Johannes Tilly

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      Nein, diese Dates mit Männern, die man nur aus dem Internet kennt, sind immer problematisch. Schöner und erfolgreicher sind die Bekanntschaften, die man wirklich draußen im Leben macht. Wenn man abends mal an der Theke steht und ein wirklich lustiger Typ erzählt einen Joke nach dem anderen, und weil man so herrlich lacht, bestellt er schließlich ein Bier für sie mit, prostet ihr zu oder stößt sogar mit ihr an.

      Sie erinnert sich an Friedrich-Karl, allein schon der Name, aber er war mit goldenem Humor gesegnet und was sie damals tatsächlich beeindruckte war, dass er sich auch wunderbar ernsthaft und super informiert über Geschichte und Politik unterhalten konnte.

      Sie hatte ihn nach Mitternacht mit nach Haus genommen zu einem One-night-stand, wie man heute zu sagen pflegt. Er war etwas älter als sie und im Bett nur Durchschnitt, an der Theke war er viel besser gewesen. Er verschwand morgens nach dem gemeinsamen Frühstück, ließ sein Visitenkärtchen zurück und rief die nächsten Tage noch ein paarmal an. Doch auch am Telefon konnte er den Charme des Thekenstehers nicht mehr entfalten.

      Ja, dachte Veronika, so mache ich es jetzt auch, er kann schreiben, er kann fotografieren, belassen wir es erst mal dabei. Ein Lifedate beendet meist die Romanze nach irgendeiner Seite hin. Lassen wir das Süppchen doch einfach auf dem Herd ein bisschen köcheln. Sie lächelt über ihre eigenen Gedanken. So kreativ möchte sie manchmal noch in der Schule sein, lauthals lachen über sich, die Kinder, die Situation.

      Sie schreibt dem Segler zurück:

       Lieber Christian, schön, dass du dich mit mir treffen willst. Ich weiß dein Angebot zu schätzen.

       Aber sei mir bitte nicht böse, ich möchte jetzt noch nicht. Im Moment steht mir aus Gründen, die ich dir auch jetzt noch nicht erzählen möchte, nicht der Kopf danach.

       Ich genieße deine wunderbaren Fotos, deine Reiseberichte, in denen ich erkenne, dass du ein ganz besonderer Mann bist, ein Streuner, wie du selbst schreibst, aber im absolut positiven Sinne.

       Ich selbst reise auch gerne, bin eigentlich in allen Ferien unterwegs und war auch schon in Tarragona und habe wie du die Geschichte, Kultur und Schönheit der alten Römerstadt genossen.

       Bleib du für mich bitte noch ein bisschen im Dunkeln...das wäre schön! Jetzt im Weihnachtsstress als Lehrerin an einer Schule ist mein Herz nicht offen für etwas vernünftiges, vielleicht Großes.

       Ich gebe dir aber meine Telefonnummer: 02166/37869.

       Hab noch einen schönen Abend und alles Liebe wünscht dir

       Veronika

      Sie überfliegt ihre Worte noch einmal flüchtig auf Rechtschreibfehler, schließlich ist sie Lehrerin, und drückt den > Antwort-Button <.

      So, die Antwort hat er.

      Erst jetzt denkt sie noch einmal über den Inhalt und die Konsequenz ihrer Worte nach:

      Sie hat ihn mit Lob angemacht und sicher einen Jagdinstinkt in ihm geweckt, wenn er denn ein richtiger Mann ist. Er kann sie haben, wenn er baggert, später, vielleicht, es kommt auf seine Qualitäten an, die er ihr beweisen muss.

      Ja, sie hat ein Spiel angefangen, in dem sie allein, hofft sie zumindest, die Spielregeln vorgibt. Mein Gott, denkt Veronika, genau umgekehrt wie in der Schule. Sie ist mit sich zufrieden.

      Morgen in der 10. Klasse muss sie sich mit dem 3. Reich beschäftigen, muss versuchen den Schülern zu zeigen, mit welchen Instrumenten man Massen hinter sich bekommt. Sie selbst kann es heute eigentlich noch nicht nachvollziehen, wie diese Bewegung die Macht an sich gerissen hat und wie Adolf Hitler zum Idol der Massen aufgestiegen ist.

      Er hatte hier in Deutschland die Popularität eines Papstes Benedikt, eines Thomas Gottschalk, Franz Beckenbauer und Peter Maffay zusammen. Unvorstellbar, wie will man sowas vermitteln?

      Ein ganzes Volk richtet sich freiwillig auf den Willen des Führers aus, noch nicht einmal ein Gesetz zwang sie dazu.

