David Poppen

Ermittlungen im Fernsehstudio


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Ihr Glück“, antwortete eine vertraute weibliche Stimme kühl. „Nur Ihr Glück und Ihr Wohlergehen."

      Er seufzte hörbar und wartete auf mehr.

      Aber die Vorstellung schien beendet zu sein.

      4

      Es war eine rastlose Nacht, auch nachdem sie ihn endlich in Frieden gelassen hatten.

      Das Zimmer, in dem man Sandoz untergebracht hatte, war nackt und fensterlos. Es hatte ein Becken und eine Toilette, was ihn an das Gefängnis erinnern ließ, in dem er vor Jahren mal gesessen hatte. Beide wurden mit schweren Druckknöpfen in Tätigkeit gesetzt, die an der Wand, über den eigentlichen Becken, angebracht waren. Das Waschbecken hatte keinen Wasserhahn, kam aus einem Loch im Porzellan. Die Toilette war eher ein Emaille-Eimer mit ein bisschen Wasser darin - keine Brille, die Installation in der Wand verkleidet. Selbstmordsicher.

      Er hätte fast laut aufgelacht, als er das Zimmer sah.

      Selbstmordsicher!

      Er hätte nicht die Kraft gehabt, Selbstmord zu begehen auch wenn er es gewollt hätte.

      Jetzt, als er auf der nackten Matratze des Riesenbettes lag - der einzige sichtbare Unterschied zwischen diesem Raum und einer Gefängniszelle - erwog er im Geiste den Gedanken des Selbstmords. Nicht ernsthaft, sondern mehr theoretisch. Die Höhlen seiner schlaflosen Augen starrten in die Leere.

      Und wie er so dalag, begannen sich Ereignisse abzuzeichnen, sich selbst zu rekonstruieren, und zum ersten Mal, seit er die Maschine auf dem windigen Franz-Josef-Strauß Flughafen in München verlassen hatte, konnte er sein Leben in einer vernünftigen Perspektive sehen.

      Alexander Sandoz. Ja, so hieß er. Es war ein Name, der täglich im Internet erschien und über eine Million Facebook-Freunde besaß.

      Und jetzt? Nackt. Entehrt. Irgendwo in Bayern in einem Raum eingeschlossen. Erschöpft, aber unfähig zu schlafen.

      Was kommt jetzt? Was konnte jetzt noch geschehen?

      Schließlich musste er doch eingeschlafen sein, denn als der Schlüssel sich im Schloss drehte und die Tür aufschwang, ruckte Sandoz hoch. Sein Gehirn kämpfte sich verzweifelt gegen den Wirrwarr seiner Gedanken und erinnerte ihn daran, wo er war und was sich ereignet hatte.

      Ein Mann und zwei Frauen kamen herein. Alle waren ziemlich jung, vielleicht Anfang Dreißig, und in Weiß gekleidet. Es hätten Krankenhausangestellte sein können.

      „Guten Morgen, Hr. Sandoz", begrüßte ihn eine der Frauen. „Haben Sie gut geschlafen?"

      Er antwortete nicht, sondern starrte sie nur ungläubig wegen dieser dümmlichen Frage an.

      Sie beließ es dabei und begab sich an ihre Arbeit. Während die beiden anderen an der Tür auf sie warteten, streifte sie geschäftig durchs Zimmer und hob die schmutzige Wäsche und die Handtücher auf, mit denen er gestern Abend seine Wunden gepflegt hatte.

      Er lächelte, besser gestimmt, denn er wusste, dass sie die Wäsche nicht gewechselt hätte, wenn dies ein Gefängnis wäre. Die Frau blickte ihn nicht an, hob nur die Sachen auf und ersetzte sie durch frische Kleidung, Handtücher, Waschlappen, Seife, Toilettenpapier.

      Dann ging sie hinaus, die beiden Begleiter folgten ihr, und hinter ihnen schlug die Tür ins Schloss.

      Wie in einem Krankenhaus. Oder einem Hotel.

      Sandoz lag auf dem Rücken auf dem Bett und dachte nach. Dann fiel ihm plötzlich ein ganz neuer Gedanke ein, der ganz nahe lag, auf den er aber noch nicht gekommen war.

      Ein Krankenhaus. Ein Hotel. Wie viele andere „Patienten“ oder „Gäste“ waren noch hier? Aus irgendeinem Grund hatte er angenommen, dass die gesamte Zeremonie der vergangenen Nacht auf ihn zugeschnitten war - aber wie dumm, zu glauben, dass ein Auftritt, der so viele Vorbereitungen erfordert hatte, nur für ihn, zu seinem Vergnügen oder zu seiner Qual inszeniert worden wäre! Irgendwo hier mussten andere Menschen - andere Opfer - sein.

