solle meinen Po hochheben, denn sie will mir die Hosen runter ziehen.
„Isch g’fall dir so!?“ Denn da ragt jemand kerzengerade in die Höhe.
Nachdem sie ihn ausgiebig geküsst hat, schmiegt sie ihre Bluse um ihn herum.
Ihre blauen Augen blitzen mich an und sie beginnt eine sanfte Massage.
„Was Warmes und Feuchtes muscht ma gebe. Isch trag‘ des denn auf meine Haut!“
Wieder habe ich Tagetes-Duft in der Nase und mir ist so leicht und so wohlig warm.
„Das war nicht schlecht!“ Er reißt mich unsanft aus diesem Erlebnis.
„Ich muss kurz etwas erledigen. Schlafen Sie ruhig.“
Als befände sich meine Ruhestätte auf den labilen Planken eines Bootes, so kommentiert dieser kleine Raum seinen Abgang hinunter, wohin auch immer.
Lautlose Blitze erleuchten stroboskopartig das Fenster. Sein Finger scheint immer noch auf meiner Stirn zu sein.
Die sechs Fahrspuren der Kaiser-Wilhelm-Straße in Lankwitz bilden sonntags eine komplett übertriebene Dimension für diese Verkehrsader.
Das Essen in den Zoo-Terrassen war bieder und geschmacklich ein Kantinenfraß. Die Champignonrahmsauce über dem Rehbraten brachte es fertig, den Fleischgeschmack komplett zu ersticken. Und mir ist zum Ersticken hier im elterlichen Mercedes, in dem wir von Lankwitz Kirche aus, um nach Hause zu gelangen, über die Kaiser-Wilhelm-Straße fahren müssen.
Vater sitzt am Lenkrad, Mutter residiert daneben und ich finde hinten neben Schwesterlein statt.
Mutter duldet keine geöffneten Fenster. Es könnte ja ziehen! Sie prägte diesbezüglich eine imaginäre Fischsuppe: die der Raubfische eines Teiches, die famose Hechtsuppe.
Eine rote Ampel gebietet Halt an der Kreuzung Seydlitzstraße.
Meine Schwester will im Radio ein Lied von Esther Ofarim hören.
Meine Mutter würde gerne die Brunsteins, unsere Nachbarn, nächste Woche nach Hause zum Tanzen einladen und Vater? Der will nur nach Hause, um im Souterrain an seiner elektronischen Orgel, der Marke Wersi, basteln zu können.
Vorne rechts ist ein großes Gartenbedarfsgeschäft. Ein Paar, Hand in Hand, überquert eben von dort kommend die Kaiser-Wilhelm-Straße.
Wir fahren weiter und nähern uns den beiden, die inzwischen in der Mitte des Fahrdammes auf den Gegenverkehr warten müssen.
Wind und vorbeifahrende Autos lassen das türkisgelbe Sommerkleid der jungen, blonden Frau auffällig im Gleichklang mit ihren schulterlangen Haaren wehen. Grazil, fast wie eine Elfe steht sie neben ihrem dunkelhaarigen Freund. Die Szene erscheint mir wie die Hochglanzwerbung eines Kosmetikprodukts, gedreht an einem Promi-Ort und das auch noch in Zeitlupe. Inmitten des Verkehrs schlingt sie ihre Arme um ihn und küsst ihn. Was würde ich gerne mit ihm tauschen und ihn hier hinten in diesen Wagen verbannen.
Seit Ostern diesen Jahres gehe ich in die zehnte Klasse des
Tannenberg-Gymnasiums. Doch ich brauchte bis jetzt, bis praktisch zum Ende dieses Sommers, bis ich hier kurz hinter der Kreuzung Kaiser-Wilhelm-Straße Ecke Seydlitzstraße bemerken kann, wie schön Evelyn, meine Klassenkameradin, ist!
„Was hast du denn die ganze Nacht so getrieben, dass ich dir am liebsten zwei Streichhölzer für die Augen spendieren würde?“
Ich sitze in der Reihe am Fenster, hinter Angela und Evelyn.
„Was für Streichhölzer?“
Es ist nicht zu leugnen, ich bin saumüde.
„Hast wohl die ganze Nacht nur an Angela gedacht, oder?“
Evelyn blitzt mich von schräg vorne unverschämt keck an. Doch nach dieser Bemerkung fängt sie sich einen sanften Hieb in ihre Taille ein. Angela mag keine öffentlichen Bekundungen, die an die Ereignisse der Klassenfahrt nach Kusel erinnern. Seit Langem geht sie mit Knut und auch die Zukunft plant sie mit ihm. Seitenlang haben wir nach besagter Klassenfahrt Briefchen ausgetauscht. Sie, indem sie mir detailliert alle alltäglichen Kümmernisse über ihre Beziehung mit Knut kundtat, und ich, immer noch nostalgisch schwärmend, denn die Zweisamkeit mit ihr auf der Klassenfahrt ging mir sehr nahe.
