Emmi Watson

Aufgestaute Sehnsucht und Vertrautheit


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war.

       Mitten in unsere ausgelassene Stimmung hinein musste ich plötzlich an

       Maria denken. Sofort bemerkte Vanessa die dunklen Wolken um meine

       Stirn.

       "Was ist, habe ich was Falsches gesagt"? wollte sie sofort mit besorgter

       Mine wissen.

       "Nein, nein. Es ist nur...wir hätten das wirklich nicht tun dürfen"!

       "Was nicht tun dürfen"? ein ungläubiger Blick traf mich.

       "Nun was wir heute Nacht getan haben". Vanessa rang sichtlich um

       Fassung.

       "Verstehe mich bitte nicht falsch, ich weiß schon noch was bei unserer

       letzten Party passiert ist. Aber das gibt mir doch nicht das Recht,

       mein Versprechen ebenfalls zu brechen. Dadurch wird doch nichts

       richtiger oder besser":

       Vanessa schaute mich noch immer wie ein Alien an. "Ich glaube du meinst

       das wirklich ernst!" Legte sie dann los. "Weist du eigentlich wirklich

       nicht was los ist? Weist du wirklich nicht, dass das mit Bernd und

       Maria schon lange vor dem Weinfest losging? Dass die ganze Show nur

       inszeniert wurde, um UNS zu verkuppeln? Hast du dich wirklich nicht

       gewundert, dass die beiden beruflich so viel um die Ohren hatten und

       keinen Urlaub nehmen konnten"?

       Wie vom Donner gerührt saß ich mit offenem Mund da, während die

       Argumente wie von einer Stalinorgel abgefeuert, auf mich

       niederprasselten. Völlig entsetzt wackelte mein Kopf, wollte nein

       sagen, Nein, nein, nein dass kann alles nicht sein!

       Vanessa stand in der Zwischenzeit vor mir, sah mich an. Auch ihr Gesicht

       drückte Entsetzen aus.

       "Das hast du alles nicht gewusst"? fragte sie ungläubig. Wieder konnte

       ich nur den Kopf bewegen.

       "Das tut mir so leid Werner, ich dachte du wüsstest ES inzwischen". Mit

       ehrlichem Mitleid schaute sie mir in die Augen, aus denen ich fast

       nichts mehr sah, so feucht waren sie inzwischen. Ich sackte innerlich

       zusammen. Es war der Schmerz, dass meine bedingungslose Liebe zu Maria

       so hintergangen wurde. Dass sie Bernd vögelte habe ich ertragen können,

       doch dass das alles, dieser Betrug von so langer Hand vorbereitet war

       erschütterte mich. Ich kam mir so naiv, so vertrottelt vor. Oder traf

       mich die Tatsache mehr, dass ich auch nicht so viel besser war, mich

       habe gehen lassen? War das nur Naivität, gepaart mit unglaublicher

       Arroganz?

       Vanessa strich mir zart durchs Gesicht. "Du bist so unglaublich naiv. Du

       bist so naiv, dass du unglaublich süß bist." Mit zarten Küssen bedeckte

       sie mein Gesicht.

       Ich fand meine Fassung wieder. "Hey, stopp! In den Kitschromanen ist das

       immer anders herum, da tröstet der Held die zarte schwache Frau". "Du

       bist doch mein Held Der Held ist doch immer der, der mit

       unerschütterlichem Vertrauen dem Schwachen zur Seite steht": "Wo bist

       du denn schwach"?! "Im Vertrauen zu Bernd. Da bewundere ich dich, wie

       du zu deinem Versprechen stehst". Dann erzählte Vanessa wie sie hinter

       das falsche Spiel der beiden gekommen ist, dass es schon seit der

       letzten Weihnachtsfeier geht und sie dachte, ich wüsste es genauso wie

       sie auch. Erste Zweifel kamen ihr, als ihr Bernd bei der Grillparty

       andeutete, dass sie mich verführen sollte, doch war es für sie einfach

       unvorstellbar, dass jemand so naiv sein konnte wie ich. Sie dachte ich

       wäre so unglaublich schüchtern.

       Das alles zog mir den Boden unter den Füssen weg. Ich war ohne Halt,

       taumelte völlig orientierungslos durch meine Gefühlswelt, verzweifelt

       nach einem Fixpunkt suchend.

       In den darauf folgenden Gesprächen mit Maria verlief alles sehr knapp

       und emotionslos. Wir einigten uns auf die Trennung, einen sauberen

       sachlichen Schnitt um so schnell wie möglich die Scheidung zu

       vollziehen.

       Ich zog aus, ein paar Kilometer weiter in eine kleine Mietwohnung und

       bekam über Maria mit, dass Bernd zu ihr zöge, Vanessa ebenfalls

       weggezogen sei.

       Vanessa! Nach jenem Sonntag war ich völlig durch den Wind. Ich dachte

       hin und wieder an sie, doch fand ich einfach keinen Platz um sie

       gefühlsmäßig einzuordnen. Ihre Scheidung muss wohl in einem Hauen und

       Stechen ausgeartet sein, so dass sie eher geflüchtet als ausgezogen

       ist. Als noch Gelegenheit war, ihre Adresse herauszufinden war ich zu

       sehr mit mir selbst beschäftigt und dann war sie weg. In keinem

       Telefonverzeichnis oder sonst wo, fand ich einen Hinweis, es war zu

       spät!

       Zu der Zeit wusste ich noch nicht, dass Yin und Yang nicht einfach zu

       trennen ist. Die Lektion hatte ich noch zu lernen. Zu einem Zeitpunkt,

       der völlig unerwartet und unvorbereitet auf mich warten sollte.

      Alle werden älter

      Nicole ärgert sich über den Anflug von Melancholie. Schon eine Weile sitzt sie mit Karsten abseits von der fröhlichen Runde. Sie verpasst dem Mann ausgelassen einen kleinen Knuff und protestiert:

       "Tust ja, als wärst du ein alter Mann!"

       Karsten verteidigt sich: "Immerhin, schon ein bisschen deprimierend, so ein Klassentreffen nach 16 Jahren. Alle haben sich ganz schön verändert."

       Er langt in die Tasche und lässt die Autoschlüssel am Zeigefinger baumeln.

       "Du willst doch nicht etwa wirklich fahren mit deiner Fahne?" erschrickt die Frau.

       "Ich muss! Du weisst, ich habe kein Zimmer mehr bekommen."

       "Mach keinen Quatsch...dann schlaf schon lieber bei mir. Ich hab ein Doppelzimmer."

       Als die Worte raus sind, bereut sie Nicole bereits, denn was aus seinen Augen blitzt, das ist eindeutig. Sie weiss, dass er bereits auf der Penne in sie verliebt war. Sanft streift sie seinen Arm und warnt: "Mach dir keine falschen Vorstellungen. Du weisst, dass ich mit Männern nichts anfangen kann."

       Wehmütig steht Karsten sofort vor Augen, wie sehr er sich um dieses Mädchen bemüht hatte. Die Freundin an ihrer Seite war stets ein unüberwindliches Hindernis, schon während der Schulzeit und auch später beim gemeinsamen Studium. Sicher nicht der einzige Grund, warum er noch immer Single ist, aber ein wenig vielleicht schon.