Ursula Tintelnot

Die Füchsin


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wird vom Te­le­fon ge­weckt. Stöh­nend zieht sie sich ihr Kis­sen über den Kopf. Um die­se Uhr­zeit kann nur es eine sein. Ihre Mut­ter.

      »Va­le­rie, ich weiß, dass du da bist.«

      War­um ruft die­se Frau im­mer so früh an? Für sie be­steht doch kei­ne Ver­an­las­sung, zu nacht­schla­fen­der Zeit aus dem Bett zu sprin­gen. Ihre Mut­ter hat kei­nen Be­ruf, sie muss das Haus nicht ver­las­sen wie die Mehr­zahl ih­rer Ge­schlechts­ge­nos­sin­nen. Sie be­rich­tigt sich, war­um rufst du über­haupt an, Mut­ter?

      Sie selbst hat einen An­lass auf­zu­ste­hen, jetzt. Ein Ter­min mit ih­rer Lek­to­rin im Ver­lag. Auf ih­rem Weg ins Bad füllt sie Was­ser und Fut­ter für die Kat­ze in zwei Näp­fe und setzt Kaf­fee auf. Nach dem zwei­ten An­ruf ih­rer Mut­ter an die­sem Mor­gen nimmt sie nun doch ab.

      »Grace hier. End­lich«, hört sie ihre Mut­ter, als ob sie es nicht wüss­te. Für Va­le­rie ist sie im­mer nur Grace, Mut­ter ma­che sie alt.

      »Ich bin in Eile.« Sie mus­tert sich im Spie­gel.

      »Das bist du im­mer.«

      »Ich habe einen Be­ruf.«

      »Du schreibst, das ist et­was an­de­res. Ich möch­te euch zum Abend­es­sen se­hen.«

      »Wen meinst du mit euch. Soll ich die Kat­ze mit­brin­gen?«

       Va­le­rie hört ihre Mut­ter ein­at­men.

      »Sei nicht al­bern.«

      Wenn ich in dei­ner Ge­gen­wart et­was nicht füh­le, Mut­ter, ist es der Wunsch, al­bern zu sein.

      Dann Grace Stim­me: »Was ist denn mit Ma­gnus? Er ist rei­zend und so gut er­zo­gen.«

      »Das ist die Kat­ze auch. Wir ha­ben uns ge­trennt. Die Kat­ze hat er da­ge­las­sen.«

      »Kannst du nicht ein­mal einen Mann hal­ten?« Grace dehnt das ein­mal the­a­tra­lisch. »Ich neh­me an, dass du nicht mehr lan­ge frucht­bar bist?«

      Va­le­rie holt tief Luft. »Ich bin zwei­und­drei­ßig, nicht hun­dert. Im Ver­lag er­war­tet man mich.«

      »Eine Frau muss einen Mann fin­den, be­vor sie völ­lig ab­sto­ße…«

      Va­le­rie knallt den Hö­rer auf die Sta­ti­on und fragt sich, war­um die Ge­sprä­che mit ih­rer Mut­ter im­mer zu ei­nem Schlag­ab­tausch ge­lin­gen. Die Kat­ze ver­schwin­det mit ein­ge­klemm­tem Schwanz un­ter ei­nem Ses­sel. War­um är­gert sie sich im­mer wie­der über ihre Mut­ter? Aber na­tür­lich weiß sie es. Sie ist über­grif­fig und so takt­los, dass sie je­des Mal zu­sam­men­zuckt.

      Va­le­rie läuft die Stu­fen hin­ab, zieht die Haus­tür hin­ter sich zu und steigt in das war­ten­de Taxi. Ihr Ma­nu­skript hat sie un­ter den Arm ge­klemmt, eine Um­hän­ge­ta­sche über der Schul­ter. Da die Da­tei längst bei Ruth liegt, ist es nicht nö­tig, es mit­zu­neh­men, aber sie will noch ein paar Stel­len, die sie mar­kiert hat, mit der Lek­to­rin be­spre­chen. Sie starrt blick­los aus dem Fens­ter. Erst als das Taxi den Mit­tel­weg über­quert, um über die Als­ter­chaus­see den Ha­r­ve­ste­hu­der Weg an­zu­steu­ern, wird sie wach. Sie muss sich auf die kom­men­den Ge­sprä­che kon­zen­trie­ren.

      Das recht­e­cki­ge Ge­bäu­de des Ver­la­ges Neu­mey­er & Roth liegt in ei­nem schö­nen par­k­ähn­li­chen Ge­län­de an der Au­ßen­als­ter. Ruth er­war­tet sie. Die Chef­lek­to­rin ist längst zu ei­ner Freun­din ge­wor­den. Sie hat von An­fang an ihre Ro­ma­ne be­treut.

      »Wie im­mer ein paar Mi­nu­ten zu spät.« Ruth um­armt sie. »Macht nichts, der Kaf­fee kommt gleich. Der Chef will dich nach­her auch noch se­hen, aber erst­mal ma­chen wir uns an die Ar­beit.« Sie lacht und zieht sie in ihr Büro.

