seine Nase in das dicke Haarbüschel. „Lass das, das kitzelt!“ Sie lecken sich das Salz vom Körper, sie hungern nach dem Duft aus tausend Poren. Sie dürsten nach dem Klang ihres Atems, während von unten zum dritten Mal die Fis-Dur-Tonleiter erklingt. Ihnen gilt es, über Straßen zu steigen und den Autos die Blechnasen zu zerbeulen. Sie sind das Königspaar der Stadt! Im Rausch hätten sie nicht trunkener sein können. Sie fliegen mit Kometen um die Wette, Christine, Peter – nein, der blaue Komet ist nicht darunter, der hält sich noch versteckt. Sie zerzausen dem lieben Gott den langen weißen Bart, und sie lassen den drögen Alten auf seinem Gold-Doublé-Thron vor sich hinmümmeln. Der göttliche Speichel kommt aus ihrem Mund, ihre Herzen bleiben rein, ihr Gewissen gibt ihnen, nachsichtig lächelnd, das Einverständnis. Tobende Kinder. Deine Schenkel, Christine, sind überraschend kräftig, und dass du, Peter, bereits einen leichten Bauch hast, war nicht unbedingt zu erwarten. So vieles bleibt ungewortet. Die Fis-Dur-Tonleiter von unten zerschellt an einem nackten Baldachin.
Drängender Mut.
„Ich möchte ein Kind, Peter, so gern möcht ich ein Kind.“
Sie sind die Gläubiger der Weltschuld, und sie erbarmen sich nicht. Das weiße Pferd mit der fliegenden Mähne hätte sich gleich aufbäumen können. In braunen Augen glitzert Peter. Wie hatten sie ohne sich leben können?
Er spielt mit ihrem langen blonden Haar. Sie können sich nicht sattsehen aneinander (Dieses Kapitel ist damit noch nicht zu Ende, nein, es beginnt ja gerade erst.). Währenddessen der Regen am Fenster knispelt.
Sie hockt vor ihm, das Haar zerzaust, der Kamm würde Mühe haben hindurchzukommen.
„Du bist wunderschön, Christine.“
„Du auch, Peter.“
Und dann? Weinen, lachen, kreischen, albern, innehalten?
Georg Philipp Telemann streift durchs Schlafzimmer. Wie jetzt Herrn Börries begreiflich machen, dass Christine Bellinger gerade an diesem Nachmittag nicht mehr ins Geschäft kommt?
„Ich glaube nicht, dass Herr Börries dafür Verständnis hätte. Und ich glaube auch nicht, dass ich sehr überzeugend lügen könnte. Ich will es auch gar nicht, Peter.“
„Dann werde ich hier auf dich warten.“
„Ja, tu das.“
„Das wird ein sehr langer Nachmittag werden, Christine.“
Christine Bellinger steht vor dem großen Spiegel und müht sich mit ihren Haaren.
„Kannst du mir bitte helfen?“
„Aber nur auf deine Verantwortung. Ich hab’ so was noch nie gemacht.“ Blonde Haarsträhnen fassen, vergebliche Anläufe, einen Zopf zu flechten.
„Willst du sie nicht einfach offenlassen?“
Christine Bellinger lacht und nickt.
„Mach’s gut, mein Lieber.“
„Du auch.“
Inzwischen ist’s Johann Sebastian Bach, der durchs Zimmer geistert. Und Peter Piechowiak steht am Fenster, streichelt Rose und Rosmarin, sieht hinunter auf die Straße, ja, dort unten geht sie.
Er wirft sich aufs Bett und tastet nach ihrem Duft, das Laken noch immer ein wenig feucht.
*
„Daran also, Herr Piechowiak, denken Sie? Und das ist Ihnen wichtiger als die Gerechtigkeit?“
„Was erzählen Sie da für einen Quatsch?“
Er ist hartnäckig. Willi Be (danke übrigens, das waren ausgezeichnete Aufnahmen) hat die Kamera erst gar nicht in Schwung gesetzt, er wusste, was bei der Fragerei herauskommen würde. Würde.
„Haben Sie denn überhaupt keine Moral?“
„Wissen Sie was? Sagen Sie Ihrem Kameramann da, er soll das Ding in Gang setzen, und dann sage ich ganz laut und deutlich: Lecken Sie mich im Arsche. Korrekte Wiedergabe.“
*
Und am Abend knispelt der Regen noch immer an der Scheibe. Ihre Leiber so warm, und das Bett so eng.
