Johannes Tilly

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Erinnerungen, sein Ego, als Beweis seiner Kreativität.

      Seine wunderbaren Fotos von der Reise vergammeln nicht auf irgendwelchen Festplatten oder CD's, unstrukturiert und nach Jahren kaum auffindbar, sondern sie werden hoffentlich noch von seinen Kindern und Enkeln gerne gesehen.

      Als er nach zwei Stunden getaner Arbeit das Mikrophon aus der Hand legt, ist er platt, gemolken, ausgebrannt.

      Facebook hat nun die notwendige Leichtigkeit und Unverbindlichkeit, um von dieser Anspannung runter zu kommen.

      Mehrere Benachrichtigungen hat er.

      Unter anderem den Kommentar zu einem Reiseberichtsbeitrag, den er im letzten Jahr in facebook eingestellt hatte. Er hatte damals aus gegebenem Anlass einen Artikel zum Thema

       Alleine Reisen – Angst und Langeweile oder Mut und Chance

      geschrieben, hatte dargelegt, dass alleine unterwegs sein nicht die Abstinenz von Zweisamkeit ist, sondern gerade ständig neuen Bekanntschaften, Einladungen und Begegnungen Tür und Tor öffnet.

      Die schwarzhaarige Veronika hatte jetzt fast anderthalb Jahre später diesen Artikel kommentiert.

      Ja, schreibt sie, sie könne seine Haltung nur zu gut verstehen und habe das auch schon so erfahren. Sie finde es toll, wie positiv er auf die Menschen zugehe. Nur so werde man fremde Kulturen verstehen, andere Länder und Regionen kennenlernen. Das Vertrauen in sich selbst und das prinzipielle Vertrauen anderen Menschen gegenüber sei ein wunderbarer Charakterzug eines Menschen.

      Das liest er gerne. Zustimmung verbindet. Aber fast noch wichtiger ist die Tatsache, dass diese Veronika weit in die Vergangenheit seiner facebook-Reportagen hinab getaucht ist, sich mit seiner Seite und mit ihm selbst, hofft er doch, beschäftigt hat.

      Aber auf seinen Köder ...diese Frau möchte ich kennenlernen ..., ist sie nicht eingegangen.

      Er schreibt ihr eine persönliche Nachricht:

       Hallo Veronika,

       danke für deinen interessanten Kommentar. Deine Texte erstaunen mich immer wieder und machen mich neugierig auf den Menschen, der sowas schreibt.

       Deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn ich dich persönlich kennenlernen könnte. Bei 'nem Bier, im Cafe, gerne auch im Restaurant oder wie immer du das möchtest, wenn du es denn möchtest.

       Du weißt, ich bin unkompliziert und spontan und verbinde mit Kennenlernen, die Befriedigung meiner Neugierde, wie du sprichst, dich gibst, aussiehst, reagierst, lachst oder traurig bist.

       Hier ist meine Nummer: 01523569103.

       Als Streuner habe ich natürlich nur Handy, aber mit Flatrate.

       Ruf mich an oder schicke mir deine Nummer. Dann rufe ich dich an. Oder schreib mir, was du zu meinem Wunsch zu sagen hast. Egal wie oder was, sieh' es bitte locker!

       Ganz liebe Grüße

       Christian

      So, das ist ja wohl mehr als deutlich. Wie leicht ist es doch, solch einen unverbindlichen Text ins Netz zu setzen. Der Stress beginnt frühestens, wenn es wirklich zu einer Verabredung käme. Käme ist Konjunktiv, Möglichkeitsform, nichts, um das man sich schon heute einen Kopf macht.

      Er blättert noch ein bisschen durch die Startseite, staunt, was so alles kopiert wird, und beendet facebook.

      Ja, es ist fast schon so ein Ritual: Du fährst den Computer hoch, um irgendeine Arbeit zu erledigen, und überfliegst schon auf der Startseite Klatsch und Nachrichten des Tages.

      Dann machst du dein email-Programm auf und sichtest deine mails. Schrott wird sofort gelöscht, Infos eventuell notiert, Wichtiges bearbeitet, manchmal kopiert oder gedruckt. Beiträge von facebook werden ebenfalls als mail angekündigt. Auf eine von ihnen drückst du drauf und schon bist du in facebook, genau an der Stelle, Kommentar oder

      Nachricht, die die mail ankündigt.

