Johannes Tilly

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es zur Kenntnis genommen <.

      Der Feedback > Gefallen < ist typisch amerikanisch, denkt Christian, schließt seine facebook-Seite und fährt den Laptop herunter.

       2.

      Veronika Langhäuser sitzt am Schreibtisch und bereitet sich auf ihren Geschichtsunterricht an der Ernst Barlach Realschule in Miesenhain vor. Seit 30 Jahren ist sie jetzt Lehrerin, davon 25 an dieser Schule. Geschichte und Deutsch hat sie studiert, der Kunstgeschichte gilt ihre Leidenschaft.

      Wenn sie im Unterricht mal ihren Schülern davon erzählen will, schauen ihr ahnungslose, gelangweilte Gesichter entgegen.

      Geschichte ist schon eine Zumutung, aber die Ästhetik des romanischen Kaiserdoms in Speyer, es nervt..., wie die Schüler heute sagen. Veronika weiß das. Sie übertreibt es auch nicht. Manchmal überkommt es sie einfach. Noch ist sie begeisterungsfähig, neugierig auf alles Schöne und Interessante in dieser Welt. Warum sollte sie damals Lehrerin geworden sein, wenn sie diese Begeisterung nicht weitergeben darf?

      Sie verscheucht diese Gedanken und konzentriert sich wieder auf ihr eigentliches Tun. Das Wachsen des Römischen Weltreiches heißt die Unterrichtseinheit für die nächsten 12 Unterrichtsstunden der 7.4. Das sind sechs Wochen Geschichtsunterricht bei 12 bis 14jährigen pubertierenden Jungen und Mädchen. Wenn sie die Kriege von Hannibal bis Teuteburger Wald in den Mittelpunkt des Unterrichts rückt, hat sie wenigstens die Jungen etwas motiviert. Wichtig, sagt der Lehrplan, ist, dass die Schüler die Romanisierung erkennen, den Kulturtransfer, den die Römer über das ganze

      Mittelmeergebiet gebracht haben, auch hier nach Deutschland.

      Stunde für Stunde entsteht als Konzept in ihrer Vorbereitung.

      Früher schrieb sie das immer mit der Hand auf unzählige Notizblöcke, jedes Jahr neu, weil man Unterricht nie „eins zu eins“ übernehmen kann.

      Heute tippt sie ihre Konzepte in den Computer. Ihr Laptop ist ihr wichtigstes Arbeitsinstrument geworden. Es spuckt Bilder und Texte aus, ist Notizbuch, ihr Mädchen für alles und kann mit einem Tastendruck das Schulleben beenden und sie zur Privatperson machen.

      Sie überfliegt ihre emails und freut sich über die Grüße einer Freundin aus Hannover, mit der sie im letzten Jahr in den Sommerferien eine Türkeireise unternommen hatte. Von Istanbul nach Izmir mit Ausflügen nach Pergamon, Ephesos, Hierapolis und viele andere Kulturdenkmäler aus hellenistischer und römischer Zeit. Monika und sie hatten gemeinsam den Wandel von ägyptischer, über altgriechische, hellenistische zur römischen Architektur und Bildhauerkunst bewundert und zu begreifen gelernt.

      Veronika sieht das > f < von facebook und drückt wie gedankenverloren auf den Button.

      Die Startseite springt auf. Oh, sie hat eine Nachricht:

      Ach ja, dieser Segeltyp, hat geantwortet:

      ...Streuner...nicht, was Frauen sich wünschen.

      „Hab ich auch noch nicht gelesen“, konstatiert sie. Fast ohne nachzudenken, formuliert sie eine Antwort.

       Ja, lieber Christian,

       Streuner zu sein, find ich toll, neugierig auf diese Welt mit all ihren Facetten. Da führst du ein wunderbares Leben, um das ich dich beneide.

       Liebe Grüße

       Veronika

      Schon ist die Antwort weg, nicht mehr zurückholbar!

      Veronika liest sie jetzt noch mal genau durch. Einen Streuner beneiden?

      Nein, sie hat natürlich an den Segler gedacht mit seinen Reiseberichten von der spanischen Süd- und Ostküste, sie hatte seine Fotos von Malaga und Tarragona im Hinterkopf, als sie so schrieb. Diese wunderschönen Fotos von der alten römischen Provinzhauptstadt Tarraco, wie die Römer Tarragona nannten.

      Sie vergrößert sein Profilbild.

