Niko Arendt

Chicago Affair


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Durch den Rundbogen der Küche sah er eine Frau im Nebenzimmer. Ihre langen, kastanienbraunen Haare hielt ein buntes Stirnband zurück. Sie trat in einer Geschwindigkeit in die Pedalen eines Hometrainers, als würde ihr Leben davon abhängen. Im Mund hatte sie ein Nugat-Crossant, während sie mit ernstem Gesicht einen Liebesroman studierte. Ihn hatte sie nicht bemerkt.

      „Mund zumachen und setzen“, befahl die Schwarze hinter dem Herd und blickte ihn mit einem Ausdruck unverhohlenem Missfallens an, als wäre er eine missratene, ungenießbare Sahnetorte. Dabei kannte sie ihn nicht einmal. Mit einem hölzernen Kochlöffel zeigte sie auf einen der hohen schwarzen Barhocker vor ihm.

      Verwirrt starrte Sean sie an. Die ganze Situation war fast unheimlich. Wo war nur Holden? Sie unterbrach seine Gedanken, indem sie einen großen Teller mit Eiern und goldgebratenem Speck vor seine Nase stellte, nachdem er sich auf einen der Stühle bei der Anrichte niedergelassen hatte.

      „Es ist wirklich nicht meine Art Sie zu beleidigen, indem ich dieses liebevoll zubereitetes Frühstück verschmähe“, begann er „aber ich habe die Befürchtung dann wieder über meinem Freund, der Kloschüssel, zu hängen.“

      „Charmeur.“, grunzte sie. „Und jetzt iss!“

      „Wissen Sie, was hier vor sich geht?“, fragte Sean und knabberte vorsichtig an einem Stück Speck.

      „Wenn Sie wissen wollen, ob Sie‘s wie die Karnickel getrieben haben, bin ich echt der falsche Ansprechpartner.“

      „Nein, wer sind Sie? Und wer ist das Krümmelmonster dort, das den armen Trainer an den Rand der Verzweiflung treibt?“ Sean nickte mit dem Kopf in Richtung der Unbekannten auf dem Fahrrad.

      „Eine Menge Fragen. Ich weiß gar nicht, ob ich befugt bin, mit Ihnen darüber zu sprechen.“

      „Bourdain ist mein Boss.“

      Ein krachendes Geräusch unterbrach ihr Gespräch. Ächzend stand die junge Frau vom Boden auf, ihr Fuß hatte sich noch in einer Pedale verfangen. Schockiert starrte sie Sean an. Er hegte die leise Befürchtung, sie wäre seinetwegen gefallen.

      „Was?“, rief sie entsetzt.

      Beide hatten die Köpfe nach der jungen Frau umgedreht. Sean machte Anstalten in ihre Richtung zu gehen und ihr aufzuhelfen, aber sie war schneller. Mit wenigen energischen Schritten stand sie neben ihm. Ihre Haare standen wild von ihrem Kopf ab.

      „Sie arbeiten für Holden?“, musterte sie ihn interessiert. „Und-“, ein vielsagender Blick. „Sie schlafen mit ihm?“

      „Ich war gestern ziemlich breit. Bewahre mir aber die Hoffnung, ich hätte einfach meinen Rausch in seinem Bett ausgeschlafen. Und nicht auch mit meiner Unschuld bezahlt“, witzelte Sean.

      Verständnislos blickte sie ihn an, zog ungefragt einen Speckstreifen von seinem Teller und biss hinein. „Was? Ich dachte, Sie seien schwul.“

      „Nicht, dass ich wüsste.“

      „Tatsächlich? Nicht schwul?“ Ein strahlendes Lächeln erhellte ihre Züge. Ihre Wangen waren gerötet vom Radfahren und ihre Augen glänzten verräterisch, als hätte sie eine unglaubliche Entdeckung gemacht, die allen anderen aber entgangen war.

      „Ich bin verheiratet. Mit einer Frau“, sagte Sean und killte mit drei einfachen Worten ihre gute Laune. Die dunkelhäutige Frau, dessen Name Sean noch immer nicht in Erfahrung gebracht hatte, schüttelte den Kopf und schob einen Teller mit kleinen Schokotörtchen herüber. Die junge Frau machte ein verzweifeltes Gesicht und nahm einen großen Bissen von dem cremigen Gebäck.

