Adele Mann

Bittersüß - davor & danach 2


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dem Tisch verspannen sich.

      „Du hast mit ihnen gebrochen?“, fragt sie vorsichtig nach.

      „Ja. Ich habe den Wagen, den ich von ihnen habe, zurückgegeben und mir einen neuen geleast, auf meinen Namen. Außerdem bin ich an die Erbschaft meines Onkels gegangen. Er ist schon vor Jahren gestorben und hat mir einiges an Geld vermacht, weil er keine eigenen Kinder hatte. Es hat gereicht, um meine Wohnung zu kaufen, um den Aufenthalt hier zu finanzieren und um auszukommen, bis ich bei Hannes anfangen kann. So heißt mein alter Studienfreund übrigens.“

      Ella schüttelt den Kopf, als müsse sie die neuen Informationen erst zurechtrücken. Ich gebe zu, es ist viel auf einmal. Aber ich war auch sehr beschäftigt in den letzten acht Wochen.

      „Und du verschwendest einen Teil deiner Erbschaft, um hier fast einen Monat lang im Hotel zu leben?“ Fassungslos blickt sie mir in die Augen. Sie sind sanft und schön, genau wie in meiner Erinnerung.

      „Ich sehe das keineswegs als Verschwendung an, Ella.“

      Es ist Zeit, mir zu nehmen, was ich will, was ich brauche.

       Ella

      Ich kann einfach nicht glauben, was ich da höre. Wie ist das nur möglich, wie kann er das alles geschafft haben – in nur acht Wochen? Aber kann es richtig sein, dass er mit seiner Familie bricht? Sicher, sie sind abscheulich. Aber sie sind dennoch die einzige Familie, die er hat. Für mich klingt das alles nach einer Übersprungshandlung, die er vielleicht schon bald bereuen könnte. Das ist alles zu viel auf einmal. Der potenzielle neue Job, sein neu erwachtes Selbstbewusstsein, er hier, nur Zentimeter von mir entfernt. Ich habe das Gefühl, von einem Güterzug überrollt zu werden.

      „Ich sehe das keineswegs als Verschwendung an, Ella.“

      Seine letzten Worte hallen in meinem Kopf nach. Wie ernst und entschlossen Jan klingt. Ich kann es mir nicht erklären, aber es macht mir Angst. Die Art, wie er mich ansieht, lässt mein Herz so schnell schlagen, dass Hitze ausbricht. Ich habe das Gefühl zu verglühen, dabei sieht er mich bloß an. Das Schweigen dehnt sich zwischen uns aus, bis es fast schon schmerzhaft wird. Ich habe das Gefühl, etwas sagen zu müssen, doch die herausfordernde und selbstbewusste Ella, die ich vor ein paar Monaten entdeckt habe, scheint sich völlig in mir verkrochen zu haben, und der anderen Ella will einfach nichts einfallen. Also sitzt sie da, malträtiert das schöne Tischtuch und starrt in Jans blaue Augen.

      Als er sich ein Stück nach vorn lehnt, klopft mir das Herz bis zum Hals.

      „Ich wünschte, du würdest endlich etwas sagen. Denn so langsam komme ich mir vor, als stünde ich mit meinem Verlangen alleine da.“ Mit einem gequälten Lächeln legt er sanft eine Hand auf mein Knie.

      „Oder irre ich mich und du teilst mein Verlangen?“

      Seine Finger wandern erregend langsam meinen Oberschenkel hoch. Ich starre seiner Hand nach, die eine heiße Spur auf meiner Haut hinterlässt. Trotz meiner Unsicherheit und Angst würde Jan ein feuchtes Höschen vorfinden, wenn er seinen schamlosen Weg meinen Schenkel entlang fortsetzte. Erschrocken keuche ich, als mir wieder dämmert, wo wir uns eigentlich befinden. In der Hotelbar, an meinem Arbeitsplatz.

      „Jan, nicht hier! Das kannst du nicht machen!“, ermahne ich ihn und stoppe seine Finger, indem ich meine Hand darüberlege. Wie gut es sich anfühlt, seine Hand zu berühren. Seine Finger fühlen sich rauer an als früher.

      „Du lässt mir keine Wahl. Sprich mit mir, Ella!“ Fordernd bohrt sich sein Blick in mein Gesicht. Jan muss doch die roten Wangen sehen, die sein provokantes Verhalten hervorrufen. Ich fühle Hitze und Scham jedenfalls deutlich.

      „Ich hatte schon aufgegeben … Die ganze Zeit habe ich auf eine Nachricht gewartet, Jan. Und als nichts kam, da habe ich …“ Bemüht atme ich ein.

      „Du dachtest, ich hätte es mir anders überlegt. Du dachtest, ich hätte dich aufgegeben?“, wirft er mir vor. Seine Stimme ist laut und anklagend. Ein paar der wenigen Gäste sehen kurz zu uns, ehe sie sich peinlich berührt abwenden.

