Niko Arendt

Chicago Affair


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6

      „Fahren Sie nach Hause. Machen Sie sich frisch.“

      Vollgepackt mit riesigen Tüten stand Sean, zusammen mit Bourdain, der lediglich die Autoschlüssel mit sich trug, auf dem Parkplatz. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, Sean zwei neue Anzüge, mitsamt Krawatte, Schuhe und Anstecktuch, sowie einer edle Abendgarderobe, die einer Oscarverleihung würdig wäre, zu kaufen. Tragen musste Sean sie aber dann doch selbst. Bourdain verlangsamte ihm zuliebe nicht einmal seinen energischen Schritt. Entsprechend atemlos stand der Blonde neben ihm und versuchte - zum zweiten Mal an diesem Tag - Sauerstoff in seine malträtierten Lungen zu lassen.

      „Willst du mir nicht endlich einmal sagen, was das heute für eine Verabredung ist? Vielleicht muss ich mich mental darauf vorbereiten.“

      Bourdain warf Sean einen strengen Blick zu, sodass dieser schwer schluckte. Wie selbstverständlich war er bei der lässigen Anrede geblieben.

      „Wie gesagt, und ich hasse es mich zu wiederholen, du brauchst dich nicht mit den Einzelheiten zu quälen“, sagte er. Und öffnete mit einem leisen Klicken den Audi.

      Sean seufzte. „Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, dass du meinetwegen so viel Geld ausgegeben hast. Früher oder später werde ich dafür bezahlen müssen.“

      „Wahrscheinlich. Aber auch darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Sieh den heutigen Abend als deine Feuertaufe.“

      „Das ist ja zum Fürchten.“

      „Übertreib nicht so maßlos.“

      „Du bist unheimlich. In der Kabine hast du mit mir geflirtet, jetzt lässt du den eiskalten Geschäftsmann raushängen.“

      „Und?“

      „Ich weiß gar nicht, woran ich bin“, Bourdain zuckte mit den Achseln, als ob er Sean keine Erklärung schuldig wäre. Sean seufzte. „Und, was sage ich jetzt meiner Frau?“

      „Wie wäre es mit der Wahrheit?“

      „Du spinnst wohl. Ich soll ihr sagen, ich hätte mit meinem Chef eine Sache laufen - ich will dem einfach keinen Namen geben - damit ich meinen Job wieder kriege?“

      „Das ist wirklich nicht mein Problem.“

      „Das kann ich mir denken. Durch dich werde ich zur Untreue gezwungen.“

      „Immer langsam, Grandy“, Bourdain machte ein paar Schritte in seine Richtung. Er wirkte auf eine absurde Art und Weise bedrohlich, obwohl Sean ihm körperlich definitiv überlegen war. „Du bist freiwillig hier. Wenn dir die Bedingungen nicht passen, kannst du noch immer verschwinden. Das kannst du gut.“

      Sean runzelte die Stirn. Was sollte das bedeuten?

      „Was meinst du damit?“

      Bourdain warf ihm einen langen durchdringenden Blick zu, bei dem sich Sean nackt und schutzlos fühlte.

      „Sie sehen aus, als ob Sie schnell aufgeben, Mr. Grandy.“

      „Das tue ich nicht. Schließlich bin ich noch immer hier.“

      „Wir werden sehen, für wie lange.“ Mit den Augen tastete Bourdain sich über Seans verwirrtes Gesicht. „Ich denke, Sie kommen zurecht. Ich habe noch einen wichtigen Termin. Wir sehen uns heute Abend. Kommen Sie nicht zu spät.“

      Mit diesen Worten brauste Bourdain davon, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

      Fast eine ganze Stunde brauchte Sean, um aus der Innenstadt zu seinem Fahrzeug zu gelangen und dann klapperte die alte Blechdose müde nach Hause. Sein Gefährt kam ihm nach der Fahrt mit dem Audi, wie ein stinkendes, altersschwache Kamel vor. Es war kaum zu ertragen. Der Tag war furchtbar lang und die Kette der Demütigungen würde so bald nicht abreißen. Das grausame Piepen und das dauerhafte Blinken auf dem Armaturenbrett signalisierte Sean, dass sein Kamel dringend Futter benötigte. Er hoffte inständig es bis nach Hause zu schaffen, bevor ihm der Treibstoff ausging. Einen Abschleppdienst konnte er sich nicht leisten.

      Amanda erwartete ihn bereits in der Tür. Glücklicherweise hielt sie dieses Mal kein Messer in der Hand.