      Va­le­rie legt ihr Ma­nu­skript auf den aus­la­den­den Schreib­tisch und lässt sich stöh­nend in einen Ses­sel fal­len. »Mei­ne Mut­ter«, klagt sie.

      »Was hat sie wie­der an­ge­stellt?«

      Statt ei­ner Ant­wort fragt sie: »Bin ich ei­gent­lich schon völ­lig ab­sto­ßend?«

      Ruth lacht ihr Laus­bu­ben­la­chen und nickt. »Du siehst gräss­lich aus.«

      Was sie sieht, ist al­les an­de­re als reiz­los. Eine at­trak­ti­ve, er­folg­rei­che Frau, die nicht ahnt, wie ver­füh­re­risch sie ist. War­um weiß Va­le­rie das nicht?

      »Wie kommst du jetzt da drauf?«

      Va­le­rie schil­dert den mor­gend­li­chen An­ruf.

      »War­um te­le­fo­nierst du über­haupt noch mit ihr?«

      Va­le­rie steht auf und tritt ans Fens­ter. Sie blickt auf die glit­zern­de Als­ter und auf die im Son­nen­licht kreu­zen­den wei­ßen Se­gel. Auf die­se Fra­ge weiß sie kei­ne Ant­wort. Sie hat sie sich selbst schon tau­send­mal ge­stellt.

      3 Juni

      Adam steht seit fünf Uhr im Ge­wächs­haus. Ben schläft noch. Er hört sein lei­ses At­men aus dem Ba­by­pho­ne, das er ne­ben blü­hen­dem Sal­bei de­po­niert hat. Seit er Ben­ja­min bei sich hat, steht er früh auf, um so viel Zeit wie mög­lich mit ihm zu ver­brin­gen. Nichts hat ihn auf den Tag im letz­ten No­vem­ber vor­be­rei­tet. Er greift nach ei­ner Pflanz­kis­te und zieht sie zu sich her­an. Nicht dar­an den­ken! Aber er kann es nicht ver­hin­dern. Vor sei­nem in­ne­ren Auge taucht das sanf­te schö­ne Ge­sicht sei­ner Schwes­ter auf. Ben hat viel von ih­rer Sanft­heit, denkt er. Er blickt über die gro­ßen Me­tall­ti­sche. Es war Se­me­les Gärt­ne­rei nach dem Tod des Va­ters ge­we­sen. Adam ist Bio­lo­ge.

      »Es ist nicht mein Ding, mir die Hän­de schmut­zig zu ma­chen«, hat­te er la­chend er­klärt, als es um die Nach­fol­ge ging.

      Sein Va­ter gab sei­ne Gärt­ne­rei ger­ne in die Hän­de sei­ner Toch­ter und ließ sei­nen Sohn stu­die­ren. Jetzt steht Adam hier und packt die Pflanz­kis­ten, die heu­te aus­ge­lie­fert wer­den sol­len, er macht ge­nau das, was er nie ma­chen woll­te, er macht sich die Hän­de dre­ckig. Er weiß, wie sehr sein Va­ter und sei­ne Schwes­ter die Gärt­ne­rei ge­liebt ha­ben. Adam kann sie nicht auf­ge­ben. Schon des­halb nicht, weil sie al­les ist, was Ben von sei­nem klei­nen Le­ben ge­blie­ben ist.

      »Wuff.«

      Adam läuft los. Ben kann es nicht er­tra­gen, al­lei­ne zu sein, bes­ser, ohne ihn zu sein. Die klei­ne Hün­din Bel­la flitzt vor ihm her. Auch sie ein Erbe sei­ner Schwes­ter. Adam ist eher ein Kat­zen­mensch. Mit dem Tod sei­ner Schwes­ter und sei­nes Schwa­gers ist er Mut­ter und Va­ter zu­gleich.

      Sie wa­ren auf dem Rü­ck­weg von sei­ner Par­ty ums Le­ben ge­kom­men. Er fühlt sich schul­dig. Na­tür­lich ist es nicht sei­ne Schuld, aber er kann den Ge­dan­ken ein­fach nicht ab­schüt­teln. Er sieht die Po­li­zis­tin mit ei­nem wei­nen­den Klein­kind auf dem Arm noch vor sich ste­hen.

      »Ich muss Ih­nen lei­der mit­tei­len … Sind Sie der ein­zi­ge le­ben­de Ver­wand­te?«

      Seit die­ser Zeit hat er Ben bei sich. Wo­chen­lang trägt er ihn auf dem Arm oder auf den Schul­tern. So­bald er ihn ab­setzt, klam­mert sich der Jun­ge an ihn wie ein Äff­chen. Ein­schla­fen ohne Adam, Fehl­an­zei­ge. Du­schen al­lei­ne kommt nicht in Fra­ge. Zu An­fang war es läs­tig, jetzt, nach acht Mo­na­ten, fehlt ihm et­was, wenn der Klei­ne mal nicht auf sei­nen Schul­tern