ins Schloss und öffne das Postfach. Erleichtert atme ich aus, als ich lediglich bunte Werbeprospekte zu sehen bekomme. Ich schnappe mir den Stoß und fühle, wie mir heiß und kalt wird, als ich auf dem Boden liegend meinen Wohnungsschlüssel sehe, ein Stück silbernes Metall, sonst nichts. Keine Nachricht.
Verdammt, Ella! Als ob es da noch etwas zu sagen gebe.
Was stimmt nur nicht mit mir? Seit Tagen heule ich mir die Augen aus dem Kopf, kann nicht mehr essen und fühle mich hundeelend. Nicht einmal an ihn denken kann ich, ohne dass ich mich leer und roh und wütend fühle. Wieso machte es mir dann so viel aus, den Schlüssel zu sehen und zu wissen, dass es damit nun endgültig vorbei ist?
Kopfschüttelnd stecke ich den Zweitschlüssel ein und gehe rüber zu meiner Wohnung. Als ich sie betrete, ist alles wie immer. Der winzige Flur ist gemütlich warm und vertraut, doch der Hauptraum jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Die verstreuten T-Shirts sind weg und auch seine Sporttasche, die immer neben dem Kleiderschrank stand. Sein MP3-Player, der heute Morgen noch auf der Kommode lag, ist verschwunden. Vorsichtig gehe ich nach hinten und werfe einen Blick in die Küche. Seine Lieblingstasse hat Jan mitgenommen, alles andere hat er dagelassen. Ich mache Licht im Bad und sehe sofort, dass all seine Sachen nicht mehr da sind. Es sind nur Kleinigkeiten, die niemandem außer mir auffallen würden, schließlich haben wir nicht zusammengewohnt. Dennoch schlägt es ein Loch in mein Inneres, das sich ohnehin leer anfühlt, seit ich diese verdammte SMS gelesen habe. Seit ich ihn für immer weggeschickt habe. Langsam gehe ich zurück und setze mich auf das Sofa. Ich habe immer noch meine Jacke an.
Ich kann nicht glauben, dass er mich betrogen hat. Und doch ist es wahr. Ich habe es in seinen Augen gesehen. Noch nie hat etwas so wehgetan wie die Schuld, die ich dort erkennen musste. Und zu hören, dass er mich noch liebt. Der Gedanke verursacht ein Stechen in der Brust, das mir Angst macht, weil ich es nicht kontrollieren kann, genauso wenig wie die Tränen, die schon wieder hervorbrechen.
Vor ein paar Tagen noch habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, ob ich den Abschluss schaffe, und Jan hat mir erzählt, er wolle mit mir zur Feier meines so gut wie sicheren Abschlusses nach Budapest fahren, in das gleiche Hotel, in dem ich damals als Kind war. Damals war ich so glücklich, so verliebt und so dumm. Jetzt wird das alles nie passieren. Ich werde natürlich meinen Abschluss machen, das lasse ich mir von niemandem nehmen. Aber er wird nicht dabei sein. Noch habe ich es niemandem erzählt. Ich weiß nicht, wie ich es meiner Familie erklären soll. Erst letztes Wochenende habe ich meiner Mutter erzählt, dass wir vielleicht bald zusammenziehen, und jetzt …
Wie kann man behaupten, jemanden zu lieben, und ihm das antun? Wie geht das? Verdammt noch mal. Ich bin so wütend.
Außer mir schnappe ich mir das einzig ausgedruckte Foto von uns, das am Rand einer kleinen Pinnwand klebt, und drücke es so fest zusammen, bis es völlig ruiniert ist. So wie es jetzt aussieht, bis zur Unkenntlichkeit zerstört, genauso fühle ich mich.
Ich möchte mich niemals wieder so fühlen. Ich möchte nie wieder auch nur ein Wort mit Jan wechseln, ihn nie wieder sehen. Ich verspreche mir selbst, hier und jetzt, niemals wieder so dumm zu sein, Jan zu vertrauen. Nie wieder.
Kapitel 5
Jan – Berlin, 2014
„Ich weiß, deine Leute vom Housekeeping leisten gute Arbeit … Dennoch hat es eine Beschwerde zum Schuhputzdienst gegeben. Angeblich dauerte es zu lange, bis die Schuhe abgeholt waren.“
Ella spricht mit einer etwas rundlichen Frau mit lockigen Haaren, die sie aufmerksam ansieht. Ihr Auftreten ist freundlich, aber bestimmt. Es ist sehr interessant, sie bei der Arbeit zu beobachten.
Noch hat sie mich nicht entdeckt.
„Ich werde es weitergeben, Frau Vogel. Aber es kann bestimmt nicht sehr lange gedauert haben, bis die Schuhe abgeholt wurden. Ich ordne immer an, dass meine Leute Runden machen sollen, falls die Rezeption mal vergisst, die Service-Anforderungen weiterzuleiten.“
Die Frau, von der ich denke, dass sie das Housekeeping leitet, reibt sich über den Nacken und wirft Ella einen leicht nervösen Blick zu.