      Und einen Augenblick lang fragte sich Sandoz, ob er nicht den Verstand verloren hätte. Vielleicht war das des Rätsels Lösung. Vielleicht hatte er das alles nur geträumt, was gestern passiert war. War er überhaupt in München? Oder hatte er das auch phantasiert?

      Nein. Er war sicher, dass alles so geschehen war, wie er es in Erinnerung hatte.

      Er stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Gedanken flogen durch sein Gehirn, zogen wieder ab, fügten sich nicht ineinander, gaben kein kohärentes Muster. Er wollte seinen Kopf packen, ihn still halten, zu verstehen versuchen. Aber es hatte keinen Zweck.

      Er ging zum Becken und schüttete sich kaltes Wasser ins Gesicht, dann erblickte er in der glänzenden Stahlverkleidung um den Knopf, der die Spülung auslöste, sein mitgenommenes Gesicht. Die Stahlverkleidung war das, was einem Spiegel in diesem Zimmer am nächsten kam, es war ein fünf Zentimeter breiter Streifen glänzendes Metall, der etwa auf Schulterhöhe über alle vier Wände lief. Er trat näher heran und sah sich einen Moment lang an und fragte sich, was der Metallstreifen wohl sollte. Er hob die Achseln und ging weiter auf und ab.

      Schließlich entschloss er sich dazu, sich auf den Lokus zu setzen, sowohl um sich auszuruhen, als auch, um seine Eingeweide zu leeren. Es schien, als ob seine Darmtätigkeit zusammengebrochen wäre. Die Diarrhöe stürzte heraus, Schweißbäche liefen seine Stirn herunter, die Ränder des Afters brannten empfindlich. Er fühlte sich elend, fiebrig, war unfähig, sich zu bewegen. Dutzende Male muss er den Spülknopf gedrückt haben, bevor er daran dachte, aufzustehen.

      Es war so plötzlich gekommen. Ein Zittern lief durch seinen Körper, und der Schweiß tropfte von seinem Gesicht herab, seine Beine waren zu schwach, um ihn zu tragen, sein Magen war aufgewühlt, und sein Gesicht verzerrte sich, als eine weitere Ladung aus ihm Schoß.

      Und dann war es vorbei. Wieder einmal griff Sandoz hinter sich, um die Spülung zu betätigen. Das Wasser, stark mit Chlor gemischt, rauschte unter ihm. Er griff nach dem Toilettenpapier. Dann zögerte er. Es war so dreckig, dass er den Arsch nicht abwischen wollte.

      Er knüllte so viel Papier zusammen, wie er glaubte, dass er durch den Abfluss bekommen würde, und tupfte damit leicht sein brennendes Arschloch ab. Es war kalt und nass und glitschig. Er ließ das Knäuel fallen, knüllte ein neues zusammen und wiederholte den Vorgang. Sein Blick huschte über das leere, sterile Zimmer.

      Auf dem Metallstreifen reflektierte etwas. Sonnenlicht? Nein, natürlich nicht. Es gab ja keine Fenster. Seine Augen verzogen sich zu Schlitzen, um besser sehen zu können, und er beugte sich nach vorn, bis seine Schenkel hart auf das kalte Porzellan drückten. Wieder bewegte sich etwas auf dem Streifen. Er strengte seine Augen an.

      Augen!

      Augen starrten ihn an, aber nicht seine eigenen.

      Augen!

      Jetzt, da er wusste, wonach er zu suchen hatte, inspizierte er das Zimmer. Aus allen möglichen Ecken des Metallstreifens - nein, kein Metall, ein Spiegelglasstreifen - starrten sie ihn an.

      Rasend drehte er den Kopf. Sie waren überall. Seit wann?

      Sie hatten ihm beim Scheißen zugesehen! Was sonst?

      Jetzt schienen sie über seine Verlegenheit, über seinen Zorn zu lachen.

      Fick sie. Fick sie! Er dachte, er würde wahnsinnig.

      Ein zwingendes Verlangen nach Zurückgezogenheit bemächtigte sich seiner. Er sprang auf und lief zur Wand, zu den Augen, und schlug dagegen. Er hob die Handtücher auf und versuchte, damit die Wände zu bedecken, dann wickelte er sie wie irrsinnig um seinen Körper.

      Er warf sich aufs Bett, um zu entfliehen. Und die Augen lachten noch mehr. Er stellte sich aufs Bett und drehte sich nacheinander in jede Richtung, hielt den Schwanz in der Hand und schrie:

      „Das wollt ihr doch, oder? Hier, seht ihn euch an! Seht ihr? Ein Schwanz! Das ist alles! Was wollt ihr?"

      Die Augen lachten ihn aus. Er