Liesa-Maria Nagel

ANGEL


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wies mit dem Finger auf die andere Seite der Straße. Ich sah hinüber und erblickte den im Schatten der Häuser gelegenen Kellereingang. Ich nickte.

      „Gut. Da müssen wir hin. Kannst du allein über die Straße?“

      Ich sah erst sie an und dann auf die Straße zurück.

      Sie war breit. Vierspurig. Mit einem mit Grün bewachsenen Mittelstreifen.

      Normalerweise wäre ich mit zwei Sätzen lautlos und ohne, dass mich auch nur jemand wahrgenommen hätte, dort hinübergekommen. Doch jetzt schüttelte ich den Kopf. Der Vampir seufzte.

      „Das dachte ich mir fast.“ Sie starrte einen Moment konzentriert auf die Straße, ehe sie fortfuhr. „Nun gut. Ich kann uns beide für einen Moment in Nebel verwandeln, aber du musst mir schon ein wenig helfen, sonst kommen wir nicht schnell genug über die Straße.“

      Ich sah sie zweifelnd an, nickte dann aber. Mir war nicht wohl bei der Vorstellung. Aber was hatte ich für eine Wahl?

      Sie lächelte und entblößte dabei ihre spitzen Eckzähne, die seit vorhin sichtbar kleiner geworden waren. „Dann komm!“, forderte sie mich auf und griff wieder unter meine Arme.

      Der Schmerz in meinem Inneren war mittlerweile so unerträglich geworden, dass ich am liebsten geschrien hätte. Wenn ich versuchte die Wandlung hinauszuzögern, so wie jetzt, wurden die Schmerzen nach einer kurzen Zeit so grausam, dass es mich umbringen könnte, wäre ich sterblich. Schwer atmend richtete ich mich wieder auf.

      „Es ist nicht weit“, raunte sie mir zu und ich nahm nur am Rande war, dass uns langsam eine immer dichter werdende Nebelwolke einhüllte. Ich versuchte, ruhiger zu Atmen um mich besser konzentrieren zu können. Konzentriere dich. Entspanne dich. Ruhig, Angel, atme ruhig ...

      „Jetzt!“, zischte der Vampir und ich sammelte den letzten Rest meiner Kraft zusammen, spannte mich und sprang. Der Vampir riss mich mit sich in die Höhe. Keuchend vor Schmerz verlor ich auf kaum halber Strecke meine Körperspannung und sackte deutlich zusammen.

      „Zum Teufel nochmal!“, fluchte der Vampir laut und landete auf dem Mittelstreifen. Sie verstärkte ihren Griff um meine Schulter, dass ich die spitzen Fingernägel in meinem brennenden Fleisch spürte, machte zwei kräftige Schritte und übersprang auch noch den letzten Teil der Straße.

      Auf der anderen Seite stolperte sie einige Schritte in die rettende Dunkelheit und entkam nur knapp den ersten Sonnenstrahlen, die sich lautlos über den Horizont geschlichen hatten.

      Ich bekam kaum noch etwas mit. Der Schmerz hatte mich bereits nahezu blind und taub gemacht. Mein Atem ging unregelmäßig und mein Herz setzte immer wieder ein paar Schläge lang aus. So konnte ich auch nicht mehr reagieren, als sie mich losließ und mit einem heftigen Stoß eine steile Betontreppe hinabstieß. Ich stürzte und landete unsanft am Fuß der Treppe, wo ich fast am Ende meiner qualvollen Wandlung liegen blieb.

      Der Vampir aber sprang mit einem Satz zu mir herab und packte mich bei den Haaren. Sie rammte die schwere Feuerschutztür mit der Schulter auf und stieß mich hart hinein. Kaum einen Atemzug später folgte sie mir und warf die Tür sofort wieder zu.

      Schwere schwarze wundervoll kühle Dunkelheit umfing uns. Keuchend lag ich auf dem feuchten Kellerboden. Ich fühlte, wie die Kälte des Betons langsam in meine Glieder kroch und der Schmerz endlich verschwand.

      Mir schien es eine Ewigkeit zu dauern, ehe ich mich auch nur wieder in der Lage sah, die Augen zu öffnen und den Kopf zu heben. Um mich war nichts als Schwärze. Meine Augen waren noch immer blind, und wenn ich Pech hatte, konnte das auch noch einige Tage anhalten. Jemand stieß mich mit dem Fuß an.

      „Hey. Kannst du mich hören?“

      Den Vampir hatte ich völlig vergessen. Ich wandte den Kopf langsam in die Richtung, aus der ich ihre Stimme hörte. Immerhin funktionierte mein Gehör wider Erwarten noch.

