Viktor neigte zu Depressionen. Also flog ich später mal, nachdem wir schon lange auseinander waren, zu ihm. Ich blieb eine Woche. Nachts, wenn er im Casino arbeitete, ging ich ins Fitnessstudio, das 24 Stunden aufhatte, ging einkaufen oder war in verschiedenen Casinos. Ich hatte nicht einen Dollar verspielt, beobachtete nur die Leute und trank mal einen Kaffee oder ein Bier. Tagsüber zeigte er mir die Umgebung. Wir liebten uns ohne Leidenschaft. Sein Bett war eine Matratze auf dem Teppichboden. Er war dort noch puristischer eingerichtet als in New York. Neben der Matratze gab es in diesem Studio noch einen Tisch mit zwei Stühlen.
Als ich mein neues Apartment bezog, war Viktor zufällig in New York. Er half seinem Bruder bei der Renovierung des gekauften Apartments. Viktor hatte einen wahnsinnig ausgeprägten Geschmack für Einrichtung und Kleidung.
Ich nahm ihn mit zu Fanny, der weit über achtzigjährigen Besitzerin einiger Häuser in Upper East, bei der ich mich um ein Apartment bewarb. Viktor beriet mich bei der Einrichtung meines kleinen Studios in Manhattan. Als ich nach der Trennung von meinem Steve nach drei Wochen Aufenthalt in Deutschland wieder nach New York kam, nahm ich ein Hotel. Viktor kam zu mir und wir schliefen miteinander. Dann nahmen wir ein Taxi, fuhren zu Fanny, ich bekam die Schlüssel, wir gingen ins Apartment, nahmen Maß und überlegten, wie wir es für nur 500 Dollar einrichten konnten. Wir fuhren zu Ikea nach New Jersey. Er bestand darauf, dass ich ein Einzelbett kaufe. Ich dachte immer: Ich habe ja auch mal Lust auf einen Mann im Bett, oder? War er eifersüchtig?
Sechs Klappstühle, eine Tischplatte, vier Tischbeine. Die Tischplatte hat er Türkis gestrichen — wirklich schön. Er hatte nicht gewusst, das Grün meine Lieblingsfarbe ist.
Das Bett tauschte ich um, nachdem mein Ex-Lover mir meine Sachen brachte und ich wie ein Bettvorleger vor dem Bett liegen musste, weil außer ihm, dem stattlichen Mann, kein anderer im Bett Platz hatte — nicht einmal ein Hund.
Als die Möbel von Ikea angeliefert wurden, baute ich alles selbst zusammen. Habe ich geschwitzt!
Später am Abend habe ich Freunde in Deutschland angerufen und stolz berichtet, dass ich alles allein zusammengeschraubt hatte. Ich war fix und fertig, aber ich war stolz auf mich.
Ich wollte bis zu meinem Geburtstag abwarten und dann meinem Ex-Lover Steve danken, denn ohne ihn wäre ich diesen Schritt nach New York, Manhattan, nie gegangen.
Viktor kam einen Tag vor meinem Geburtstag mit 24 roten Rosen und blieb über Nacht. Er dachte, ich hätte schon Geburtstag. Wir schliefen miteinander. Ich mochte es ehrlich gesagt nicht. Es fühlte sich alles so fremd an. Ich vermisste Steve. Ja, so bin ich. Ich brauche immer sehr lange, wenn eine Beziehung auseinandergeht. Und was habe ich Viktor geliebt, was habe ich mit ihm alles durchgemacht — jetzt war es vergessen.
Ich vermisste die starke Brust von Steve, das Männliche. Viktor war so weiß und einer der wenigen Männer, die etwas älter waren als ich.
Es war ungewohnt, unten zu liegen. Als er mich am Morgen von hinten nahm, erinnerte er mich an einen Hund. Ich machte gute Miene, aber ich liebte es gar nicht — kein Gefühl.
Heute strich er meinen Tisch. Das hat er sehr gut gemacht.
Während seines New-York-Aufenthaltes trafen wir uns noch einige Male. Einmal gingen wir mit Freunden ins Goethe-Institut zu einer Filmvorführung, anschließend lud ich alle spontan zu mir nach Hause ein. Wir kauften unterwegs ein und kochten gemeinsam. Als Hauptgericht gab es Shrimps.
Ein anderes Mal war ich mit ihm im deutschen Konsulat zu einem Liederabend. Ich hatte den Abend dann aber keine Lust mehr, Viktor mit nach Hause zu nehmen. Wir verabschiedeten uns an der Metro. Jeder fuhr in seine Richtung.
4. Brief an meine Freundin
Liebe Roswitha,
es ist unglaublich. Nachdem ich dir heute früh die E-Mail geschickt hatte, ist es inzwischen schon wieder kurz vor 13 Uhr.
Aber ich war fleißig, habe am PC an meiner Biografie für eine Bewerbung gearbeitet und im Internet gesurft. Just for fun. Ich bewerbe mich mal bei diversen Firmen, um zu sehen, welche Chancen ich noch habe. Das habe ich ab und zu auch als Vollbeschäftigte in Deutschland gemacht.
