zieht sie Affären mit verheirateten Männern vor. Sie reden nicht über ihre Eroberungen und gehen nach angemessener Zeit wieder. Nichts von Dauer.
»Wie geht es deiner Frau und den Kindern?«, fragt sie, statt seine Frage zu beantworten.
»Ich hab’s verstanden«, sagt er lächelnd. »Wie geht es deinem Katzenmann?«
Nur noch Katze, kein Mann, denkt sie. Sie antwortet nicht.
Er nimmt das neue Exposé vom Tisch. »Du bist ja fleißig. Ich lese es durch. Hat Ruth es schon gesehen?«
»Wir haben kurz darüber gesprochen.« Valerie weiß, wie viel Viktor von der Meinung seiner Cheflektorin hält. Ruth hat ein gutes Gespür für die Themen der Zeit und eine untrügliche Nase, was bei Valeries Leserinnen ankommt.
Er nimmt einen Bogen Papier aus einer Schublade und legt einen Füller darauf. Valerie unterschreibt einen weiteren Vertrag.
Viktor beobachtet sie beim Schreiben. Sie sieht bezaubernd aus, denkt er, und sie ist verdammt anziehend. Valerie ist eines der Zugpferde seines Verlages. Jedes ihrer Bücher wird zum Bestseller. Sie besitzt eine geschliffene Sprache, und ihre Texte sind voller Humor. Interessant ist die Diskrepanz zwischen den Romanen und den Artikeln, die sie in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht. Dort verwandelt sie sich in eine Zynikerin, die zweifelt, fragt und verblüffende Zusammenhänge aufdeckt. Er liest sie ausnahmslos.
»Danke«, sagt er, als sie das Papier über die Tischplatte reicht. »Sagst du mir etwas über den Inhalt?«
»Nein.«
Valerie erhebt sich. Der schmale Rock ihres ärmellosen Leinenkleides lässt nur die Fesseln sehen. Beim Gehen öffnet er sich bis zu den Knien. Viktor erhebt sich ebenfalls. Sie ist bereits an der Tür, als er sie erreicht.
»Lies es durch«, sagt sie, »und sag mir, was du davon hältst.«
Viktor nimmt ihre Hand und haucht einen Kuss darauf.
»Mach ich. War schön dich zu sehen.«
Valerie verlässt das Verlagshaus. Sie geht langsam den Harvestehuderweg entlang. Zu ihrer Linken glitzert die Alster im Sonnenlicht. Segelboote.
Eine Postkarte, denkt sie, biegt in die Alsterchaussee ein, überquert den Mittelweg und läuft bis zur Hallerstraße. Die Gärten und Häuser nimmt sie kaum wahr. Am U-Bahnhof gibt sie auf. Die neuen Riemchensandalen drücken und sind nicht halb so bequem, wie sie aussehen.
»Paulsenplatz«, ächzt sie, wirft sich in die Polster des Taxis und löst die Riemchen an ihren Füßen.
»Bleibt es dabei?« Der Taxifahrer grinst.
»Versprochen«, sagt sie.
Den Nachmittag verbringt sie auf dem Balkon. Die Pflanzen duften und glänzen vor Nässe. Sie träumt von einem kühlen Glas Wein, einem Stück Käse am Abend nur mit ihrer Katze. Aber sie ist mit Ruth verabredet.
Valerie trifft ihre Freundin in der weiten Halle, in der auch die Lesung vor einigen Tagen stattgefunden hat. Ruth hat Karten für ein afrikanisches Tanztheater in der Fabrik. Tanz interessiert sie nicht, sie geht ihrer Freundin zuliebe mit. Ruths Armreifen klirren, wenn sie ihr Glas zum Mund führt. Sie stehen an der Theke, wo man in der Pause oder nach der Vorführung ein Glas Wein oder Prosecco trinken kann.
»Erwartest du jemanden?« Ruth sieht sich um.
»Nein. Wie kommst du darauf?«
»Weil du mich den ganzen Abend über noch nicht angesehen hast. Stattdessen hast du diesen suchenden Blick.«
Valerie hat tatsächlich an ihn gedacht. Vielleicht kommt er ja öfter hierher?
Sie spürt eine leichte Wärme auf den Wangen und beschließt, die halbe Wahrheit zu erzählen. Dann denkt sie, dass es überhaupt keine Wahrheit gibt, keine halbe und auch keine ganze. Unwillig über sich selbst schüttelt sie den Kopf.
»Also was ist?« Ruth lässt nicht locker.
»Gar nichts. Ich habe bei der Lesung neulich hier einen Mann gesehen.«
»Aha.« Ruths Brauen fahren interessiert in die Höhe. Armreifen und Ketten klingeln bei jeder Bewegung.
Sie sieht aus, als habe sie sich für diesen Abend mit bunten Perlen und Reifen folkloristisch aufgepeppt, aber es steht ihr gut. Ruth kann alles tragen, und sie ist unbestreitbar sexy. Kein Mann, der nicht einen Blick riskiert, denkt Valerie.
Sie sieht an ihrem eigenen schlichten schwarzen Kleid hinab. Dazu trägt sie eine lange schmale Silberkette und rote Pumps. An ihr klingelt nichts. Sie lächelt. Ruth sendet Signale an ihre Umgebung: Hey Leute, hier spielt die Musik. Und das tut sie mit Erfolg.
»Er war etwa zwei Jahre alt«, sagt Valerie jetzt »und saß auf dem Schoß seines Vaters. Ich nehme jedenfalls an, dass es sich um den Vater handelte. Keine Ahnung, wir haben nicht miteinander gesprochen.«
Sie weiß nicht, warum sie Ruth verschweigt, dass sie doch miteinander gesprochen haben. Es ist nicht wichtig, denkt sie. Warum kann sie sich dann an jedes Wort erinnern? Adam und Ben.
Ruth, denkt sie, hat nicht besonders viele Freunde, aber ganze Rudel von Bekannten. Sie weiß nicht mehr, wie oft ihre Freundin heute schon gegrüßt worden ist. Ruth kennt Gott und die Welt, weiß aber ihr Privatleben sehr sorgfältig zu schützen. Allerdings kann sie mit Gefühlen besser umgehen als sie selbst.
Valerie fällt plötzlich ein, dass sie ihre Kolumne für eine Zeitschrift nicht länger aufschieben kann. Die Redaktion braucht ihren Text morgen, und sie hat noch nicht einmal damit angefangen. Ausgerechnet über Gefühle soll sie schreiben.
»Ich muss gehen.«
In Gedanken ist sie schon bei der Arbeit, die vor ihr liegt. Valerie lässt sich von Ruth in den Arm nehmen, eine Körperlichkeit, die sie nur wenigen erlaubt. Diese künstliche Herzlichkeit hat ihr nie gefallen.
5 Juli
Adam studiert alte Rezepte. In der Nacht, wenn Ben fest schläft, sitzt er über seinen Büchern. Sein kostbarster Besitz ist ein abgegriffenes schwarzes Büchlein mit der schlichten Aufschrift Gift-Buch. Kein gedrucktes Buch, sondern eine Kladde, handgeschrieben von 1534. Er liest: Steppenraute, Tollkirsche, Quecksilber, Giftpilze, Geifer und Galle von Gifttieren. An Betäubungsmitteln (medicinae stupefactoriae) nennt der Verfasser: Bilsenkraut, Alraune, Opium, Giftlattich und Mohn; diese töten nur bei Überdosierung. Sehr beruhigend, denkt er.
Adam schaut auf, als Bella ein leises Knurren von sich gibt. In