„Das weiß ich doch, Frau Kadakis. Es handelt sich bei der Beschwerde um einen unserer anspruchsvolleren Gäste … Doch ich musste es zumindest erwähnen.“ Sanft lächelt Ella ihre Mitarbeiterin an und berührt kurz ihren Arm. Sie hat wirklich ein Händchen für Menschen.
„Ich verstehe schon … Dann geh ich mal wieder an die Arbeit.“
Zügig verschwindet die griechisch aussehende Frau, und Ella steht nun alleine an der fast leeren Bar. Suchend gleitet ihr Blick durch den Raum, bis er an mir hängen bleibt. Ich erkenne sofort die Nervosität und Anspannung, die ich bei ihr auslöse. Vielleicht hätte ich sie gestern doch küssen sollen, als sie mir so verdammt nahe war. Es ist mir verflucht schwergefallen, ihrem Duft und ihrem Mund zu widerstehen. Sie hat mir wahnsinnig gefehlt in den letzten Wochen. Etwas verunsichert verlässt sie die Hotelbar und kommt auf mich zu. Dieser enge Rock und der knappe Blazer, der sich über ihre Brüste spannt, sind Zündstoff für meine erotischen Fantasien, die mich neuerdings ständig quälen, natürlich mit Ella in der Hauptrolle. Ihre dezent geschminkten Lippen presst sie fest aufeinander, als sie vor mir stehen bleibt.
„Scheint, als hättest du hier alles im Griff.“
„Ja. Es … Es läuft ganz gut so weit. Am Anfang hat es gedauert, bis sie mich akzeptiert haben, vermutlich weil ich deutlich jünger bin als meine Vorgängerin.“ Offenbar unbewusst wiegt sie sich kaum merkbar hin und her. Ihre Stimme klingt unglaublich vertraut, als wäre sie so etwas wie ein Zuhause für mich. Das Gefühl ist schwer zu ignorieren. Zusammen mit meinem Hunger nach ihr treibt es mich an, weiterzumachen. Ihr endlich wieder näherzukommen.
„Dann denkst du, dass die Entscheidung, hierherzukommen, richtig war?“, frage ich sie herausfordernd, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich die Antwort hören will.
„Jan“, seufzt sie und blickt weg von mir, ehe sie sich zu mir an den runden Tisch setzt.
„Schon gut. Ich fange nicht damit an. Schließlich habe ich es akzeptiert.“ Wenn es sein muss, lüge ich, um sie zurückzubekommen. Ich werde alles tun, was ich tun muss. Alles. Zuerst aber soll sie sehen, dass ich nicht mehr der bemitleidenswerte Kerl bin, den sie vor ein paar Monaten wiedergetroffen hat.
Während sie mit ihren nervösen Fingern das Leinentischtuch bearbeitet, lasse ich meine Hände so ruhig es geht auf dem Tisch liegen. Denn wenn ich das nicht tue, muss ich sie anfassen, und ich denke, dafür ist es noch etwas zu früh.
„Ich bin vor allem deinetwegen hier. Aber ich habe noch einen weiteren guten Grund, um in Berlin zu sein“, deute ich an. Damit gehört mir ihre Aufmerksamkeit.
„Welchen anderen Grund denn?“ Erwartungsvoll sieht sie mich an. Ihre Augen funkeln voller Neugier.
„Ich habe vor einem Monat Kontakt zu jemandem aufgenommen, den ich noch vom Studium kenne. Er hat sich selbstständig gemacht und sucht nach einem weiteren Partner für sein Architekturbüro. Ich werde mir einen Firmenkredit aufnehmen und mich hoffentlich bald bei ihm einkaufen. Aber zuerst muss sein anderer Partner zustimmen. Der lebt in Berlin. Die Firma arbeitet inzwischen in Österreich und Deutschland.“
Gut, sie ist überrascht. Das habe ich nicht anders erwartet. Ella soll sehen, dass ich mein Leben im Griff habe. Dass ich wieder ein Mann bin, der klarkommt, der eine Frau wie sie verdient.
„Das klingt ja toll … Ich kann es gar nicht fassen. Du … du wirst wieder als Architekt arbeiten“, murmelt sie aufgeregt. Ich nicke und schenke ihr dabei ein zufriedenes Lächeln. Wenn ich spüre, dass sie stolz auf mich ist, fühle ich mich etwas wert. Nur Ella kann mich das fühlen lassen.
„Aber wieso der Firmenkredit … Ich meine … Was ist mit …“
„… dem Geld meiner Eltern?“, helfe ich ihr aus der Verlegenheit, es aussprechen zu müssen.
„Das