Wir wohnten in der Jugendherberge Thallichtenberg. Eine Burgruine, die auf einem Hügel in der Nähe von Kusel gelegen ist. Von dort aus unternahmen wir lange, bis sehr lange Busfahrten zum Beispiel nach Kaiserslautern, Straßburg, Idar-Oberstein und sogar bis nach Brüssel. Herr Schwarz, unser fast täglicher Busfahrer, ließ Radio Luxemburg an unsere Ohren und der Dauerbrenner dieser Tage, eine Vorveröffentlichung aus dem neuen Beatles-Album Abbey Road, mit dem schönen Titel Come Together, hatte uns auch tatsächlich sehr nahe zueinander kommen lassen. Speziell auf den Rückfahrten im dunklen Bus ließ es sich hervorragend knutschen. Angela besaß eine süße kusserprobte Schnute und gerade nach diversen Weinproben, die die Gegend entlang der Mosel für uns bereithielt, fiel sie mit ihren samtenen Lippen derart über mich her, dass wir beide dann spät abends auf der Burg ankommend, gewisse Überanstrengungen in unserer Gesichtsmuskulatur zu beklagen hatten, was wir natürlich niemals öffentlich taten.
Auf der Heimfahrt nach Berlin nahm mir Angela pünktlich an der Grenze zu West-Berlin unsere traute Zweisamkeit. Am Wochenende zuvor hatte die SPD die 69er Bundestagswahl gewonnen und die NPD war im Gebiet von Kaiserslautern über die Fünfprozenthürde gekommen.
Unsere Verliebtheit hatte mit dem Ende der Klassenreise zu enden, denn sie wollte bekanntlich ihre Beziehung zu Knut nicht gefährden. Schließlich hatte sie mir das auch während der Fahrt immer wieder eingebläut, dass das hier eine große Ausnahme und sie noch nie untreu gewesen sei.
Natürlich hatte Evelyn davon Wind bekommen, denn unsere Zettelkorrespondenz ließ sich schwerlich vor ihr verheimlichen.
Statt dem Unterricht zu folgen, bin ich gerade in das Ende eines Briefs von Angela vertieft.
Hubert, ich habe schon wieder eine Bitte an Dich: Könntest Du mir die Platte „Nights in White Satin“ noch einmal borgen. Sie gefällt mir so gut! Kannst Du mir diese Bitte erfüllen? Tja, lieber Hubert, die Bauchschreiberin, die übrigens heute nicht auf dem Bauch schreibt, verabschiedet sich jetzt. In der Hoffnung, dass mon Copain nicht sooft traurig ist, grüße ich Dich freundschaftlich, Deine Angela.
Ich schaue auf und überlege nicht lange. Streichhölzer möchte ich eigentlich nicht von Evelyn.
„Und wenn ich nun von dir geträumt hätte?“, entfährt es mir, in Anspielung auf ihre Behauptung, dass ich mir die vergangene Nacht mit Träumereien über ihre Platznachbarin um die Ohren geschlagen hätte.
Wie in Zeitlupe dreht sie sich um. Evelyns Augenpaar scheint für eine Ewigkeit auf mir zu haften.
„Fräulein Barz! Warum hat Strapinski die Grafenrolle weiter gespielt?“ Fräulein Hirche schaut sehr tadelnd in unsere Richtung.
Gottfried Keller und seine Leute, die Kleider machen, sind nicht unbedingt unser literarischer Kick, aber geistesgegenwärtig antwortet Evelyn:
„Wenzel träumt jede Nacht von ihr!“
„Was meinen Sie damit, Fräulein Barz?“
Evelyn merkt, dass sie da etwas durcheinander gebracht hat.
„‘Tschuldigung! Wenzel liebt Nettchen und wollte darum der Graf bleiben, um Eindruck zu schinden.“
Fräulein Hirche, längst äußerlich im Pensionsalter, scheint beruhigt. Nicht nur auf der Klassenfahrt war sie oft Ziel pubertären Schabernacks. So ließ ich mich mit Draculagebiss in Drohgebärde hinter ihr fotografieren.
„Hast du?!“, zischt sie mich an.
„Ach Evchen, was soll ich denn haben?“
Ich weiß, dass sie es hasst, Evchen genannt zu werden.
Die Pausenklingel reißt uns aus unserer kleinen Fragestunde und rettet mich vor