      Doch, entscheidend war sicherlich, dass keine andere Meinung seit Monaten, später Jahren, mehr zu hören gewesen war. Die Opposition saß im Knast, Konzentrationslager nannten sie es.

      Der persönliche Eid der Wehrmacht auf den Führer nutzte die Gottgläubigkeit der Menschen aus, obwohl gerade die Nazis damit nichts am Hut hatten und das Schicksal bemühten.

      Natürlich war hier auch die alte Weisheit am Werk, dass ein voller Bauch vor der Freiheit kommt. Hitler brachte nach der Weltwirtschaftskrise Arbeit und Einkommen. Wen interessierte es schon, ob die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen volkswirtschaftlich zu vertreten waren?

      Noch heute versteht das ja kaum einer, sie selbst auch nicht.

      So, liebe Veronika, dann mache bitte aus diesen Erkenntnissen eine spannende, pubertierende Schüler interessierende Unterrichtsstunde.

      Alternativ kann sie ein Video zeigen aus der Reihe: Wir Deutschen: Das dritte Reich. Es steht in der Bibliothek des Laptops. Sie braucht nur am Pult die Stecker des Beamers einzustecken und die 45 Minuten Geschichtsunterricht sind abgedeckt.

      Sie fährt ihren Laptop herunter.

       8.

      Christian sitzt mit seiner Gitarre im Arm in seinem Arbeitszimmer.

      Heute will er wieder an seinem Reisebericht über die Inseln im Thyrrenischen Meer, Sardinien und Korsika weiterarbeiten.

      Die Tonaufnahmen vorgestern sind gelungen, soweit man davon bei seinem Amateurniveau reden kann. Natürlich ist er kein ausgebildeter Schauspieler, nie hat er Sprachunterricht erhalten, aber in seinen Beratungs- und Verkaufsgesprächen bei der

      Bank hatte er sich schon bemüht, allein durch den Klang seiner Stimme, durch betont deutliches Sprechen und Akzentuierung, Erfolg zu erzielen.

      Heute will er mit dem letzten Schritt dieser Filmemacherarbeit beginnen, mit der Hintergrundmusik.

      Er weiß, viele Amateure, die ihre Videos vertonen, lassen hier irgendwelche Musik ablaufen und fertig, er weiß aber auch, dass über die Filmmusik ein ganz wichtiges Element der Information abläuft. Während die Texte alleine den Verstand ansprechen, die Bilder großenteils auch, - nur manche werden durch ihre Ästhetik unmittelbar vom Gefühl aufgenommen -, wendet sich die Hintergrundmusik alleine an das Unterbewusstsein. Sie erzeugt Spannung, Trauer, Freude, Skepsis, Humor, je nachdem, was der Reisebericht gerade erzählt und transferiert.

      Nicht umsonst sind Filmmusiken oft berühmt geworden. Er denkt an die Mundharmonikamelodie aus: Spiel mir das Lied vom Tod.

      In dieser Phase der Arbeit ist Feeling angesagt, ein Gefühl, ein Händchen für die richtige Musikauswahl. Dazu muss er sich selbst erst einmal auf einen gewissen sensitiven Level bringen. Am besten kann er das mit Musik, mit seiner Gitarre.

      Christian spielt einige Songs der Beatles, Yesterday, Let it be und Norwegian wood. Er liebt diese Musiker noch heute, 42 Jahre, nachdem sie sich getrennt haben. Dann John Lennons Imagine, bei dessen Melodie es ihm immer noch kalt den Rücken runter läuft. Nur diese gefühlvollen Lieder braucht er jetzt, um sich hochzubringen in eine Gefühlswelt, wo er die richtige Melodie für die richtigen Bilder empfindet. Er spielt noch drei Songs von Leonard Cohen, dem kanadischen Liedermacher, Suzanne und Marianne, und zum Abschluss sein wahnsinniges Halleluja.

      Während seinem Gitarrenspiel und seinem Gesang hat er bereits den Laptop hochgefahren und das Programm von > Fotostory < hochlaufen lassen.

      Die Arbeit kann beginnen. Er lässt jeweils eine Erzählpassage in der Vorschau ablaufen und sucht dann in seiner riesigen Musikbibliothek nach dazu passenden Songs oder Melodien. Auch eine ganze Reihe rein instrumentaler Aufnahmen stehen zur Verfügung, auch selbst gespielte, die er mit seinem DR2 - Aufnahmerecorder aufgenommen hat. Auch einige Liveaufnahmen von unterwegs sind dabei.