      Ich nicke, weil ich ehrlich sein will. Denn für mich hat es sich so angefühlt. Ich habe bittere Tränen vergossen, die das bezeugen können.

      „Du hast dich geirrt, Ella. Auch wenn ich verstehen kann, wieso“, lässt Jan mich wissen und nimmt seine Hand von mir. Dabei hinterlässt er eine eiskalte Gänsehaut.

      Wir sehen uns an. Ich habe keine Ahnung, was in seinem Kopf vorgeht. Und diese ganze Situation hier gefällt mir nicht, denn sie findet in meinem Umfeld statt, zerstört die sorgsam aufgebaute Kontrolle, die ich brauche, vor allem hier. Gleichzeitig möchte ich nichts sehnlicher, als dass er seine Hand wieder auf mein Bein legt und mich küsst. Wie verdreht ist das denn?

      Mein Blick huscht ausweichend zur Uhr.

      Mist! Ich komme noch zu spät zu einem Termin.

      „Jan, ich müsste eigentlich längst bei einer Besprechung sein“, lasse ich ihn so versöhnlich es geht wissen. Enttäuscht fährt er sich übers Kinn und lehnt sich zurück, weg von mir. Das Gefühl, das ich dabei habe, ist schrecklich, so als würde ich ihn bereits verlieren, noch bevor ich ihn überhaupt wiederhabe. Kurz scheint Jan zu überlegen, dann erhebt er sich und wartet auf mich. Als ich ebenfalls aufstehe, zieht er mich nahe an sich heran und flüstert mir ins Ohr.

      „Komm heute Abend in mein Zimmer. Ich warte auf dich … Ich denke, wir müssen uns zuerst wieder körperlich nahe sein, ehe wir mit uns weitermachen können.“

      Seine tiefe Stimme noch im Ohr, gehe ich auf ziemlich wackeligen Beinen zurück in die Lobby und weiß nicht, wie ich den Tag bis dahin überstehen soll.

      Kapitel 6

       Ella – 2014

      Ich stehe hier, vor Tür Nummer 307, seinem Zimmer, und finde den Mut nicht, anzuklopfen. Einfach nur erbärmlich. Eine junge Blondine vom Housekeeping sieht mir seit ein paar Minuten dabei zu, wie ich mich vor der Suite eines Gastes zum Affen mache. Zu meinem Glück traut sie sich nicht, ihre Chefin nach deren merkwürdigem Verhalten zu fragen. Dennoch spüre ich die Seitenblicke, die sie mir zuwirft, während sie den Teppich saugt. Das gibt mir noch mehr das Gefühl, etwas Verbotenes oder Dummes zu tun.

      Als ich höre, dass der Aufzug sich öffnet und mit ihm vermutlich ein paar Gäste die Etage betreten, klopfe ich hektisch. Zu meiner Erleichterung öffnet Jan binnen Sekunden die Tür, und ich dränge mich hinein, ohne ihn dabei richtig anzusehen. Ich kann es mir nicht leisten, dass mich Stammgäste des Hotels in einer zweideutigen Lage zu sehen bekommen.

      „Ich freue mich auch, dich zu sehen.“ Amüsiert lässt Jan sich von mir in die Suite drängen und sieht mir dabei zu, wie ich hastig die Tür hinter mir zuziehe. Sein lachendes Schnauben quittiere ich mit einem vernichtenden Blick.

      „Das ist nicht witzig! Mich hätten Gäste sehen können … Hast du eine Ahnung, was das für meinen Ruf hier bedeuten würde“, lasse ich ihn hitzig wissen.

      „Ella, du musst doch nur sagen, dass ich mit dir zusammen bin. Dann kann niemand etwas dagegen haben, dass du Zeit mit deinem Freund in seinem Hotelzimmer verbringst“, schlägt er selbstgefällig vor und streicht dabei zärtlich über meine Wange. Das bringt mich völlig aus dem Konzept. Nicht das, was er gesagt hat, sondern das zärtliche Streicheln meiner Haut. Na ja, das, was er gesagt hat, auch. Herrgott, ich bringe in seiner Nähe nicht einen klaren Gedanken zusammen.

      „Jan, ich kann nicht einfach so … Wir haben doch noch gar nichts geklärt … zwischen uns“, wende ich ein. Doch selbst ich höre, wie schwach das klingt. Es könnte auch daran liegen, dass mein verräterischer Körper sich seinem dabei entgegenschmiegt. Wir drängen uns aneinander wie zwei Magnete, so als könnten unsere Körper gar nicht anders handeln. Sein einzigartiger Duft steigt mir in die Nase. Diese Mischung aus Mann, Duschgel, würziger Wärme und leicht süßer Note macht alle Probleme und