begrüssen zu dürfen.“ Ich kann mein Glück kaum fassen, dass er doch noch erschienen ist, was jedoch gleich wieder getrübt wird, als er nicht auf meine Begrüssung eingeht.
„Lassen sie uns in Ihr Büro gehen.“ Sein Tonfall verrät nichts Gutes. Er klingt verärgert und aufgeregt zugleich.
„Möchten Sie etwas zu trinken?“
„Nein. Unser Gespräch wird nicht lange dauern.“
„Dann folgen Sie mir doch bitte.“ Ich gehe ihm voran in mein Arbeitszimmer, bewusst dass er seine Augen tief in meinen Rücken bohrt.
„Nehmen Sie doch Platz.“ Ich schliesse die Tür hinter uns und deute ihm auf einen Stuhl, in dem vor wenigen Wochen bereits seine Mutter gesessen ist.
„Was soll dieser verdammte Mist.“ Er schleudert den Umschlag, den ich ihm über seinen Bodyguard zukommen liess, über den Tisch und funkelt mich mit einem finsteren Blick an.
Mit grosser Genugtuung entdecke ich, dass das Kuvert geöffnet wurde. Er muss die Nachricht gelesen haben und wird wissen, dass ich herausgefunden habe, wie sein richtiger Geburtsname lautet. Dass seine Eltern ihn mit acht Jahren weggegeben haben und an welchen Orten er seine Kindheit verbracht hat.
„Ich habe nicht die Absicht, Ihnen irgendwie zu schaden, wenn es das ist, was Sie von mir annehmen. Auf keinen Fall.“
„Warum spionieren Sie mir nach? Was wollen Sie? Und wie zum Teufel sind Sie an diese Informationen gelangt?“ Er versucht gar nicht zu leugnen, der zu sein, der er in Wirklichkeit ist, was mich in der Tat überrascht.
Ich lasse meinen Sarkasmus lieber in der Tasche stecken und schenke ihm besser sofort reinen Wein ein. „Ihre Mutter hat mich damit beauftragt.“
„Was?“ Er zieht seine Augen zu gefährlichen Schlitzen zusammen.
„Emma Kyssen. Sie hat mich geben, Sie zu suchen.“
„Ich habe keine Mutter.“
„Ich kann verstehen, wenn Sie so reagieren. Ich glaube, ich würde es nicht anders machen. Aber...“ Sein scharfer Ton lässt mich abrupt verstummen.
„Sie wissen überhaupt nichts. Meine Eltern sind für mich gestorben, als ich acht war.“
„Ihre Mutter denkt jeden Tag an Sie.“
„Lassen Sie mich bloss mit Ihren Heucheleien zufrieden. Sie hat mich einfach weggeben. Wie einen Hund den man fortschickt, wenn man ihn nicht mehr um sich haben möchte.“
„Jetzt tun Sie sich und ihren Eltern Unrecht.“
„Sie haben keine Ahnung, wie es war. Ich möchte nichts mehr von Ihnen hören, geschweige denn Sie sehen. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden.“ Sein Gesicht verzerrt sich vor Wut und Hass.
Ich sollte ihn jetzt gehen lassen, trotzdem stichle ich weiter. „Haben Sie eigens den langen Weg gemacht, um mir das mitzuteilen oder gibt es noch einen anderen Grund, warum Sie hier sind?“
„Ich wollte wissen, wer Sie sind und was genau Sie von mir wollen.“ Er mustert mich mit einem kalten Blick. „Warum machen Sie das?“ und deutet mit einer Handbewegung durch den Raum.
„Ich möchte Familien, Freunden, Bekannten helfen wieder zueinander zu finden, bei denen die Wege auseinander gingen.“
„Haben Sie selbst so etwas erlebt?“
„Das ist Privat.“
„Genau das ist meine Familienangelegenheit auch.“ Er sieht mich triumphierend an.
„Wollen Sie nicht wissen, warum Ihre Mutter Sie nach so vielen Jahren sucht?“ Ich versuche etwas in ihm wachzurütteln, aber er sieht mich weiterhin vollkommen gleichgültig an.
