deine Knierekonstruktion gemacht. Da kannst du froh sein, er ist einer der besten orthopädischen Chirurgen.“
Spätestens jetzt möchte ich aufstehen und ihm eine verpassen. Ich soll froh sein? Will er mich verarschen?!
Hat er die Bilder meines zerstörten Beins überhaupt angesehen?
So gut ich kann, starre ich den Riesen in Grund und Boden. Arschloch! Er kann froh sein, dass ich zu verkrüppelt bin, um mich mit ihm anzulegen.
Um Verständnis bemüht atmet er kurz durch und studiert mein Gesicht. Seine Verständnis heuchelnde Tour geht mir auf die Nerven.
„Deine Akte weist darauf hin, dass du mit deiner ersten Krankengymnastik nicht sehr zufrieden gewesen bist …“ Chis Lächeln ist verschwunden und einem ernsten Blick gewichen. Er weiß es und ich weiß es. Ich bin ein Problempatient.
„Wenn du damit meinst, dass ich nichts davon halte, dass ein Kerl mir im Krankenhausbett richtig beschissene Schmerzen verursacht hat, weil er unbedingt mein Bein hin und her drehen musste, dann ja, Chi, ich war nicht besonders zufrieden damit“, schleudere ich ihm vor die Füße und unterstreiche meinen Unmut damit, dass ich bei dem Wort „zufrieden“ Gänsefüßchen in die Luft male.
„Ich verstehe“, ist alles, was der große Chi dazu zu sagen hat.
„Leider muss ich dir sagen, dass ich ebenfalls die Beweglichkeit deines Beins testen muss. Und das geht nur, indem ich es strecke und beuge. Angenehm wird das nicht. Denn erst wenn es dir gelingt, eine gewisse Beweglichkeit zurückzuerlangen, können wir beginnen, an deiner Mobilität zu arbeiten.“
„Soll heißen?“
„Du musst da durch! Nur so kann sich dein Gang sichtlich verbessern, und das dauert, ist anstrengend und langwierig.“
„Wunderbar … Als hätten die Monate im Krankenhaus nicht schon gereicht“, murmle ich vor mich hin. Ich kann fühlen, wie die Wut in meinem Bauch immer mehr zunimmt. Eine Wut, die ich mit mir herumschleppe, seit ich als das hier aufgewacht bin. Mit jedem Tag, der seither vergangen ist, ist diese Wut gewachsen und gediehen, sie verändert mich. Jeden Tag ein Stückchen mehr. Dessen bin ich mir bewusst. Aber sie ist alles, was ich habe. Deshalb halte ich an ihr fest. Alles andere ist ohnehin den Bach runtergegangen. Der Mann, der ich einmal gewesen bin, existiert nicht mehr. Und ein paar Stunden Physio werden daran nichts ändern. Gar nichts.
Doch Chi kennt keine Gnade oder lässt sich von meiner miesen Laune beeindrucken. Er legt ein Handtuch auf eine der Matten und hilft mir, mich daraufzulegen. Wie ich es hasse, so abhängig von der Hilfe anderer zu sein. Chi erklärt mir alles, was er tut und warum er es tut, doch ich höre gar nicht hin. Ich will nur diese Stunde rumbringen, damit ich wieder nach Hause kann. Diesen Mist lasse ich sowieso nur über mich ergehen, um endlich bei meinen Alten ausziehen zu können. Also tue ich so, als würde ich mitmachen, und drücke mit dem bisschen Kraft, das noch in meinem linken Bein steckt, gegen Chis Hand. Es ist einfach nur erbärmlich. Und es tut höllisch weh. Doch ich sage kein Wort, während wir dieses Theater veranstalten.
Zum dritten Mal diese Woche hänge ich mit den Achseln auf zwei Stahlstangen, ohne die ich wie ein Mehlsack auf den Boden fallen würde. Der Schmerz zieht sich von meinem Bein über meine Brust und sorgt dafür, dass es selbst in meinem Schädel pocht. Der Schweiß läuft mir in die Augen und mir wird schwindelig. Diese schwarzen Flecken tanzen wieder vor meinen Augen. Nicht einmal drei Schritte habe ich auf dem verdammten linken Bein ordentlich hinbekommen. Noch immer kann ich es kaum belasten, humple wie ein einbeiniger Idiot in der Gegend herum und kann nicht anständig auf zwei Beinen laufen. Scheiße! Sogar Kleinkinder laufen besser als ich.
„Das bringt doch nichts!“, stöhne ich erschöpft und angepisst.
Chi sieht mich wieder einmal enttäuscht an. Was will der Kerl bloß von mir?
„Ich weiß, dass es schmerzhaft ist und frustrierend. Aber du musst dir vorstellen, warum du das hier tust“, wendet er ruhig ein, während er mir neben den Bahnen, die ich für die Laufübungen benutzte, folgt. Wobei er eigentlich, wenn man es genau nimmt, bloß neben mir steht, denn ehrlich: Ich komme kein Stück voran.
