Johannes Tilly

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er kommunizierte gerne mit Menschen. Menschen waren seine Leidenschaft. Wichtig, hatte einmal ein Bekannter zu ihm gesagt, sind die vier großen M's. „Man muss Menschen mögen!“

      Und man muss Antworten geben.

      Auch Veronika sollte ihre Antwort bekommen.

      Christian schreibt ihr einen netten Brief -eigentlich das falsche Wort, aber es ist doch ein Brief, eine in Worte gefasste Mitteilung an Menschen- ,erzählt von seinem Reiseziel, der Umrundung des Mittelmeeres, dass er im nächsten Jahr über Elba und Italiens Westküste nach Süden segeln will, durch die Straße von Messina ins Ionische Meer und dann nach Norden durch die Straße von Otranto in die Adria.

      Überwintern wolle er dann in Kroatien, schreibt er Veronika.

      Kroatien, da denkt er an Tauchurlaube mit seinem Schlauchboot. An tolle Sommerwochen auch noch mit seiner Familie. An die verträumten Buchten, die vielen FKK-Strände, die er dort in den 80er Jahren zum ersten Mal kennengelernt hatte. An fanatische FKK'ler, er muss heute noch lachen, wenn er daran denkt, wie die abends, wenn die Sonne untergegangen war, ein T-Shirt überzogen, später dann darüber einen Pullover, wenn es sein musste auch noch einen Parka , aber niemals eine Hose.

      Ihm hatte dieses Nacktbaden und Nacktsonnen schon gefallen, als bekennender Saunagänger hatte er da auch keine Probleme, aber wenn er ein T-Shirt anzog, dann auch eine Badehose, und wenn Pullover, dann auch eine Jeans.

      Das alles schreibt er dieser unbekannten Frau natürlich nicht, nur, dass er Kroatien toll finde und dann noch nette Grüße an sie und dass er sich freue, dass sie an seinem Leben solchen Anteil nähme.

       4.

      Veronika kommt wieder einmal spät aus der Schule.

      Mein Gott, denkt sie, was waren das noch für Zeiten, als um zehn nach eins der Unterricht endete. Natürlich hatte man dann kein frei, aber der Druck war weg. Erst mal was essen, dann eine Kanne Kaffee, auch schon mal ein Mittagsschläfchen. Irgendwann am Tage die notwendige Schreibtischarbeit. Stunden für den nächsten Tag vorbereiten, Unterrichtseinheiten projektieren, Klassenarbeiten und Tests korrigieren und benoten. So zwischen zwei und drei Stunden, also ungefähr zwölf Schreibtischstunden pro Unterrichtswoche. Das konnte man, wenn es eng wurde, auch alles an einem Arbeitssonntag erledigen. Aber das war hart und der Qualität diente es auch nicht.

      Aber mal einen ganzen Mittag nichts tun, zu Freundinnen fahren, in die Sauna gehen, nach Kleinklottenburg ins Städtchen oder nach Köln in die Großstadt, das konnte man sich als Lehrer schon mal erlauben.

      Heute hat sie dreimal pro Woche Unterricht bis viertel vor vier. Wenn sie dann um halb fünf zu Hause ist, ist sie so platt wie jeder Arbeitnehmer nach acht Arbeitsstunden.

      Ja, ich bin ein Arbeitnehmer, eine Angestellte beim Staat, offiziell Landesbeamtin, aber ein freier Lehrer wie vor 30 Jahren bin ich nicht mehr, denkt sie.

      Die Bezahlung ist nicht schlecht, aber Karriere, wie man das heute sogar bei den Kassiererinnen bei Aldi nennt?

      Sie wurde 1982 als Realschullehrerin mit A 13 eingestellt und aller Voraussicht nach wird sie mit derselben Gehaltsstufe in rund zehn Jahren in Pension gehen. Eine tolle Karriere!

      Sie verscheucht diese negativen Gedanken. Quatsch! Sie ist gesund und ihr geht es gut.

      Sie hat etliche Männer in ihrem Leben kennen gelernt, mit dreien war sie über längere Zeiträume liiert.

      Mit dem ersten dieser drei, Erwin, war sie sogar zusammen gezogen. Heirat war für beide kein Thema, schwanger wurde sie nicht, obwohl sie nachlässig verhüteten. Der

      Zauber des Anfangs, den Hermann Hesse zitiert, hatte sich verflogen, sie hatten sich nach vier Jahren wieder getrennt.

      Später waren noch Dieter und Maik ihre Lebensabschnittspartner geworden, doch ihre Wohnung hatte sie nie mehr aufgegeben, wenn sie auch manchmal wochenlang verwaist war.

      Seit 2002 lebt sie als Single, braucht ab und zu einen Flirt, auch mal einen One-Night-Stand.