      Zum Schluss überfliegt man noch die facebook-Startseite und wundert sich, dass schon die erste halbe Stunde der Arbeitszeit verflogen ist.

      Am Ende vor dem Herunterfahren ein ähnliches Ritual.

       7.

      Die letzten drei Schulwochen vor den Weihnachtsferien haben begonnen. Stress pur. Eigentlich in allen Klassen und Fächern noch einmal eine Runde Klassenarbeiten, Tests und Hausaufgabenüberprüfungen. Die Schulbürokratie fordert eine Menge von Einzelnoten, ohne die eine Zeugnisnote Ende Januar nicht ausgesprochen werden darf.

      Die Schüler hassen diese ständigen, oft an den Haaren herbei gezogenen Überprüfungen und als Folge auch die Lehrer, die sie durchführen.

      Das ergibt genau die richtige Atmosphäre vor Weihnachten, vor dem Fest der Liebe, denkt Veronika zynisch.

      Anstelle mit den Kindern in aller Ruhe Weihnachten vorzubereiten, kreativ zu basteln, zu dichten, zu singen, kleine Theaterstücke einzuüben, für einander Verständnis zu entwickeln, auch einmal einen Blick auf die Kinderwelt außerhalb unseres westeuropäischen Paradieses zu werfen, nur Stress, Druck, Aggression, manchmal sogar Hass und nirgendwo Liebe.

      Pädagogische Liebe war ein Stichwort in ihrem Studium, die Liebe zu den Zöglingen, zu den Schülern, die man über mehrere Jahre doch intensiv kennenlernte und begleitete. Vergleichbar der elterlichen Liebe, die nur an das Weiterkommen des Nachwuchses, an die Vorbereitung auf das spätere Leben gerichtet ist.

      Diese pädagogische Liebe war damals noch unbelastet von den Skandalen sexueller Übergriffe, wie sie in den letzten Jahren bekannt geworden sind. Auch unfassbar!

      Heute darfst du kein Kind mehr tröstend in den Arm nehmen, ihm verständnisvoll über das Haar streichen, es vielleicht mit deinem Auto nach Hause zu den Eltern fahren. Die Beziehung zu den Schülern wird bürokratisiert, juristisch geregelt, unterliegt ständiger Kritik.

      Ist es ein Wunder, dass die Lehrer sich zurückziehen, dafür die Schulleiter in den Regionalausgaben der Tageszeiten ihre wunderbare erfolgreiche Arbeit an ihrer Schule medienwirksam ins Bild setzen?

      Ein Kollege hatte einmal in einer Konferenz Andersens Märchen von des Kaisers neue

      Kleider bemüht. Dieser falsche Applaus für viele Dinge, die jeder heimlich als Potemkinsche Dörfer einschätzt, sich aber nicht traut, es laut zu sagen. Diese dann hundertprozentige Zustimmung des Schulkollegiums wandert dann als Bericht zur Schulaufsichtsbehörde und ergibt in der Addition solcher Ereignisse die selbst befriedigende Reaktion des Kultusministeriums.

      Veronika könnte heulen, wenn sie an diese Entwicklung der letzten zwanzig Jahre denkt.

      Sie hatte anfangs gekämpft, sich den Mund verbrannt, mit Kollegen später beim Bier ohne die Schulleitung darüber gesprochen.

      Die letzten Jahre ist es auch ein Generationenproblem, die jungen Lehrer kennen es doch aus ihrer eigenen Schulzeit nicht mehr anders. Junge Männer kommen eh nur noch selten an die Schule. Junge Frauen zwischen Karriere und Kochtopf, oft überfordert und ohne Kraft, bilden einen Großteil des heutigen Kollegiums.

      Schluss jetzt, andere Gedanken. Ich will überleben. Sie drückt das magische > f <, die Fahrkarte in eine andere Welt.

      Sie hat Post von ihrem Segler. Er schickt ihr seine Telefonnummer und erbittet ein Date. Na, endlich mal was erfreuliches.

      Es ist nicht ihr erstes Treffen dieser Art. Noch vor ca. zwei Monaten war sie zu solch einer Verabredung gegangen und war, jetzt fällt es ihr wieder genau ein, so enttäuscht von diesem Schwätzer und Langeweiler. Eine ganze Stunde hatte sie bei einem wunderbaren Schokoladeneisbecher mit diesem … den Namen hat sie vergessen ... zusammengesessen, sich gelangweilt und unwohl gefühlt und war dann