David Poppen

Der Kuss des Mörders


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      „Amelie?“

      „Ja?“, meinte ich, und hob den Kopf.

      „Woran denkst du?“, fragte Leon, und blickte mir in die Augen.

      Mein Assistent sah eher gut als klug aus. Er war über einsneunzig groß, hatte kräftige Hände, und einen ungeheuer breiten Brustkorb unter der maßgeschneiderten schwarzen Lederjacke.

      „An unseren neuen Fall“, antwortete ich. „Die tote Marie Rechenberg.“

      „Okay, haben wir bereits die Akten bekommen?“

      Wir saßen an unseren Schreibtischen in meinem Münchner Büro am Gärtnerplatz. Aus dem Vorzimmer konnten wir die laute Stimme von Anna hören, die ein Telefonat führte. Außer diesen beiden Räumen gab es noch ein Besprechungszimmer, einer Teeküche und den Nasszellen. Mein Hauptklient war die Munich Life AG, der drittgrößten Versicherung in Bayern.

      „Ja.“

      „Hä?“

      „Ich habe die Akten, Leon“, sagte ich, und hielt einen reichlich dünnen Schnellhefter hoch. „Marie Rechenberg wurde mit einem Zyankalipräparat ermordet. Das Gift war auf sofort wirksam. Kriminalhauptkommissar Albrecht Schubert und Kriminalmeister Peter Bach vom Kommissariat K 11 bearbeiten die Sache.“

      „Aus dem Dezernat 1 in der Hansastraße?“

      „Ja.“

      „Kennst du die Männer?“

      „Ich hatte bereits mit Schubert zu tun, ein sehr guter und gewissenhafter Ermittler.“

      „Was bleibt da für uns zu tun?“, wollte Leon wissen.

      „Wir sollen für die Munich Life die Löcher im Schweizer Käse finden.“

      „Also hinter der Kripo herlaufen?“

      „Kluges Köpfchen“, erwiderte ich, und blätterte durch den dünnen Schnellhefter. „Klein Maries Leben war für die Winzigkeit von einer Million Euro bei der Munich Life versichert.“

      „Wer soll die Million bekommen?“

      „Doktor Paul Schöneck, Vorstandsmitglied der Muggenthaler Chemie AG.“

      Er hatte mit ihr geschlafen, in der Nacht ihres Todes. Ziemlich gründlich, wie der Obduktionsbefund dem Zustand ihres Afters entnahm. Außerdem ließen gewisse andere Details darauf schließen, dass Paul Schöneck recht potent sein musste.

      Ob mir der Mann mal über den Weg laufen würde?

      Wissen Sie, ich mag Sex. Und ich mag potente Männer. Weiß der Himmel, mit macht es eigentlich immer erst nach dem zweiten Orgasmus so richtig Spaß. Zuerst will man den Druck weghaben, dann beginnt man sich zu erforschen. Beim dritten Mal schließlich klappt es meistens mit der Zärtlichkeit.

      Tja, also Paul Schöneck, Vorstandsmitglied der Muggenthaler Chemie AG, seit zwei Jahre der heimliche Geliebte von Marie Rechenberg. Was wohl die Ehefrau dazu sagte?

      Die Ärzte hatten festgestellt, dass sie ihm unter den Händen – sprich Penis – gestorben sein musste. Und das war, so schlimm es klang, sein Glück. Denn wie verabreicht man einer Frau ein sofort tödlich wirkendes Gift während der Ejakulation?

      Gegen Abend kehrte Leon ins Büro zurück. Als ich ihn hereinschlendern sah, schwante mir nichts Gutes. Und als er sich über meinen Schreibtisch beugte, lässig grinsend, wusste ich Bescheid.

      „Du musst wieder ran“, meinte er lächelnd.

      „Was meinst du?“, fragte ich.

      „Du wirst morgen als Marie Rechenbergs Nachfolgerin bei der Muggenthaler AG vorsprechen.“

      Na bravo!

