Niko Arendt

Chicago Affair


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war nicht sehr groß, dass er überhaupt aus der Einfahrt kam, aber er hatte keine andere Wahl. Ohne Auto würde er definitiv zuspät kommen.

      „Anakin, wo ist dein Vater? Such Papa!“, rief er und sobald er das gesagt hatte, kam ein kleines Wollknäuel mit dem Hintern voran unter dem Sofa hervorgekrochen. Aufmerksam beobachtete der kleine, hellbraune Chihuahua sein Herrchen, während dieser seine Aufforderung wiederholte und ein paar ausladende Gesten mit dem Armen machte. Anakin wedelte mit dem buschigen Schwänzchen, glupschte ihn mit seinen großen, runden Augen an, machte darüber hinaus aber nichts Nützliches.

      „Auf dich kann man sich nicht verlassen. Wir müssen endlich an deiner Erziehung arbeiten“, murrte Sean und machte sich auf die Suche nach den Schlüsseln.

      Er suchte auf dem Tisch, in sämtlichen Taschen, dann hob er die Kissen auf dem Sofa, wo er die Schüssel zu seiner großen Freude fand. Sobald er nach diesen greifen wollte, sah er etwas Braunes in seinem Augenwinkel auftauchen und schon stand Anakin mit den Schlüsseln im Mäulchen schwanzwedelnd vor ihm. Darth Vader blitze zwischen den kleinen Haizähnen des Chihuahuas hervor.

      „Clever. Du bist ein cleverer Hund, Anakin. Jetzt gib Papa wieder her.“

      Sean streckte die Hand aus, aber der Hund machte keine Anstalten seinen Worten Folge zu leisten, stattdessen rannte er in sein Körbchen und begann an dem Anhänger zu nagen. Der Blonde eilte in die Küche, holte kleine Knochenkekse, lockte den Hund, holte Wurst, dann Käse. Der Hund gab seine Beute nicht her. Bis Sean wohl oder übel seine Schlüssel aus dessen Maul zerrte. Dabei verlor er wertvolle Zeit und Darth Vader seinen Kopf.

      Anakin wendete sich ab und rollte sich in seinem Körbchen ein. Beleidigt zeigte er Sean die kalte Schulter, als dieser sich entschuldigend über ihn beugte. Mehr als seinen flauschigen Rücken bekam er nicht zu Gesicht.

      Letzten Endes rannte Sean gehetzt aus der Haustür, setzte sich in sein Auto und versuchte den Motor zu starten. Mit einem lauten Schnauben erstickte er und ließ sich auch mit Flehen und Fluchen nicht wieder einschalten. Er war restlos geleert. Bis auf den letzten Tropfen.

      Hilfe suchend betrachtete Sean seine Umgebung. Er könnte sich das Auto seiner Nachbarin borgen. Er wusste genau, wo Mrs. Pekles ihre Schlüssel aufbewahrte und sie würden den Wagen vielleicht erst morgen als gestohlen melden. Er überlegte fieberhaft, gestand sich aber dann ein, dass er so tief nicht sinken wollte und rannte dann los.

      Die edlen Armanischuhe machten ein dumpfes Geräusch auf dem Asphalt und die ersten 60 Sekunden fühlten sich verdammt erfrischend an. Wind zerzauste ihm das Haar und schmeichelte seinen Wangen. Sean fühlte die Geschwindigkeit, die Arbeit seiner Beinmuskulatur, die rasende Umgebung, die schemenhaft in seinen Augenwinkeln vorbeizog, während er seinen Blick nach vorne auf die Straße richtete.

      Dann war der Zauber vorbei und er begann das Brennen in seinen Lungen zu spüren. Seine Knie schmerzten leidvoll unter dem falschen Schuhwerk. Er strauchelte und wäre fast hingefallen. Scheinwerfer in seinem Rücken irritierten ihn zusätzlich. Penetrant verfolgten sie seinen Weg, seit er losgerannt war. Ihm war das nicht aufgefallen, solange er sich gut gefühlt hatte.

      „Bist du übergeschnappt? Steig ein, verdammt“, bellte eine bekannte Stimme von der Seite.

      Atemlos griff Sean nach der Tür. Plump ließ er sich in die Sitzpolster des Audis fallen. „Was zum Teufel machst du hier?“

      „Ich sorge dafür, dass du es nicht vermasselst, indem du durchgeschwitzt und zu spät zur Party erscheinst. Und jetzt schnall dich gefälligst an!“, befahl Bourdain brüsk, bevor er mit einer Mordsgeschwindigkeit davon brauste.

      „Was ist nur mit dir los? Gibt es irgendetwas, das bei dir einfach nicht richtig läuft, wie es soll? Oder endet einfach nur alles in einem brennenden Desaster?“, maulte Bourdain ihn in einer für ihn ungewöhnlich flapsigen Sprache an.