Der zweite Kaffee ist in der Maschine, dazu gibt es Cookies (immer schön süße Sachen essen, damit ich für meinen Lover an den richtigen Stellen zunehme.
Mein Dallmayr Prodomo ist leider schon ausgetrunken. Jetzt teste ich Kaffees, die ich hier kaufen kann, probiere heute einen italienischen. Na ja, der Geschmack ist nicht so der meine.
Mein Rücken schmerzt vom Sitzen auf dem Melkschemel. Hier ist natürlich alles nach seinem Geschmack eingerichtet. Ich vermisse meinen ergonomischen Bürostuhl. Gestern war ich nicht gut drauf, hatte Bauchschmerzen und lag den ganzen Tag im Bett, davon eine Stunde in der Badewanne. Als er von der Arbeit kam, sah er meinem Gesicht sofort an, dass etwas mit mir nicht stimmte. Ich erzählte ihm, wie ich mir das Interieur meines nächsten Apartments vorstellte — ohne jeglichen Schnickschnack, kühl, kein Bild an der Wand, nackt. Er fragte, wo er bleibe. Ich antwortete: “Du bekommst deinen eigenen Raum, den du dir nach deinem Geschmack gestalten kannst.“
Jetzt bin ich schon fünf Wochen hier, langsam muss ich mal meinen A... bewegen. Ich gehe morgen zu einer Career Fair ins World Trade Center, muss ja auch mal raus. Ich habe aber keine Lust und verschiebe es immer wieder.
Wenn es nach meinem Lover ginge, würde er mich sofort heiraten. Es wäre der einfachere Weg ein Dauervisum für die USA zu erhalten, meint er. Er weiß nur nicht, dass ich kein Dauervisum haben möchte.
Es ist immer aufregend für mich, durch Manhattan zu spazieren. Ich besuchte Freunde am Union Square und in der Madison Avenue. Ich hatte meine bis dato teuersten Pumps an. Sie kosteten 560 Mark. Ich schenkte sie mir zu meinem fünfzigsten Geburtstag — einen Slingpumps aus Schlangenleder mit roten Riemchen und roten High Heels von einer namhaften italienischen Firma. Ich erinnere mich genau, wie ich nur mit Handgepäck, meinem Trolley, den ich mit zum Büro nahm, nach Büroschluss zum Flughafen fuhr und nach New York flog. Was haben die Leute auf meine Pumps geguckt! Unglaublich, vor allem die Verkäuferinnen in den Läden wie Gucci, Armani etc. quatschten mich an und haben mindestens zehnmal gesagt: Haben Sie tolle Schuhe an! Ich bin stolziert wie ein Hahn. Nach vier Stunden durch die Geschäfte laufen hatte ich ungemeine Fußschmerzen. Ich wollte mir schon ein Taxi nehmen, aber der Geiz siegte. Ich wollte mein weniges Geld zusammenhalten.
Als ich in der Madison Avenue spazierte, wünschte ich mir für eine Sekunde dort zu wohnen. Aber was nützt das ganze Geld? Ich ziehe der Geldbeziehung eine emotionale Liebesbeziehung zurzeit wenigstens noch vor. Ich brauche meinen Sex. Das Geld ist momentan immer knapp, aber wir haben so vieles, was uns anzieht und die Beziehung so aufregend macht.
Am Montag war hier Columbus Day. Ich bin um neun Uhr aus dem Bett gesprungen. Na, er auch gleich. Er ist zwar New Yorker, aber ich zeige ihm New York. Als Kind war er das letzte Mal bei dieser Parade. Wir sind zur 5th Avenue und haben uns die Parade angesehen. Es war ein herrlich sonniger Tag mit vielen neuen Eindrücken. Wir haben den Bürgermeister Giuliani, Hillary Clinton und viele andere Persönlichkeiten gesehen.
Anschließend sind wir durch den Central Park gegangen. Rate mal, wen wir dort trafen? Yoko Ono mit weiblicher Begleitung. „Guck mal, da ist Yoko Ono“, sagte ich plötzlich zu ihm. Ich machte ein Foto von ihr. Wir waren beide in Schwarz gekleidet, ein schönes Paar. Er ist als New Yorker nicht oft außerhalb seines Distriktes unterwegs gewesen. Er freut sich so sehr über alles, was wir gemeinsam machen.
Den Tag vorher waren wir am Time Square. Wir wollten uns einen Actionfilm ansehen. Da wir noch 50 Minuten Zeit hatten, schlug ich vor, in ein Restaurant zu gehen. Als wir uns dann über unsere Steaks hermachten, sagte ich: „Ich will keinen Stress, ich will mein Essen genießen. Wir können ja zur nächsten Vorstellung gehen oder uns lieber CDs kaufen.“
Na, wir haben das Essen und die halben Liter Colt45 sehr genossen, sind dann die neueste Enigma-CD kaufen gegangen