Eltern und liebe Bringfriede!
Zunächst mal, lieber Papa, recht herzlichen Dank für deinen lieben Brief. Heute, am Samstag, haben wir nach glücklich überstandenen Stubendurchgang und Spindapell, den Nachmittag frei und das bedeutet für mich so viel wie, schreiben. Diese Woche kam zu meiner Freude und unerwartet Eure Päckchen an und mein Wunsch war ja schneller in Erfüllung gegangen, als ich dachte. Leider ist ja so ein Kuchen für einen hungrigen Soldaten viel zu klein, denn nach kaum zwei Tagen war der Inhalt des Päckchens schon aufgegessen und nun warte ich sehnsüchtig auf eine neue Ladung, die mir Tante Lotte in ihrem Brief angekündigt hatte. Allerdings möchte ich meinen bescheidenen Auftrag nicht zurücknehmen und Euch bitten, ihn zu erfüllen, wann ist ja gleich.
Morgen beginnt die siebte Woche unserer Ausbildung und jetzt geht es langsam bergab. Wir haben in den ersten sechs Wochen schon allerhand gelernt und sind so halbwegs Soldaten geworden. Diese Woche haben wir mit »Griffe kloppen« angefangen. In dieser Zeit haben wir schon geschwitzt wie die Bären, besonders bei »Tempo 3«, Du weißt ja Bescheid, lieber Papa, wie lange da geübt werden muss, bis der Griff sitzt und man den Schlag richtig drauf hat. Sonst hat der Dienst auch noch manches Neue gebracht und wenn man sich für den Dienst interessiert, ihn nicht als notwendiges Übel empfindet, ist ja alles halb so wild. Man muss auch seinen Sachen immer in Ordnung halten, dass man nicht auffällt denn wehe dem, der das nicht tut! Mein Lieblingsdienst ist natürlich unsere wöchentlichen Sportstunden und da sieht man, wie viele überhaupt früher Sport getrieben haben. Es sind verschwindend wenig. So wurden zum Beispiel Geräteturner, Leichtathleten, Fußball- und Handballspieler aus der Kompanie ausgesucht und es traten nur insgesamt sieben Turner und Leichtathleten vor. Fußballer waren es natürlich mehr. Wir haben nun jeden Montag und Donnerstag am Abend Training, das freut mich ganz besonders, denn für den Sommer ist man doch einigermaßen in Schwung und diese Übungsstunden stehen unter fachmännischer Aufsicht.
Morgen wollte mich Erna besuchen kommen, hoffentlich enttäuscht sie mich diesmal nicht, denn ich hatte mit ihrem Besuch schon vorigen Sonntag gerechnet. Wenn sie morgen kommen sollte, gehen wir mit unseren Stubenkameraden in die Kantine und dort werden wir mal ordentlich musizieren und Ihr zeigen, wie lustig es bei uns jungen Soldaten zugeht. Es wird Ihr bestimmt unter uns zu sein gefallen. Ausgang gibt es morgen noch nicht, es ist ja auch gleich, wir werden uns auch so prima unterhalten. Hoffen wir für morgen das Beste. Hermann schreibt ja noch gut aus Russland, ich denke manchmal, die müssen doch harte Abwehrkämpfe zu bestehen haben wie der OKW-Bericht schildert. Vor Moskau wird es nicht so hart hergehen wie an anderen Fronten. Für heute habe ich mal wieder genug geschrieben, da ich mal früher in die Falle gehen und mich gründlich ausschlafen möchte.
Herzliche Grüße sendet Euch, liebe Eltern, Bringfriede und Kinder
Euer Arnold
Sobernheim(1)
Die Blinden-Schreibmaschine von Arnolds Papa Paul von der Eltz!
Arnolds Papa Paul von der Eltz, erfand als blinder Mensch eine »Blinden-Schreibmaschine«. Die Schreibhand wurde an einem dünnen Faden geführt, und wenn man rechts am Rand angekommen war, wurde ein Mechanismus ausgelöst, der die Seite um eine »Zeile« weiterschob. Dann konnte man von links weiterschreiben. Er versuchte sie beim Deutschen Patentamt anzumelden, was aber leider, trotz einem Einspruch, abgelehnt wurde. Paul schrieb darauf zahllose Briefe. Ich selbst habe sie noch in Aktion gesehen.
Es folgt der Brief vom blinden Papa Paul. Geschrieben auf seiner von ihm erfundenen Blinden-Schreibmaschine:
Sobernheim(2)
Erblindet!
