durch das kurze, dunkelbraune Haar und hinterließ eine feine, weiße Mehlspur.

      „Ich nehme an, er will dich nicht drängen. Außerdem, solange du nicht weißt, wohin du gehörst, weiß er nicht, ob er dich jemandem wegnehmen würde.“

      „Hm, nein, ich glaube nicht, dass mich jemand vermisst. Es sucht ja niemand nach mir.“

      „Ach“, Nick legte seinen Arm um meine Schulter und zog mich an sich. „Nun schau mal nicht so traurig, Liebes! Wir finden deine Vergangenheit schon wieder! Und selbst wenn nicht, dann bauen wir dir hier eben eine Neue auf!“ Er lachte und auch ich musste schmunzeln. Mir hier eine neue Vergangenheit aufbauen? Die Idee gefiel mir.

      Nick grunzte und knuffte mit seiner freien Hand meinen Oberarm. „Wir sind jetzt deine Familie! Und Morgennacht wird’s erst richtig lustig! Keiner kommt hier um eine anständige Einführungsjagd herum.“

      Kichernd sah ich zu ihm auf. Obwohl er der Jüngste im Rudel war und noch keine fünfzig, überragte er mich um gut einen Kopf. Werwölfe waren von Natur aus großgewachsen.

      Aber dass es im Prinzip amtlich gemacht werden sollte, dass ich nun hierher gehörte, schnürte mir die Brust ein. Wenn sie mich fest in ihren Kreis aufnahmen, hatte ich wirklich eine Familie auf dieser Welt, einen festen Halt, auf den ich mich verlassen konnte.

      Aus einem plötzlichen Impuls heraus schlang ich die Arme um Nick und drückte mich an seine Brust. „Danke“, hauchte ich in sein Hemd und wusste, dass er mich trotzdem verstand. Seufzend streichelte er mir über den Kopf.

      Ein Brüllen trennte uns nur Sekunden später. Nicks Körper wurde hart von mir gerissen und gegen den Wandschrank geschlagen. Sein schmerzerfülltes, erschrockenes Keuchen erfüllte den Raum.

      Seth klebte an ihm und drückte mit beiden Händen seinen Hals zusammen. Röchelnd rang Nick nach Atem. Mit glühenden Augen und vor Zorn verzerrtem Gesicht knurrte Seth seinen Freund an.

      „Fass sie nicht an!“, zischte eine Stimme, die nicht mehr seine war. So konnte nur die Bestie in ihm klingen. Nick wehrte sich nicht, sondern reckte nur unmerklich das Kinn und bot Seth so seine Kehle dar. Eine Geste der Unterlegenheit. Er ergab sich und dennoch dauerte es noch einen endlos langen Moment, bevor sich die Finger von seinem Hals lösten.

      Nick sank auf die Knie und schnappte nach Luft während Seth noch immer wütend auf ihn herabstarrte. Ich wusste nicht mehr, zu wem ich halten sollte. Mein Blick huschte zwischen den beiden hin und her. Das war eindeutig ein Revierstreit gewesen. Dachte das Tier in Seth etwa wirklich, ich gehörte ihm? Als Seth zu mir herüber sah, starrte ich ihn wütend an.

      „Tu das nie wieder!“, fauchte ich und stieß ihn beiseite, als ich an ihm vorbei ging, um Nick wieder auf die Füße zu helfen. Ich hörte, wie Seth scharf die Luft einsog und dann seine schnellen Schritte. Er stürmte regelrecht aus der Küche, und nur Sekunden später hörten wir das Schlagen der Haustür.

      „Er hat das nicht so gemeint“, krächzte Nick und rieb sich die Kehle. „Morgen Nacht ist Vollmond. Da ist er immer besonders dünnhäutig.“

      Ich warf ihm nur einen schiefen Seitenblick zu und geleitete ihn hinüber zum Tisch, wo er sich setzen konnte.

      „Und du solltest aufhören ihn dauernd in Schutz zu nehmen“, brummte ich, während ich zum Kühlschrank ging, um einen Eisbeutel aus dem Gefrierfach zu holen. Die vier Wochen seit meinem Erwachen hatten ausgereicht, um mich hier zu Hause zu fühlen. Mittlerweile kannte ich mich in dem großen, zweistöckigen Herrenhaus bestens aus.

      Nick seufzte und ließ sich gegen die Stuhllehne sinken. „Es ist halt seine Natur und er hat es echt nicht leicht damit. Außerdem steht er im Rang über mir.“ Ich konnte über soviel Hörigkeit nur die Augen verdrehen, sparte mir aber den Kommentar. Nick nahm mir den Eisbeutel ab und drückte ihn gegen seinen Hals.

      „Du solltest ihn suchen gehen“, murmelte er. Seine Stimme klang seltsam. Rauer. Hatte Seth ihn wirklich so sehr gewürgt?

      „Warum sollte ich das tun?“, fragte ich.

      Nick fluchte. „Er wollte dich verteidigen. Und damit wir alle nicht die nächsten drei Tage auf Zehenspitzen um ihn herumschleichen müssen, solltest du diese Sache zwischen euch klären. Sag ihm, ob du ihn willst oder nicht. Aber mach es ihm deutlich, sonst wird er damit nicht aufhören. Ganz im Gegenteil!“

      Ich schnaubte abfällig: „Dafür müsste ich vorher erst einmal selber wissen was ich will, oder?“

      Nick gab einen leisen Laut von sich, der wohl ein Lachen werden sollte. Er rieb sich die Augen. „Weißt du, ich habe eine Freundin. Sie ist ein Mensch, deswegen wohnt sie nicht hier. Wäre sie nicht da, würde ich wahrscheinlich auch auf dich abfahren. Lukas ist schwul, der hat das Problem nicht. Aber sogar Victor und Mark haben ganz schön mit sich selbst zu kämpfen, wenn du ihnen nahe bist. Unterschätze deine Wirkung auf Männer nicht, Angel. Du bist deutlich schöner, als du dich selbst siehst und hier im Rudel hat seit einer Ewigkeit keine Frau mehr gelebt.“

      Ich