      „Woher weißt du überhaupt, wo ich wohne?“, fragte Sean.

      „Steht in der Akte.“

      „Über mich gibt es eine Akte?“

      „Jeder Mitarbeiter hat eine Akte. Lenk nicht vom Thema ab. Ich hab gefragt, warum du so ein verdammter Idiot bist?“

      Sein Auto hatte kein Benzin mehr, sein Hund wollte Darth Vader schreddern und er hatte sich Sorgen, um seine Unterwäsche gemacht. Alles Dinge, die ihn in Bourdains Augen noch idiotischer aussehen lassen würden. Also schwieg Sean lieber.

      „Ich glaube, ich war nicht deutlich genug. Ich ziehe dir mit jeder Minute, mit der du dich verspätest deinen Stundenlohnsatz ab.“

      „Aber ich bin noch nicht zu spät.“

      „Das wärst du aber gewesen, Grandy, wenn ich nicht so eine Ahnung gehabt hätte.“ Damit beugte Bourdain sich zu ihm und einen Augenblick lang dachte Sean, er würde ihn wieder küssen, was er nicht tat. Er richtete ihm lediglich die verrutschte Krawatte. „Wir sind da.“

      Sean hatte nicht bemerkt, dass sie bereits parkten. Aber das war auch nicht verwunderlich, schließlich musste man bei Bourdains Fahrstil seine Konzentration darauf lenken, sich nicht zu übergeben.

      Bourdain öffnete das Handschuhfach und zog eine schmale Schatulle hervor, die er Sean in den Schoß warf.

      „Was ist das?“, fragte Sean verwirrt. „Willst du mir einen Heiratsantrag machen?“

      „Weit gefehlt.“

      Sean öffnete die Schatulle. Darin lagen zwei säuberlich polierte Manschettenknöpfe, die ziemlich teuer aussahen und in dessen Mitte sich ein schwarzer Opal befand. In dessen glatte Oberfläche war ein Buchstabe eingefräst. Ein großes B. Sean hoffte inständig, dass es nicht Bourdains Initialen waren. Das würde ihn irgendwie als dessen Besitz brandmarken. Soweit wollte er nicht gehen.

      „Erde an Sean. Gott, was ist nur los? Erst versuchst du mit edlen Armanischuhen einen Marathon zu laufen, dann fällst du mir beim Anblick von Manschettenknöpfen fast ins Koma. Bitte übergib dich nicht noch in die Regenrinne, sonst lasse ich mich einweisen.“

      Fassungslos schüttelte der Brünette seinen Kopf und blickte ihn aus dessen klaren, blauen Augen heraus direkt an. Dann griff er nach der Schatulle und nach Seans Handgelenken. Mit geübten Fingern, legte er ihm die Manschetten an. Nichts an seiner Art war liebevoll.

      Schließlich öffnete Bourdain die Fahrertür und stieg aus. Sean starrte auf den leeren Sitz, erst das laute Klopfen an der Glasscheibe zu seiner Rechten, ließ ihn erschreckt zusammenzucken. Mit einer aggressiven Geste bedeutete Bourdain ihm, seinen Arsch zu bewegen. Sean tat wie ihm geheißen. Und trottete in gewissem Abstand hinter seinem Arbeitgeber her.

      Bourdain meldete sie beide am Empfang. Alles wirkte teuer und edel. Als Sean Bourdains Rücken betrachtete, kam ihm die absurde Idee, dass sie alleine wären. Dass das tatsächlich eine Verabredung war. Ein Date.

      Bevor Bourdain ihn weiterführte, drehte er sich zu ihm und begutachtete Seans Erscheinung kritisch.

      „Wo ist dein Anstecktuch?“

      „Gefressen“, räusperte Sean sich unter dem bitterbösen Blick seines Chefs. „Lange Geschichte.“

      Unerwartet griff Holden in seine Brusttasche und entfaltete sein eigenes Anstecktuch, dabei kam ein Zweites zum Vorschein. „Unzuverlässig! Was habe ich mir nur dabei gedacht, dich wieder einzustellen?“

      Bourdain wollte keine Antwort darauf, das wusste Sean. Er redete mit sich selbst. Seiner inneren Stimme. Die Anspannung, die er den Einkauf über gezeigt hatte, verdreifachte sich. Sean bewegte sich auf dünnem Eis, bei dem er nicht wusste, wann er einbrechen würde.

      Mit geschickten Fingern faltete der Brünette das Tuch und schob es in Seans Brusttasche, dann richtete er sein eigenes Tuch. Bourdain warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu, bevor er ihn zu einem großen Tisch führte, an dem bereits eine Menge fremder Männer saßen. Und sie alle starrten ihn an. Doch kein beschauliches Candelightdinner zu zweit.

      „Meine Herren“, grüßte Bourdain höflich. „Ich hoffe, Sie haben alle gut hergefunden?“