      „Schokolade ist mein einziger Freund“, stellte sie enttäuscht fest. „Ich versteh das einfach nicht. Sie sind heiß, verheiratet und schlafen trotzdem mit Ihrem Boss. Ich kann‘s verstehen. Er ist echt scharf. Dafür könnte man schon einen kleinen Betrug wagen.“

      „Ganz so ist es nicht“, rechtfertigte Sean sich, nahm ihr aber ihre Vermutung nicht übel, da sie einen ganz untypischen Charme ausstrahlte und so locker mit ihm umging, als würde sie ihn bereits gut kennen. „Ich hab da eher so einen Knebelvertrag, der mich physisch an ihn bindet.“

      Sie blickte ihn aus großen Augen heraus an, dann zog sie eine Schnute und verdrückte ihr Törtchen. „Sie sind zu beneiden.“

      „Warum?“

      „Holden ist eine verdammt gute Partie. Sogar als Affäre. Ich bin richtig eifersüchtig“, stellte sie mit Bedauern fest. „Würde er nicht auf Männer stehen, hätte ich nichts dagegen ein paar süße, pummelige Babys von ihm zu haben.“

      Sean musste an sich halten, um nicht loszulachen. Das aufkeimende Schmunzeln konnte er jedoch nicht verbergen. „Wirklich?“

      Ihr gerade erst interessant werdendes Gespräch wurde durch das Eintreten einer weiteren Person unterbrochen.

      „Na, Dornröschen, auch von den Toten erwacht?“, kam es charmant aus Bourdains zu einem sympathischen Lächeln verzogenen Mund, während Sean ihn seinerseits einfach nur mit offenem Mund anstarrte.

      „Morgen, Ivy“, grüßte er die korpulente Schwarze und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, nachdem er ihr eine herrlich duftende Papiertüte mit frischem Gebäck überreichte. Ivy ihrerseits gab ihm eine große Tasse Kaffee.

      „Danke, Ivy.“ Dann wandte er sich an die junge Frau, schenkte ihr ein warmes Lächeln, dass Sean ohne Zweifel als flirtend bezeichnet hätte und reichte ihr einen wunderschön verzierten Karton. „Für dich Jesse. Es tut mir leid, dass ich unseren Termin versäumt habe, aber ich hatte eine Kleinigkeit zu erledigen“, entschuldigte er sich mit samtig weicher, beinahe unterwürfiger Stimme.

      „Ich finde, du hättest ihn seinen Dreck ruhig selbst wegmachen lassen können, sonst lernt der Idiot nichts daraus“, mischte Ivy sich ein und warf Sean einen bitterbösen Blick zu, der diesen allerdings amüsierte. Die Frau sah zu ulkig aus, als das man sich vor ihr hätte fürchten müssen.

      Währenddessen hatte Jesse den Karton geöffnet, indem, entgegen jeder Erwartung, wieder Süßkram drin war. Edler Süßkram, über den sie sich gleich hermachte, wie eine Maus über Speck. Dabei blendete sie ihre Umgebung völlig aus.

      Sean beugte sich ein wenig zu Bourdain und raunte ihm hinter vorgehaltener Hand zu: „Warum ist sie denn so feindselig? Sie kennt mich doch überhaupt nicht.“

      Bourdain wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, doch Ivy kam ihm zuvor. „Sie brauchen nicht zu flüstern, Mr. Grandy. Ich kann Sie gut hören. Gestern waren Sie von Ihren verdammten Schuhsohlen bis zu den Haarspitzen voller Kotze. Wir mussten Sie baden. Sie haben geklammert wie ein Babyäffchen, das man seiner Mutter entrissen hat. Und lauter unverständliches Zeug geschwafelt, dass ich nicht wiederholen möchte.“

      „Ist das wahr?“, fragte Sean in Holdens Richtung, der nur die Augenbrauen hochzog und bestätigen nickte. „Du hast einen ganz schön festen Griff.“

      „Und heute musste Mr. Bourdain seinen wertvollen Morgen darauf verschwenden Ihre Sauerei wegzumachen. Ich an seiner Stelle hätte es nicht getan“, drohend richtete Ivy den Kochlöffel auf Seans Gesicht.

      „Keine Sorge, Ivy. Ich habe mir eine nette Bestrafung für ihn ausgedacht“, Bourdain warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Sie grinste und Sean hatte das Gefühl, die zwei hätten sich gegen ihn verbündet. Sein Magen kribbelte, als er Bourdain aus dem Augenwinkel musterte, während dieser mit Ivy sprach.

      Holden hatte den Schlaf noch nicht komplett abgeschüttelt. Seine Frisur saß nicht ganz so perfekt. Dunkle Locken glänzten in der frühen Morgensonne, während einige dicke Strähnen seine Wangen belagerten. Das Hemd, das er trug, war blütenweiß. Der Kragen und die Manschetten gestärkt. Er trug die Manschettenknöpfe, die auch Sean bei dem Essen getragen hatte. Das Gefühl dessen Besitz zu sein verstärkte sich.

      „Na hoffentlich behältst du das in deinem Magen, ansonsten lass auch ich mir was für dich einfallen. Und das wird dir nicht gefallen.“ Ein diabolisches Lächeln zierte Ivys vollen Lippen. Sie erinnerte Sean an einen Charakter aus einem 50‘s Feel-Good-Movie,