Vor zwanzig Jahren hat mein Augenleiden begonnen. Ich stand damals an der Westfront beim AK. Inf. Reg. 60. Im Februar 1915, musste ich mich wegen einer beidseitigen Augenentzündung in ärztliche Behandlung begeben. Doch bald stellte sich das alte Leiden mit erneuter Heftigkeit wieder ein und ist trotz Behandlung in einer Augenklinik, wenn auch mit einer vorübergehenden leichten Besserung, nicht mehr verschwunden. Das auch nach dem Krieg fortdauernde Augenleiden war mir so zur Gewohnheit geworden, sodass ich irgendwelche Folgen nicht befürchtete, auch dann nicht, als sich vorübergehende Trübungen einstellten. Erst als der Arzt mir den weiteren Verlauf der Krankheit andeutete, erkannte ich die Schwere des Leidens. War es denn möglich? Sollte ich wirklich …? Ich konnte das Wort »Blind« nicht denken und so sehr ich nicht auch an die letzte Hoffnung klammerte, nahm das Schicksal doch seinen Lauf.
Im Februar 1929 war ich völlig erblindet. Die nun plötzlich eingetretene Hilflosigkeit und die Erkenntnis der unabwendbaren Tatsache, brachte eine derart niederschmetternde Gemütsbewegung mit sich, dass ich, als nun auch noch die Ablehnung meines Versorgungsantrages als Kriegsgeschädigter eintraf, durch eine heftige Nervenentzündung wochenlang ans Bett gefesselt wurde. Es dauerte jahrelang, bis ich mit wiederkehrender Beruhigung der Nerven auch das seelische Gleichgewicht wieder fand. Damit erwachte aber auch gleich neuer Lebensmut in mir und der Wille zur Arbeit. Das war allerdings kein leichtes Beginnen, denn das Konzentrieren meiner Gedanken auf einen bestimmten Gegenstand verursachte mir immer wieder, wenn auch vorübergehend, heftige Kopfschmerzen. Doch mit der Zeit trat auch hier eine leichte Besserung ein und es war mit stets eine große Freude, wenn ich wieder so eine kleine Arbeit zuwege brachte. Das war natürlich nicht so einfach und manch blauer Fingernagel war Zeuge davon, dass aller Anfang schwer ist.
Mehr als einmal habe ich die Zähne zusammengebissen, mit einem Seufzer den Schmerz fortgewischt und mit der Zeit den Nagel auf den Kopf zu treffen gelernt. Was ich früher in meinen Feierabendstunden bastelte, das wollte ich jetzt noch fertigbringen. Dabei erwies sich natürlich die Beschaffung einzelner Hilfswerkzeuge als unbedingt notwendig, die ich mir erst selbst ersinnen und anfertigen musste.
Wo ein Wille ist – findet sich auch ein Weg! Trotzdem schien es sehr gewagt, als ich, als früherer Buchhalter, den kühnen Plan zu dem auf den Fotografien gezeigten Anbau (Vorbau) am Haus, fasste. Das war für mich eine ebenso interessante wie schwierige Aufgabe, denn den Entwurf wie auch die Berechnung der einzelnen Teile, konnte ich natürlich nicht zu Papier bringen, sondern ich musste mir die einzelnen Maße und Teile im Kopf zurechtlegen und ins Gedächtnis einprägen. Dann aber ging es unverzüglich mit Eifer an die Arbeit. Der Bau des Betonsockels verursachte mir einige Schwierigkeiten, da durch das fortwährende Abtasten des Betons, meine Fingerspitzen blutig und wund geworden waren und diese Arbeit infolgedessen nur langsam vor sich ging. Die Zurichtung des Holzgerüsts ging unter Benutzung meiner Hilfsvorrichtungen sicher vorwärts und es war für mich eine ungemein große Freude, als beim Zusammensetzen die einzelnen Teile fast auf den Millimeter genau zueinander passten.
Wenn ich das Herumhantieren und Balancieren auf den Balken mit einer gewissen Sicherheit und Ruhe ausführte, so muss ich das neben äußerster Vorsicht wohl in erster Linie meiner frühen turnerischen und sportlichen Betätigung zuschreiben. Hinzu kommt noch die Schwindelfreiheit, da ich als Blinder die Höhenunterschiede nicht empfinde. Ohne irgendwelchen Zwischenfall, wuchs der Bau empor und ich hatte das bestimmte Gefühl, als würde ich durch eine unsichtbare Hand geführt. Auch die selbst gefertigten Fenster und Türen, passten genau und in etwa fünf Monaten hatte ich den Bau ohne fremde Hilfe vollendet.
Vielleicht wäre ich noch schneller damit fertig geworden, wenn nicht die immer wiederkehrenden Nervenkopfschmerzen und die damit auftretenden Entzündungen der Augen, ab und zu eine Unterbrechung der Arbeit gefordert hätten. Solange ich mich jedoch auf die eine oder andere Weise noch nützlich machen kann, werde ich mein Schicksal auch fernerhin lebensmutig zu tragen wissen.
Paul
Detmold, Donnerstag, den 15.1.1942
Liebe Eltern und Bringfriede,
soeben