      „Hast du ihn zurück?“, fragte sie gleich zwischen Tür und Angel, während Sean sich mit seinen Einkäufen an ihr vorbeizwängte. Ihm war überhaupt nicht danach mit ihr zu reden. Dafür beunruhigte ihn der bevorstehende Abend zu sehr. Achtlos ließ er im Wohnzimmer alles zu Boden fallen.

      „Ja“, erwiderte er knapp.

      „Was ist damit?“, fragte sie und zeigte auf die Tüten.

      „Arbeitskleidung.“ Und dann beeilte er sich schnell hinzuzufügen, dass sein Chef dafür aufgekommen war.

      „Das ist wirklich nett von ihm. Aber ungewöhnlich“, erwiderte sie skeptisch.

      Eine Schweißperle sammelte sich verräterisch auf Sean Schläfe. Amanda war nicht dumm. Die ganze Sache stank drei Meilen gegen den Wind, das wusste er selbst. Zuerst die Kündigung und dann eine Wiedereinstellung mit solchen Vergünstigungen.

      „Du lügst mich doch nicht an? Ich sehe, wenn du lügst.“

      „Selbstverständlich nicht,“ sagte Sean. „Ich muss heute Abend arbeiten.“

      „Tatsächlich?“, verwundert zog sie die Augenbrauen hoch.

      „Bourdain hat heute ein-“, Sean stockte und lauter nicht hilfreiche Bilder tauchten vor seinem geistigem Auge auf. Es konnte alles ganz harmlos laufen. Er sollte auf das Beste hoffen, aber mit dem Schlimmsten rechnen, dann konnte nichts schief gehen. Sean schluckte. „-ein Geschäftsessen. Also, wenn du mich entschuldigst, Schatz, ich muss mich fertigmachen.“

      „Ist gut“, gab sie etwas pikiert zurück. Und irgendwie hatte Sean so eine Ahnung gehabt. Amanda konnte ziemlich einnehmend werden, wenn es darum ging, ihre Langeweile zu zerstreuen. „Dann gehe ich heute eben ins Kino.“

      Sean nickte und machte sich auf den anstrengenden Weg die Treppe hoch, jede Stufe zog ihn in einen Sog grimmiger Gedanken.

      Die Dusche tat gut, spülte die Nervosität weg, solange das warme Wasser sanft seinen Nacken streichelte. Sobald er sich aber die Frage stellte, welche Unterwäsche er tragen sollte, begann das Dilemma von vorne. Was, wenn er sich heute präsentieren musste? Da konnte er ja nicht irgendwas anziehen. Vielleicht war es sicherer gar nichts zu tragen? Aber, nein, das wäre provokativ. Er kam sich ohnehin billig vor, aber das würde seiner absurden Situation die Krone aufsetzten.

      Der Anzug, den Rosaline für ihn ausgesucht hatte, war elegant. Leicht tailliert, betonte er dekadent seinen Körper, ohne aufdringlich zu wirken. Der Schalkragen war aus matt glänzender, echter Seide, die sich optisch von dem Rest des pechschwarzen Kostüms abhob. Ebenso wie die schmale, dunkelgraue Krawatte. Sean wirkte bis auf den nervösen Zug um seine Mundwinkel seriös und selbstbewusst. Verzweifelt versuchte er sein trostloses Spiegelbild durch ein mageres Lächeln aufzuheitern. Leider funktionierte das nicht.

      Nach einer Weile fiel ihm ein, dass er keine Zeit hatte, sich zu bemitleiden. Stattdessen machte er sich auf die Suche nach dem letzten Accessoire, der seinen Look komplementieren würde. Kopflos hastete er umher und scannte mit den Augen die Umgebung ab. Wo war nur dieses verdammte Anstecktuch? Eigenartig.

      „Nein, nein, nein, nein. Anakin, du verdammter Satansbraten.“

      In einer Ecke im hintersten Winkel, umgeben von einer Flut an halb zerrupftem und ausgeweidetem Spielzeug, lag etwas schmutzig Gräuliches, das mit viel Fantasie einmal sein Anstecktuch gewesen war. Allerdings jegliche Würde verloren hatte, nachdem Anakin das teure Stück Stoff mit seinen kleinen Reißzähnen bearbeitet hatte. Da war nichts mehr zu retten.

      Sean wusste, wie viel Wert Bourdain auf das Gesamtbild legte. Er würde das fehlende Anstecktuch sofort bemerken und dann würde er sich erneut Rüffel einfangen. Vielleicht würde er ihm seinen Lohn kürzen oder einen Ausgleich einfordern. Sean wollte diese Gedanken nicht weiter ausführen. Er musste sich konzentrieren.

      Das