      Ein älterer Mann mit Baseballmütze schaut ihr lachend entgegen. Nicht unsympathisch. Irgendwie anders als ihre Kollegen an der Schule.

      Sie muss lächeln. Früher, als sie jung war, hatte sie viele männliche Kollegen, die meisten in Jeans, tolle Typen waren dabei, von den 68ern geprägt, Individualisten, gierig auf Freiheit und Unabhängigkeit.

      Wo sind die geblieben? Ja, wie im Song Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben? Mädchen pflückten sie geschwind... und die Bürokratie hat sie aufgefressen.

      Veronika lässt diese Gedanken fallen. In facebook heutzutage legt man seine Worte nicht mehr auf die Goldwaage, die Zeiten, wo Goethe jedes Wort fein säuberlich setzte, die Texte noch im Rhythmus der Versform erschienen, sind vorbei. Ja, auch das war griechisch-römische Kultur. Wie Homer seine Verse in der Ilias und der Odyssee formulierte: Nenne mir Muse den Mann, den weitgereisten ... Odysseus war gemeint. Der segelte auch durchs Mittelmeer, wie dieser Christian.

      Schluss jetzt, sie zwingt sich zur Konzentration auf ihre Unterrichtsvorbereitung.

       3.

      Schon wieder diese schwarzhaarige Frau. Schreibt, dass sie Streuner gut findet und

      … du führst ein wundervolles Leben.

      Er fühlt sich geschmeichelt. Ja, so findet er facebook gut, darum macht er sich die Arbeit, Texte und Fotos ins Netz zu stellen. Hier zu Hause geht das schnell, dsl-mäßig. Auch so ein neumodisches, dummes Wort, denkt er. Eigentlich ungenau formuliert.

      In Spanien und auf Sardinien hatte er sich in die jeweiligen wlan-Netze eingeloggt. Entweder waren sie ungesichert, dann kam er über seine Spezialantenne in die Netze von Restaurants und Marinas, oder sie waren passwortgesichert, dann trank er im Restaurant mit dem stärksten Netz ein Bier, holte sein Smartphone aus der Tasche und erbat das Codewort. Von Bord seiner Nirwana aus ging er dann mit dem Laptop ins Netz. Doch die Verbindungen waren zum Teil erbärmlich langsam gewesen, das Hochladen der Fotos eine Geduldsprobe.

      Ob er wirklich so ein wundervolles Leben führte, wie sie es sich vorstellte, weiß er selbst nicht.

      Nach seiner Scheidung und dem Ende seines Arbeitslebens hatte er sich zwar einen alten Traum erfüllt, doch das Singledasein und das Einhandsegeln ist nicht immer nur ein Vergnügen. Manchmal lag er tagelang einsam in irgendeiner Bucht, die ihn vor den nördlichen Winden und der daraus resultierenden Welle schützte und hatte mit niemanden Kontakt. Da kam ihm das Arbeiten an seinen Reiseberichten gerade recht.

      Christian bearbeitete ein doppeltes Reiseberichtsprogramm. Für facebook schrieb er kurze, prägnante Texte über seine Reise, über Städte, Landschaften, historische und kulturelle Epochen, über amüsante oder aufregende persönliche Erlebnisse,

      über bemerkenswerte Veranstaltungen, die er besuchte. Solche Schilderungen, oder waren es Reportagen mit Fotos, stellte er bei facebook ins Netz. Irgendeiner seiner vielen Freunde, die ja eigentlich nur Bekannte sind und auch das nicht immer, reagierte schon mit > gefällt mir < oder auch einem kleinen Kommentar. Das erzeugt das Feeling, nicht allein zu, vernetzt zu sein, wie man heute sagt.

      Er hatte seine Seite auch für alle facebook-Nutzer freigegeben, so dass alle ihn anklicken und seine Seite öffnen, sich seine Fotos ansehen und seine Texte lesen konnten.

      Persönliches hatte er eigentlich nicht angegeben, nur sein Geburtsdatum und den Begriff Single. Für alle Fälle.

      Für sich selbst bearbeitete Christian noch ein anderes Programm > Fotostory for windows <. Dieses Programm veränderte seine Fotoreihen mit digitalen Zoom- und Schwenkeffekten zu videoähnlichen Berichten, die er dann mit gesprochenen Kommentaren versah und zum Schluss mit der passenden Musik unterlegte.

      Video wird generiert, sagte zum Schluss das Programm und ein rund einstündiger Videofilm war auf der Festplatte. Eine Erinnerung für alle Zeiten