      „Ja“, krächzte ich leise. Der Vampir schwieg einen Moment und ich hörte, wie sie sich auf den Boden setzte. Sie musste etwas aus Leder tragen, dem glattkühlen Knittern nach zu urteilen, dass ihre Kleider beim Hinsetzen machten.

      Ich versuchte derweil mich aufzusetzen, und zu meinem eigenen Erstaunen gelang es mir sogar.

      „Wo sind wir hier?“, fragte ich sie, als ich halbwegs aufrecht saß und Halt an einer Wand hinter mir gefunden hatte. Der Vampir gab ein leises, aber eindeutig verächtliches Schnauben von sich.

      „In einem Keller“, sagte sie abfällig, „Was denkst du denn, Wolf?“

      Ich überhörte ihren provokativen Unterton und fuhr fort. „Danke, dass du mir geholfen hast. Du hast was gut bei mir, Vampir.“ Ich lächelte, immer noch etwas unbeholfen.

      Sie lachte leise. „Nein, habe ich nicht. Immerhin hast du mir bei dem Parkwärter … geholfen.“

      Das letzte Wort betonte sie besonders. Der Ansatz eines Grinsens huschte über meine Lippen. Vampire!, dachte ich, Die sind echt alle gleich. Fast hätte ich gelacht.

      „Was machen wir jetzt?“, fragte ich sie nach einer Weile, in der nur Stille geherrscht hatte. Kein anderes Geräusch drang zu uns durch. Lediglich das leise Klicken von Handytasten hatte ich vernommen. Wahrscheinlich schrieb sie eine SMS. Noch immer war ich vollkommen blind. Normalerweise hätte ich sogar in dieser nahezu perfekten Schwärze sehen können, nun aber war ich zur Gänze auf meine anderen Sinne angewiesen. Die Vampirin seufzte leise, bevor sie mit antwortete.

      „Ich habe uns jemanden gerufen, der uns bald abholen wird. Solange müssen wir warten.“ Sie sprach leise, aber ihr Ton klang gereizt. Vermutlich hatte sie Schmerzen. Die Brandschutztür dürfte ihr einen ordentlichen blauen Fleck eingebracht haben. Außerdem roch ich verbranntes Fleisch.

      Ich nickte in der Hoffnung, dass sie es sah, und unternahm einen ersten, vorsichtigen Versuch aufzustehen. Es klappte zwar nur langsam und auch nur unter Stöhnen, aber nach einem Moment stand ich wieder auf meinen Füßen. Behutsam versuchte ich herauszuhören, wo sich die Vampirin befand. Eingesperrt mit dem ärgsten Fressfeind zu sein, war für keinen von uns eine angenehme Situation. Wir jagten im selben Revier dieselbe Beute. Im Normalfall hätte jede von uns versucht, die andere zu töten. Warum diese Vampirin mich gerettet hatte, verstand ich nicht. Doch, noch ehe ich mir Gedanken darum machen konnte, riss mich ihre Stimme aus den Gedanken.

      „Komm“, ihre Stimme war nun milder, fast versöhnlich „Unsere Mitfahrgelegenheit ist da. Ich habe hier was zum Anziehen für dich.“

      Ich wandte mich ihrer Stimme entgegen und im selben Moment spürte ich etwas kühles Glattes an meinem Arm. Ich griff danach und hielt es hoch. Auch ohne es zu sehen, wusste ich, dass es ihr Ledermantel war.

      „Das soll ich anziehen?“, fragte ich skeptisch.

      „Das und nur das“, antwortete sie mir. Sie grinste, das konnte ich hören und was blieb mir auch anderes? Entweder nur den Mantel oder nackt.

      Ich warf mir den Mantel um die Schultern und knöpfte ihn bis zu den Knien zu. Er war mir etwas zu eng; saß sehr knapp, vor allem um die Brust und den Hintern.

      „Du hast mir deinen Namen noch gar nicht gesagt?“, fragte ich den Vampir, während ich auf den Ort zuging, wo ich den Schlag ihres Herzens hörte. So viel langsamer als der eines Menschen. Und deutlich langsamer als mein Eigener. Der Vampir gab einen Laut von sich, der fast ein Lachen war. Sie grinste, während sie sprach.

      „Mein Name ist Robin. Robin Meloy.“

      *

      Der Geruch von Erde und Zimt füllte meine Nase, als ich erwachte. Seufzend streckte ich mich, fühlte weiche Kissen und Decken auf mir. Es war warm und ruhig. Ich war nicht mehr im Park, das hier war ein Bett.

      Die Erinnerung an den vergangenen Morgen drängte sich wieder in meinen Kopf. Die Vampirin. Sie hatte mich mit zu sich genommen. Das war also offenbar ihr Bett.

      Ich rollte mich auf den Rücken und sah zur