Johannes Tilly

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in den Sommerferien mit ihren PKW's hochbeladen von Genua aus nach Olbia auf Sardinien gefahren. Das Land kennenlernen und Tauchen waren ihre Urlaubsziele.

      Seine älteste Tochter war nun schon im 2. Schuljahr und damit war er nun die nächsten zwei Jahrzehnte von den Sommerferien abhängig, was bedeutete, dass alles teurer war, Flüge, Fähren, Hotels.

      Und überlaufen war alles, alle waren unterwegs. Die Adriastrände waren bunt vor Handtüchern, nicht goldgelb vom Sand.

      Deshalb hatten sie beschlossen, mit Camping- und Tauchausrüstungen und mit Schlauchbooten nach Sardinien zu fahren in die große Bucht von Alghero, dort wild zu campen und mit den Booten rund ums Capo Caccia zu tauchen.

      Sie hatten auch einen wunderschönen Platz oberhalb einer Klippe gefunden, die zwei Boote schwammen in einer kleinen Bucht und konnten bei Südwind an Land gezogen werden.

      Doch schon am dritten Tag waren Carabinieri gekommen und hatten auf das Schild hingewiesen, das am Anfang des Weges zu ihrem Zeltplatz stand: Camping divieto . Zelten verboten. Der Beton um die Stange war noch feucht, sie hatten es nur wegen uns aufgestellt.

      Wir hatten die zwei Polizisten zum Rotwein eingeladen und es war ein geselliger wunderschöner Abend gewesen. Der Beginn einer deutsch-italienischen Freundschaft, hatten wir gedacht.

      Am nächsten Morgen waren sie zurückgekommen und hatten uns, als sie sahen, dass wir nicht verschwunden waren, angebrüllt und unmissverständlich zum Einpacken aufgefordert.

      Die Freiheit der 60er und 70er Jahre hatte in weiten Teilen Südeuropas ein Ende gefunden.

      Man hatte in Campingplätze investiert und dort sollten die reichen Deutschen auch ihr Geld lassen.

      Wir hatten uns dann getrennt, Rudi war nach Norden auf einen Campingplatz gefahren, wo er Tauchfreunde kannte. Georg und ich fuhren weiter nach Süden und fanden schließlich ganz im Süden Sardiniens bei Villasimius doch noch einen herrlichen wilden Zeltplatz für unser Tauchhobby.

      Zurück in die Gegenwart, denkt Christian.

      Er drückt auf seinem Laptop das > f< für facebook.

      Als erstes drückt er den Button >Benachrichtigungen<. Die zeigen ihm alle Einladungen, > Gefällt mir <- und Textkommentare auf, die seit seiner letzten facebook-Sitzung angekommen sind.

      Er klickt sie einzeln an und sieht die Reaktionen auf seine eigenen Aktivitäten.

      Das interessiert und freut ihn, gibt ein Gemeinschaftsgefühl, vertreibt das Gefühl von Einsamkeit.

      Auf seiner eigenen Seite hat doch diese Veronika ein Gedicht hinterlassen, nein, Gedicht ist der falsche Ausdruck, einen Text, der beginnt:

       Es gibt keine Pflicht des Lebens, es gibt nur eine Pflicht des Glücklichseins....

      Ja, Recht hat sie, nur das Glück zählt, das, was der Mensch aus sich macht, was er empfindet beim Leben.

      Ja, er war Bankkaufmann gewesen, war jeden Morgen im Anzug mit Krawatte zur Arbeit gefahren und, „doch die ersten Jahre war ich glücklich, ich habe gerne mit Menschen zu tun gehabt und es war mir eine Befriedigung, ihnen bei ihren Geldgeschäften zu helfen, ihnen mein Wissen zur Verfügung zu stellen.“ Bei manchen hatte er nur gesagt, „machen Sie das und das...“, anderen hatte er den Mechanismus der Geldanlage genau erklärt, ihnen etwas BWL beigebracht. Die Kunden hatten gerne bei ihm im Kundenbüro gesessen, die Mädchen hatten auf Telefonanruf Kaffee gebracht, man hatte über vieles geredet.

      Manchmal auch über ganz andere Dinge, die gar nichts mit Bankgeschäften zu tun hatten. Dann war er manchmal der Zuhörer, der Lernende gewesen.

