Ernst von Wegen

Der Nackt-Scanner


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      *

      Am Abend wollte Katja den „Stand der Dinge“ erfahren.

      „Wie meinen?“

      Ja, nun, wie weit die Geschichte gediehen sei?

      „Ach“ sagte ich, „irgendwie ist das doch nicht mein Ding. Mangels anderer Einfälle musste ich wieder auf Claudia zurückgreifen.“

      „Nun spann mich nicht auf die Folter, lies vor!“

      Katja lachte sich schlapp:

      „Die hüftsteife Claudia von hinten, entzückend!“

      ‚Von wegen Hüftsteif‘ dachte ich, ‚Wenn du wüsstest! ‘

      „Nun lies schon vor“ sagte Katja, „ich bin gespannt, wie du das aufgelöst hast.“

      Lachend über die „arme Claudi“ die nicht wüsste, wie wir sie durch den Kakao zögen, spielte Katja die hüftsteife Claudia, bot mir ihren Hintern und gluckste vergnügt:

      „Lass uns das eins zu eins nachvögeln“. Ich nahm all meine Kräfte zusammen und vögelte die Szene nach, eins zu eins. Danach war mein Pulver vollends verschossen, todmüde fiel ich in den Schlaf, zwei, drei Stunden lang - bis das schlechte Gewissen wieder seine Nachtschicht begann.

      *

      In den nächsten Tagen lauerte ich schon im Hof oder in der Garage auf den Wagen, der Nachbars Essen brachte. Ich schob es darauf, dass ich unsere Affäre weiterhin „literarisch“ verarbeiten wollte, auch auf den Reiz des Neuen, tatsächlich aber suchte ich insgeheim was ganz anderes: diese verstörende Selbstvergessenheit unseres ersten Seitensprungs, das zeitweilige Aussetzen des Verstandes! Das erschreckte und reizte mich gleichermaßen.

      Aber auch Claudia kam auf den Geschmack, mit jeder Nummer wurde sie selbstsicherer. Nach einer Woche hatten wir alles durchgenudelt, wofür der arme Othmar nicht zu haben war, alles, was mit unseren nicht eben zirkusreifen Körpern möglich war, aber den Wahnsinn des ersten Mals haben wir nie wieder erreicht: nicht den gleichzeitigen Orgasmus und auch der Kontrollverlust, diese völlige Auslieferung ans Gefühl gelang mir nicht mehr. Vorerst nicht mehr.

      Erreicht hatten wir immerhin etwas anderes: Aus der pummelig-süßen Claudia, aus everybody‘s Darling, die es immer allen und jedem hatte recht machen wollen, so dass sie selbst stets zu kurz gekommen war, aus jener naiven Claudia wurde eine selbstsichere Frau, die endlich wusste, was sie wollte und ihren Weg ging. Sie ließ sich scheiden zog in eine große Stadt in den Süden, machte dort ihren eigenen Erotikshop auf, war sehr erfolgreich damit, lernte einen potenten Polizeitaucher kennen, der Seen und Flüsse nach Leichen und anderen Delikten abtauchte. Sie heiratete ihn und seither betauchen die Beiden alle sehenswerten Riffs dieser Welt. Mehrmals bekamen wir eine Ansichtskarte mit lieben Urlaubsgrüßen und einem anspielungsreichen „Danke für alles“ von unserer Freundin Claudia.

      Ohne Claudia Springer erschöpfte sich meine erotische Phantasie rasch wieder. Die Trennung von Othmar und ihr plötzlicher Weggang waren natürlich das Gespräch im Bekanntenkreis. Von: „Man hat ihnen nie was angesehen!“ bis „Ich hab’s schon immer gewusst“, gab es alle Kommentare. Am häufigsten hörte man: „Aber die Trennung kam dann doch sehr plötzlich!“

      Süß, oder?

      Trennungen kommen immer plötzlich, zumindest für die Außenstehenden. Weil man ja seine Beziehungskämpfe zu Hause im stillen Kämmerlein ausficht. Da kann es mitunter recht laut werden im stillen Kämmerlein. Zusammenraufen, nennen sie das, tatsächlich!

      „Wir mussten uns auch erst zusammenraufen.“ - Mit diesem dummen Spruch trösten kampferprobte Ehepaare ihre jüngeren Leidensgenossen, wenn es mal richtig kracht.

      Glauben Sie mir eins: Zusammenraufen funktioniert nicht!

      Über den Kampf in die Harmonie zu gelangen, das wird nix! Zusammenraufen ist das Dahinvegetieren einer Beziehung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Dabei bleibt am Ende für beide so wenig übrig, dass die Beziehung entweder zerbricht oder beide in diesem Minimum emotional verdorren.