„Was hat Sie Ihnen vorgegaukelt?“
„Sie leidet an Krebs. Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit.“
Für eine Sekunde glaube ich so etwas wie Entsetzten in seinen Augen zu sehen, ehe er unbeeindruckt antwortet. „Vielleicht geschieht ihr das ganz recht.“
„Das ist grausam.“
„Kann schon sein. Sie hat ja noch ihren Tom, der sie in seine starken Arme nehmen kann.“
Ich sehe ihn verständnislos an. „Tom?“
„Haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht?“
„Doch. Aber Ihr Vater ist bereits vor zehn Jahren gestorben.“
Sein Mund bleibt offen stehen, nachdem er etwas darauf erwidern wollte, aber kein Laut brachte er heraus. Jeder Muskel scheint angespannt zu sein, während er sich langsam aus seinem Stuhl erhebt. „Wir hätten dann alles besprochen.“
„Sie bleiben dabei? Sie wollen Ihre Mutter nicht sehen?“
„Nein, will ich nicht.“
„Dann tut es mir leid, dass ich Sie belästigt habe.“
Ich begleite ihn nach draussen, wo sein Bodyguard geduldig auf ihn wartet. Sie nicken sich stumm zu, woraufhin der Mann mit einem Headset im Ohr und einem Drei-Millimeter-Haarschnitt auf seinem Kopf, vorangeht, auf den Offroader zu, der vor unserer Bürotür steht, um seinem Chef die Wagentür zu öffnen. Oliver Falk steigt ein, ohne nochmals zurückzublicken. Anscheinend ist für ihn die Angelegenheit hiermit beendet.
Kopfschüttelnd sehe ich dem grossen, schwarzen Auto, mit einem Schwyzer Kennzeichen, nach. Wie soll ich nur seiner Mutter beibringen, dass ihr Sohn sie nicht sehen möchte? Dass ich ihn nicht umstimmen konnte, sich mit ihr zu Treffen?
„Was war denn das?“ zerrt mich meine Schwester aus meinen bedrückten Gedanken, die sich soeben in mein Gehirn geschlichen haben.
„Frag mich etwas Leichteres.
„Er sah nicht gerade erfreut aus.“
„Ganz und gar nicht. Er will seine Mutter nicht sehen.“
„Aber ein Highlight war es trotzdem oder?“
„Wie?“ Ich sehe Tina mit grossen, verständnislosen Augen an.
„So jemand Berühmtes wie Oliver Falk hatten wir bis heute noch nie in unserem Büro.“ Auch wenn der Fall Kyssen / Falk sich nicht so ereignet, wie wir es uns gewünscht haben, strahlt mich meine Schwester über die Theke hinweg an.
Nachdem ich Tina die Einzelheiten von meinem Gespräch mit Oliver Falk erzählt habe, war sie genauso erschüttert, wie ich. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ich die Aufgabe habe, die schlechte Nachricht seiner Mutter, mit der ich in fünfzehn Minuten verabredet bin, mitzuteilen.
Es ist beinahe einen Monat her, seit sie mich das erste Mal aufgesucht hat. Jetzt, vier Wochen später habe ich ihr nichts weiter zu sagen, als dass ihr Sohn sie nicht sehen möchte. Dass er kein Interesse daran hat, sich mit ihr zu versöhnen.
Mir wird ganz eng ums Herz, wenn ich daran denke, dass ich gleich ihren letzten Wunsch zunichtemachen werde.
Gestern am Telefon habe ich Frau Kyssen angeboten, sie bei ihr zu Hause aufzusuchen und in diesem Atemzug biege ich in die Strasse ein, in der sie wohnt. Nach einer halbstündigen Fahrt halte ich vor einem kleinen Einfamilienhaus. Es ist nicht gross, aber hübsch, mit einer weissen Fassade und roten Läden. Ein paar wenige Rosensträucher zieren den Plattenweg zur dunkelbraunen Eingangstür.
Die Tür geht schon nach wenigen Sekunden, nachdem ich die Klingel betätigt habe, auf.
„Danke, dass Sie den Weg auf sich genommen haben.“ Emma Kyssen reicht mir die Hand und tritt dann zur Seite, um mich hereinzulassen. „Ich fühle mich heute nicht besonders gut.“
„Sie haben es nett hier.“ sage ich zu ihr, als ich in ein gemütliches Wohnzimmer trete. Es ist zwar einfach, aber sehr einladend eingerichtet.
„Danke. Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Sie deutet auf ein cremefarbenes Zweiersofa. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“