      Das war wirkliche, effektive Kundenbindung gewesen, vertrauensbildend, nicht dieser dumme Schnickschnack von heute, die dummen auswendig gelernten Sprüche, die man den Kunden entgegensäuselte.

      Er liest weiter:

       Wenn der Mensch gut sein kann, so kann er es nur, wenn er glücklich ist, wenn er Harmonie in sich hat, also wenn er liebt...

      Christian denkt nach: Bei seiner China-Reise vor fünf Jahren war das Wort Harmonie permanent präsent gewesen. Er hatte in Peking einen Tempel besucht, der der „Harmonie im Alter“ gewidmet war und hatte das für bemerkenswert gefunden. Überhaupt hatten ihn die chinesische Kultur und Philosophie und die Chinesen begeistert, aber ist das Liebe?

      Jetzt wird’s schwierig und kompliziert.

      Was ist Liebe?

      Nein, den Gedanken will ich jetzt nicht weiterspinnen.

      Der Text erwähnt Jesus, Buddha und Hegel und stellt sie in eine gedankliche Reihe.

      Für jeden, liest er weiter, ist das einzig Wichtige auf der Welt sein eigenes Innerstes, seine Seele, seine Liebesfähigkeit. Ist sie in Ordnung, so mag man Hirse oder Kuchen essen, Lumpen oder Juwelen tragen, dann klingt die Welt mit der Seele zusammen, ist gut, ist in Ordnung.

      Das kann er nachvollziehen, das würde er unterschreiben.

      Ob diese Veronika das selbst geschrieben hat? Mein Gott, dann müsste sie eine interessante Frau sein.

      Nein, denkt er, das hat sie irgendwo abgeschrieben, aber wo? Und warum gerade das?

      Er hatte ihr doch nur von seinem Segeltörn und seinem Ziel, das Mittelmeer zu umrunden, erzählt.

      Hatte sie daraus gefolgert, dass er so sein Glück suchte, mit sich und der Welt in Harmonie sein wollte, die Wahrheit suchte, die sich durch die Geschichte der Menschen zog?

      Nicht dumm der Text.

      Er geht noch einmal auf ihre Seite.

      Ja, sie ist Single, nicht sein Beuteschema, aber doch etwas sexy. Er hätte nichts gegen einen date.

      Er schreibt unter ihren Text:

       Wenn du das selbst formuliert hast, bist du ein Philosoph,

       wenn du es nur ausgesucht hast, bist du eine kluge Frau, die ich kennenlernen möchte.

      So, der Köder ist ausgeworfen.

      Er wendet sich einer weiteren facebook-Nachricht zu, schreibt ein paar belanglose Worte, über deren Wirkung beim Adressaten er sich nicht viel Gedanken macht. Oberflächlichkeit ist angesagt.

       6.

      Drei Tage später sitzt Christian Söndermann vor seinem Computer, aufgeregt rückt er seinen Stuhl hin und her und hält das Mikrofon in der Hand.

      Heute ist wieder so ein Lifetag, an dem man sich bei seiner Schreibtischarbeit nicht hinter der Programmmaske verstecken kann. Heute muss er das recherchierte und niedergeschriebene Wissen, die Kommentare und Schilderungen auf die Tonspur sprechen. Keiner kann ihm dabei helfen, akzentuiert, in einer gleichbleibenden Lautstärke, aber doch wieder nicht einschläfernd zu sprechen, die Stimme honor oder spannend klingen zu lassen, Überraschungen zu akustizieren, Sprechpausen einzuhalten, die Texte zu Beginn, in der Mitte oder erst am Ende einer Bildlaufzeit zu sprechen.

      Er konfiguriert das Mikrophon auf der Soundkarte des Computers, liest sich den Text zum ersten Bild noch einmal durch und beginnt mit den Sprachaufnahmen zum dritten Teil des Reiseberichtes:

       Inseln im Tyrrhenischen Meer: Sardinien und Korsika

      Zwei Stunden intensivster Arbeit liegen nun vor ihm, kleine Fehler lässt er durchgehen, bei echten Aussprachefehlern muss er anhalten, löschen und sofort neu sprechen. Der Gesamtrhythmus der Aufnahme sollte nur selten unterbrochen werden, sonst leidet das Feeling. Er selbst wird später jede nachträgliche Korrektur hören und daran leiden, aber er weiß aus Erfahrung, dass seine Zuhörer das kaum bemerken werden.

      Aber er macht diese Reiseberichte in erster Linie nicht für eventuelle Vorträge