      „Wie ging das denn?“

      „Haben die Bosse von der Munich Life gedeichselt.“ Leon zuckte die Achseln. „Sie empfahlen das unschlagbare Organisationstalent Amelie Wagner über drei Ecken dem Oberboss Vincent von Muggenthaler. Und da Vincent ein geiler Zausel ist, wird er dich garantiert nehmen. Er liebt Frauen, die sexy sind, und sein Gegrabsche als Pforte zur Seligkeit betrachten.“

      Ich verstand, und nickte mit dem Kopf. Verdeckte Ermittlungen waren ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit.

      Am besten, ich zog einen schmalen String unter meinem Rock, morgen, beim Vorstellungsgespräch in Vincent von Muggenthalers Büro.

      3

      Am Montag, den zwölften August, pünktlich um neun Uhr, saß ich „Zausel“ Muggenthaler an dessen gewaltigem Schreibtisch gegenüber. Mein kurzer Rock entblößte fast die komplett Länge meiner Beine, dazu trug ich eine enge Bluse, deren Knöpfe durch meine festen Brüste fast gesprengt wurden. Unter diesen Umständen hatte Geilfinger Muggenthaler keine Chance.

      „Äh, also... Frau Amelie Wagner. Hm...“

      Eigentlich tat er mir leid. Seine zerknitterten Wangen zuckten, der schlohweiße Haarbusch sträubte sich erregt. Unentwegt fuhr seine Zunge von Mundwinkel zu Mundwinkel. Zwischendurch nuckelte er an seiner klobigen Zigarre, aber viel half ihm das auch nicht.

      „... ja. Selbstverständlich müssen wir Marie Rechenbergs Stelle neu besetzen. Die arme Marie...“

      Er starrte auf meine nackten Oberschenkel, versuchte einen Blick unter meinen Rock zu werfen, und schluckte.

      „Sie haben von... von, äh... davon gehört?“

      Ich ließ den Rock unauffällig höher rutschen, und stellte die Beine leicht auseinander.

      Der Vorstandsvorsitzende beugte sich vor und schluckte trocken. Beinahe hätte er die Zigarre ins linke Nasenloch gesteckt, vor lauter Gier und unterdrückter Aufregung.

      „Ja, was davon in den Zeitungen...“

      Der Satz blieb unbeendet.

      Vincent von Muggenthaler riss sich zusammen, klemmte die Zigarre zwischen die Mäusezähne, und leckte mit der Zunge über seine Lippen.

      „Ja, schlimm“, sagte er. „Aber das Leben geht weiter. Und Ihre Zeugnisse sind ausgezeichnet, Frau Wagner, ganz ausgezeichnet...“

      Klar, die Munich Life versteht sich auf solche Tricks. Sonst wäre sie auch kein so erfolgreiches Unternehmen geworden.

      „Ja. Was dachten Sie als Gehalt, äh?“

      „Viertausend.“

      Er würgte ziemlich lange an dem Brocken, so dass ich Zeit hatte, mir sein Büro näher anzusehen. Das Zimmer war groß und kahl, versprühte die Atmosphäre einer Bahnhofshalle. Die Ledergarnitur im fernen Hintergrund schien für zwei Dutzend Menschen ausgelegt zu sein. Hinter den dunkel getäfelten Wänden waren sicher überall Schränke, Safes oder zumindest luxuriöse Waschbecken, um sich nachher die verspielten Hände säubern zu können.

      „Äh. Viertausend?“

      „Ja.“

      „Das müsste ich erst, äh..., den Personalchef fragen, äh...“

      Seine linke Hand kroch über den Schreibtisch auf das Telefon zu, die rechte Hand führte die Zigarre an den lüsternen Mund. Ich betrachtete seine gekrümmten Finger mit den krallenhaften Nägeln, und konnte mir denken, was die an Brustwarzen anstellen würden.

      „Oder vielleicht doch nicht“, meinte er.

      „Wie Sie meinen.“

      „Ja. Mir gehört doch dieser Laden.“

      Er zog eine Schublade seines blitzblank aufgeräumten Schreibtisches auf, holte einen Stoß Papiere heraus, und begann darin zu blättern. Kurz darauf flatterte ein Blatt auf den Boden.

      „Verzeihung, Frau Wagner, aber...“

      Zausel, Zausel, ich hör dir trapsen!

      Gehorsam