      Während sie in der Küche Spaghetti kocht und aus einer vom Vortag übrig gebliebenen Kopfsalathälfte einen Salat zubereitet, lässt sie im Arbeitszimmer den Computer hochlaufen. Zu den Spaghetti gibt es Ketchupsoße und zwei Spiegeleier, dann den Salat mit Vollkornbrot. Satt !

      Fleisch mögen eh nur die Männer!

      Zwei von diesen Spezies haben ihr auf facebook eine Nachricht hinterlassen.

      Klaus-Jürgen, ein Urlaubsflirt vom letzten Jahr, schickt ihr schöne Grüße aus Miami. Ja, in Florida ist es auch jetzt im November noch angenehm warm. Aber eigentlich interessiert es sie gar nicht, der Typ auch nicht. Bankangestellter, im Moment einfach nur unsexy.

      Die zweite Nachricht ist von diesem Segler: Er dankt ihr für ihre tolle Einstellung einem Streuner gegenüber, ihre Weltoffenheit und Toleranz und erzählt dann von seinem Projekt: Rund ums Mittelmeer.

      Nächstes Jahr will er Anfang August Kroatien erreichen. Das interessiert sie eher, sie kennt diese Küste und einige der wunderschönen vorgelagerten Inseln. Cres zum Beispiel, der istrischen Ostküste gegenüber, nur getrennt durch die Kvarner Bucht, diesem herrlichen Meeresarm, oft schrecklich von der Bora gebeutelt.

      Veronika vergrößert noch einmal sein Profilfoto, liest: Christian Söndermann, geb.

      10. November 1949, Single.

      Sie klickt auf die Sammlung >Fotos< und mehrere Fotoalben werden sichtbar. Sie öffnet irgendeins, sieht herrliche, von der Sonne verwöhnte Mittelmeerlandschaften, sieht ein Segelschiff in einer malerischen Bucht vor Anker liegen und am Strand einen älteren, schlanken, gut gebräunten Herrn in sportlicher Badehose. Sie vergrößert auch dieses Foto. Für einen 63 jährigen Mann hat er sich gut gehalten. Er lächelt sympathisch in die Kamera, ein facebook-Foto halt. Ein Sympathie-Foto für die Welt.

      Unter dem Foto steht als Untertext: Wie Odysseus am Strand der Phäaken.

      Ja, sie kennt diese historische Theorie: Wenn Homers Geschichten wirklich einen realen Hintergrund haben, dann ist Odysseus, der listenreiche, vielleicht wirklich von den Kräften der Natur - Homer gibt natürlich Poseidon die Schuld - durchs Mittelmeer getrieben worden, auf Schiffen, die nicht die technischen und navigatorischen Möglichkeiten von heute hatten.

      Dem Typen mal ein paar Zeilen schreiben, macht sicher mehr Spaß als diese widerlichen Kommentare unter Schüleraufsätzen, dieser Mischung aus keine Ahnung und orthographischem Unvermögen. Ein ganzer Stapel solcher Hefte eines neunten Schuljahres liegt noch auf der Fensterbank. Zehn Hefte hat sie durchgelesen und korrigiert. Auch ihre Kommentare schon darunter geschrieben. Benotet hat sie diese Aufsätze noch nicht, nur ein Zettelchen mit einem Bleistiftvermerk dazu gelegt: 3-4 oder 4-.

      Eigentlich sind diese Leistungen nur mit mangelhaft zu bewerten. Aber das akzeptiert man heute nicht mehr. Maximal ein Drittel einer Klassenarbeit darf schlechter als ausreichend benotet werden. Ihr graut es. Sie schreibt in den Laptop:

       Hallo, Christian,

       zwischen der Korrektur zweier Schüleraufsätze will ich dir schnell ein paar Zeilen schreiben.

       Wie schön ist es, deine Texte zu lesen und deine Fotos anzuschauen. Das ist Leben pur, nicht Leben aus zweiter Hand.

       Wie faszinierend finde ich es, Odysseus am Strand zu suchen und nicht im Geschichtsbuch auf Seite 133 unter der Überschrift: Die alten Griechen.

       Auf deinen Fotos kann ich das Meer rauschen hören, die silbrig glänzenden Blätter der Olivenbäume glitzern in der Sonne. Das Zirpen einer Zikade zersägt die Stille. Ich spüre förmlich das Brennen der Sonne auf meiner Haut, wie angenehm und antörnend. Ja, du stehst da auf einem Foto wie Odysseus, so stark, so schlau, so durchtrieben!

      Veronika findet Spaß an solcher Formulierkunst. Ja, sie schreibt gerne, wenn es sich lohnt, wenn es keine Perlen