„Sei mir nicht bös, aber ich hab’ drüben im Schrank noch eine Luftmatratze.“
„Wie könnte ich dir böse sein. Nein, aufpusten kann ich sie auch selbst. Ärgert mich eigentlich nur, dass ich auch für heute Nacht das Zimmer bezahlen muss.“
„Das schenke ich dir.“
„Du bist bekloppt.“
Christine Bellinger lacht schallend auf.
„Verteilst du immer solche Komplimente?“
Nun muss auch Peter Piechowiak lachen.
„Viel lieber würde ich sagen: Du bist die intelligenteste, schönste, liebste Frau, die ich je in meinem Leben getroffen habe.“
„Ja, aber auch die intelligenteste, schönste, liebste Frau, die du je in deinem Leben getroffen hast, muss morgen früh wieder aufstehen und zur Arbeit gehen. Also puste schön, bitte.“
Nun in der Dunkelheit: „Also, weißt du, Christine, dieses Gefangensein bei dir ist die größte Freiheit, die ich mir denken kann.“
„Mm.“
„Das hätte ich niemals erwartet, als ich damals aus Göttingen abfuhr. Man liest ja öfters, dass die Liebe wie ein Blitz einschlagen würde. Darüber habe ich immer gelacht. Und jetzt …“
„Mm.“
Muss er noch einmal aufstehen, aufs Klo gehen. Sieht er im Neonlicht draußen, wie der Regen ganz schräg auf die Straße fällt. Vom Wind gepeitscht. Hört er Christines gleichmäßige Atemzüge, sieht, sie schläft schon. Mund leicht geöffnet. Hände locker neben ihrem Haar, das auf dem Kissen verteilt. Setzt er sich ganz vorsichtig, nackt, auf die Bettkante, sieht Christine an. Weiß er noch so wenig über sie, und zugleich so viel. Zweiundzwanzig Jahre alt, drei Jahre jünger als er selbst. Hätten sie schon immer zusammengelebt.
Hört er von irgendwoher eine Glocke die elfte Stunde schlagen. Rauschen die Autos unten vorüber, als könnten sie nie und nimmermehr anhalten. Dabei ist die nächste Ampel nicht weit entfernt Und der Regen, der Regen flieht vor dem Sturm, wirft sich blindlings vor die Fensterscheibe. Und die Straßenlampen taumeln trunken, und Christine seufzt leise im Traum. Dreht sie sich auf die Seite, rutscht ihr der Träger ihres Nachthemds über die Schulter. Peter Piechowiak schiebt ihn vorsichtig zurück.
*
Alles das also im Café Die Kaiserin von Österreich. Ein neuer Rauchkringel.
Nun Peter Piechowiak geht, stellt der Herr Ober die Frage: „Sie wollen schon gehen?“ Hat er sich mehr als zwei Stunden hier aufgehalten, hätte noch etwas bestellen sollen?
Ist die Kärntnerstraße belebter als am Vormittag, das Wetter wieder sonnig und warm. Peter Piechowiak mag das alte Lied nicht mehr singen, nicht mehr die schauerliche Ballade. Er packt seinen Vorrat an Liebesliedern heraus und verdient sich damit einen neuen Tag. Reißt ihm zwischendurch eine Gitarrensaite, keine Bange, der Kollege zwanzig Meter weiter hilft ihm aus.
„Habe immer Ersatzsaiten dabei, nein, lass, kannst mir ja auch mal aushelfen, wenn ich nix dabei habe.“
Der Greis mit der Fistelstimme setzt sich, holt die Stimmband-Karotten hervor, bietet Peter Piechowiak eine an. Peter Piechowiak nickt, klappt seinen Gitarrenkasten zu und setzt sich für einige Minuten neben den Alten. Der hat die Kaiserin (welche Kaiserin?) noch persönlich gekannt. Das alles viel schönere Zeiten.
Steht der Greis wieder auf und singt: „O sole mio“. Hände zittern über Tasten und Knöpfe. Peter Piechowiak kauft sich im Café ein viel zu teures Bier. Noch ist nicht Zeit. Waluliso geht vorüber, der Mann des Wassers, der Luft, des Lichts und der Sonne, gehüllt in sein weißes Laken und unter seinem Lorbeerkranz heraus, einen Krummstab in der Hand, segnet er die Menschheit. Und