      Claudia und Othmar Springer hatten es sieben Jahre lang verstanden, den Kampf um ihre Ehe geheim zu halten; vor ihren Familien, vor ihren Freunden und vor allem sich selbst. Die Maxime ihrer Beziehung war, allen vorzugaukeln, es wäre alles prima! Wahnsinn, oder? Da wissen zwei Leute, dass sie nicht zusammenpassen, sagen sich aber sieben Jahre lang: wir müssen uns erst zusammenraufen! Gut, nun hatten sie es endlich geschafft. Othmar heiratete bald nach der Scheidung seinen „dürren Hungerhaken“, die Inhaberin eines Reformhauses in der Fußgängerzone. Sie machen jedes Jahr zwei Mal Urlaub: im Frühling Wandern auf Rügen und im Herbst geht’s zur Weinlese nach Südtirol: ein glückliches Paar, das Regelmäßigkeiten braucht und sich vom Triebleben nicht allzu sehr bedrängen lässt.

      Ich hingegen überlegte, ob ich meiner Katja wirklich alle meiner Reifeprüfungen anvertrauen sollte, denn meine liebe Frau wollte mittlerweile alle meine „Einfälle eins zu eins nachbumsen.“ Jeden Tag Doppelschicht, das hält der stärkste Mann nicht aus! Mit meiner Abhandlung über die Sprache als Gefühlsventil zeigte ich ihr, dass ich trotz meiner Ausflüge ins Schmuddelfach nach wie vor die, wie sie mich gerne nannte, „die Vernunft auf zwei Beinen“ blieb. Katja dagegen ließ sich gerne anstecken von dem flapsigen Ton, den ich in meinem Erotik-Roman anzuschlagen versuchte und schien den Reiz zu genießen der im sprachlichen Übertreten der Anstandsgrenze lag. Mit einem trotzigen Funkeln in den Augen sprach sie das aus: „...eins zu eins nachbumsen!“ Auch Wörter wie „vögeln“ oder „Möpse“ schienen sie zu stimulieren und sogar das harte Wort ficken sprach sie ohne Scheu aus. Darauf angesprochen sagte sie, sie wolle mich damit in meiner Arbeit unterstützen. Alles im Sinne der Kunst also, nun denn!

      Kapitel 3

      Meine Affäre mit Claudia reichte natürlich nicht als Stoff für ein ganzes Buch. Doch es war ein Einstieg, wie ich ihn nicht mal zu erträumen wagte. Unser Trost- und Selbstfindungssex machte mir Mut, den ich beim Genrewechsel bitter nötig hatte. Und ganz nebenbei erkannte ich, warum meine „verkopften“ Romane so spröde gewesen waren: Bislang hatte ich meine Figuren ausschließlich von ihrer geistigen Beschaffenheit her konzipiert. Und deshalb blieben sie auch Figuren: blass und leblos, irgendwie unfertig. Weil der Geist eben nur ein Teil des menschlichen Wesens ist. Der kleinere Teil, wie jeder Blick auf das Treiben der Menschheit zeigt. Ich musste auch den Löwenanteil, ich musste die Gefühle sprechen lassen! Denn wovon lebt denn ein Roman? Vom Konflikt! Die Vernunft dagegen versöhnt. Nur Gefühle steuern immer wieder verlässlich auf Konflikte zu, wie blöde Schmeißfliegen gegen die Fensterscheibe.

      Diese ersten Erkenntnisse machten mir Mut - für den Anfang, wie gesagt, zufriedenstellend.

      Glücklicherweise blieb mein kurzes und heftiges Abenteuer mit Claudia nicht unbeobachtet und somit auch nicht ohne Folgen.

      Wir wohnten damals in einem Sechsfamilienhaus, dem letzten in der Parkstraße, die vor unserm Haus in einen kleinen freien Platz mündete und am anderen Ende als Fußweg in den Stadtpark führte. Der Platz wurde vom Haus, der Garagenreihe und einer hohen Hecke wie ein U eingerahmt und wurde von den Hausbewohnern einfach „der Hof“ genannt.

      Der Stadtpark war sehr beliebt bei Spaziergängern und Radfahrern, Joggern, Hundebesitzern und Liebespaaren, Rentnern und Müttern mit Kindern. Weil die Parkstraße die kürzeste Verbindung zwischen Stadtkern und Stadtpark war, kamen die meisten Parkbesucher an unserem Haus vorbei. Wann immer mein Schreibfluss stockte, ein Gedankengang sich sperrte, ein Wort sich verweigerte, schaute ich aus dem Fenster und folgte den Pilgern des Müßiggangs mit meinen Blicken ins Grüne. Vom zweiten Stock aus konnte ich sehen, wie sie erst hinter der Hecke verschwanden, dann vor dem Blumenrondell am Parkeingang wieder auftauchten und sich dann in der Weite des Parks verstreuten. Ich sah spontane, sporadische Besucher, die zwei, drei Mal die Woche in den Park gingen, andere kamen täglich, aber zu unterschiedlichen Zeiten. Und es gab die Regelmäßigen, nach denen man die Uhr stellen konnte. Zu ihnen gehörten