„Keine Ahnung … Was bringt es, wenn ich in ein paar Monaten ein bisschen weniger humple? Niemanden interessiert das, solange ich so aussehe“, spucke ich ihm hin.
Warum will er das nicht kapieren? Jedes Mal, wenn ich hier bin und gezwungenermaßen in den Spiegel sehe, könnte ich schreien oder kotzen – oder beides. Ich hasse es, wenn mir dieser fremde Mann entgegenblickt, dessen Gesicht von Narben verunstaltet ist, der meine Klamotten trägt und es nicht einmal schafft, gerade zu stehen oder ein paar ordentliche Schritte zu machen. Dieser Kerl kann niemals ich sein. Niemals!
Chi an meiner Seite wirkt mittlerweile ebenfalls reichlich frustriert. Meinetwegen muss er die Stunden mit mir am Ende des Tages einplanen, wenn niemand mehr hier im Physio-Bereich eingeteilt ist. Denn ich habe mich geweigert, weiter zu kommen, wenn ich von anderen Patienten angestarrt werde. Chi hat mir meinen Willen gelassen, da er mit mir nicht vorankommt. Früher war ich nicht so ein Kotzbrocken, doch jetzt bin ich es. Trotz der späten Stunde, meiner Antihaltung und der deutlichen Frustration in seinem Gesicht bleibt er ruhig und professionell. Fast schon unheimlich, dieser Kerl.
„Du musst dir etwas vorstellen, Jan. Etwas, auf das du zulaufen willst. Ein Ziel, das auf dich wartet, am Ende dieser ganzen Schinderei oder jemand, den du am Ende der Bahn erreichen willst.“ Verständnislos starre ich ihn an.
„Viele meiner Patienten stellen sich vor, dass ihr Partner oder ihre Kinder da vorne stehen und sich freuen oder stolz sind, wenn sie es, so gut sie eben können, bis ans Ende geschafft haben“, ergänzt er. Mit einem gepressten Lächeln nickt er mir zu. Verdammt, ich versuche es ja. Ich schließe die Augen und versuche, mir irgendjemanden oder irgendetwas vorzustellen, wofür ich das hier tue, wofür sich der ganze Schmerz und die Anstrengung lohnen.
Doch ganz ehrlich, da gibt es nichts und niemanden. Mir fällt nichts ein. Gar nichts. Also tue ich so als ob und mache weiter, wie so oft. Stemme mich von dem Handlauf der Bahnen ab, in denen ich nutzlos gehangen habe, und versuche das linke Bein etwas mehr zu belasten. Ich versuche, daran zu denken, was Chi gesagt hat, dass, wenn ich das rechte Bein weiterhin überlaste und das linke in eine Schonhaltung zwinge, mein Humpeln nur schlimmer werden wird. Als mein Gewicht auf das linke Knie verlagert wird, zieht ein stechender Schmerz meinen Oberschenkel entlang, den ich wegzuatmen versuche. Zwecklos. Der Schmerz hat mich voll im Griff. Ich versuche es dennoch. Sehr vorsichtig und langsam mache ich einen Schritt und dann noch einen.
Das war’s. Wieder sackt mein linkes Bein unter dem Gewicht meines Körpers weg, und ich kann gerade mal so die Stangen erreichen, um nicht noch mal darin hängen zu bleiben, wie ein Versager. Ein letztes Mal probiere ich es, während Chi ruhig und geduldig neben mir steht. Verzweifelt stelle ich mir irgendjemanden am Ende dieser Bahnen vor, doch es ist nur eine beschissene Illusion. Niemanden interessiert es, ob ich das hinkriege oder nicht. Also lasse ich mich einfach auf die Matte unter mir fallen und schließe die Augen.
Das war es dann mit Physio. Ich bin durch damit. Endgültig. Vielleicht hilft es ja anderen, die ihre imaginären Wunschbilder vor sich sehen. Mir bringt das nichts. Ich bin ein hoffnungsloser Fall.
Kapitel 8
Jan – Wien, 2014
„Jan Herzog … Ganz ehrlich, als du vor all diesen Monaten durch meine Tür verschwunden bist, hätte ich nicht gedacht, dass ich dich je wiedersehen werde.“
Chi ist noch immer dieser riesige schwarze Mann mit den kurz geschorenen Haaren und der unerschütterlich guten Laune. Nur die Kleidung ist anders: weiß. Viel besser als das mintgrüne Zeug. Sein selbstgefälliges Grinsen zeigt er mir ganz offen.
„Ich auch nicht“, gebe ich unumwunden zu.
„Was führt dich zu mir?“
„Du hast mir mal gesagt, dass jeder Patient ein Ziel braucht, jemanden, für