Niko Arendt

Chicago Affair


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oder Jackett auszuziehen. Am nächsten Morgen würde er es bedauern so faul gewesen zu sein. Seine Muskeln würden schmerzen. Die Haut würde sich schlaff anfühlen. Aber jede Bewegung, die nicht lebensnotwendig war, raubte ihm die Kraft. Deshalb strengte er sich gar nicht erst an.

      Er konnte sich nicht erinnern, wie er zurückgekommen war. Ob Holden ihn gefahren hatte? Vielleicht war er gelaufen. Amanda war noch nicht zurück.

      Als sich die Matratze neben ihm herabsenkte, war Sean bereits in einem tiefen, traumlosen Schlaf versunken.

      Kapitel 7

      Die Sonnenstrahlen brannten ihm ein Loch direkt durch seinen malträtierten Schädel, indem mehrere Presslufthammer um die Wette die Schutzschicht seiner Erinnerungen aufbrachen. Schnatternd unterhielten sich ein Haufen Spatzen vor dem Fenster und leisteten gute Arbeit seinen Brummschädel zum explodieren zu bringen. Während ein gleichmäßiges, nerviges Dröhnen seine Ruhe störte. Stöhnend zog Sean sich die weiche Decke über den Kopf, in der müden Hoffnung, die Geräuschkulisse von seinem Kopf fernzuhalten.

      Dunkel regte sich in ihm der Gedanke, dass er arbeiten musste und mit großer Wahrscheinlichkeit verschlafen hatte. Doch die Rebellion seines Körpers hielt ihn davon ab, erschrocken aufzuspringen und sich eventuell zu beeilen. Ihm war übel. Die Schmerzen in seinem Kopf und in seinen Gliedern gingen über einen normalen Kater hinaus. Es war viel mehr, als hätte er einen Liter KO-Tropfen getrunken, die seinen Körper eisern in die Matratze quetschten.

      Sean beobachtete, wie er den kleinen Finger seiner rechten Hand bewegte. Das tat beschissen weh und er wollte es nicht mehr wiederholen. Mit dem Bauch nach unten lag er auf dem Bett, das Gesicht in die Kissen gepresst, während die frische Morgenluft seine nackten Fußballen und seine Beine kitzelte. Wenigstens hatte er es geschafft sich zu entkleiden, bevor er ins Koma eines Betrunkenen gefallen war.

      Er sollte versuchen aufzustehen, aber das Bett war so verdammt bequem. Es war weich, frisch und verströmte einen ganz neuen Duft, der seinen müden Sinnen schmeichelte. Leicht holzig. Nach warmen Zedernholz. Würzig süßer Bitter-Orange und aromatischem Kardamom, der durch sein betörendes Aroma sein Gehirn stimulierte. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass dieser Geruch nicht typisch war. Nicht typisch für sein Zuhause. In diesem Moment erinnerte er sich an einen Artikel aus der Frauenzeitschrift, die Amanda abonniert hatte.

       Kardamom, nach Safran das teuerste Gewürzöl. Löst Minderwertigkeitsgefühle und sexuelle Blockierung.

      Mit lautem Japsen fuhr Sean aus den Kissen hoch. Es roch nach Holden! Ihm wurde um einiges schlechter. Er lag im Bett seines Chefs. Nackt, wie er mit wachsendem Schrecken feststellte.

      „Kotzen Sie mir bloß nicht auf den orientalischen Teppich. Ich hab ihn erst vor Kurzem reinigen lassen“, sagte eine nasale Stimme nicht weit von ihm entfernt. Eine korpulente Schwarze stand, die Hände in die üppigen Hüften gestemmt, vor dem Bett. Einen Staubsauger in der einen Hand und einen Wedel in der anderen Hand. Genau diesen Wedel richtete sie auf sein Gesicht.

      „Das Bad ist da vorn.“ Der Wedel schwenkte nach rechts.

      Schnell sprang Sean aus dem Bett und rannte in die ihm zugewiesene Richtung, bevor er sich mit der Frage beschäftigte, wer diese Person war. Gerade rechtzeitig erreichte er die Kloschüssel, bevor er einen Teil seines Abendessens wieder sah. Augenblicklich ließ der Schwindel und die Übelkeit nach und eine befreiende Erleichterung erfasste ihn. Seine Hand zitterte, als er die Spülung betätigen wollte. Nach mehreren erfolglosen Versuchen hörte er ein Schnauben. Dann erschien aus dem Nichts eine Hand und drückte den altmodischen Henkel mit solcher Leichtigkeit, dass es an göttliche Kraft grenzte.

      Wenige Augenblicke später leuchtete es Sean ein, dass er gerade breitbeinig auf dem Fußboden saß. Noch immer nackt. Peinlich berührt griff er nach einem Handtuch und bedeckte damit sein bestes Stück. Allerdings war das verdammte Ding verrucht klein, dass er es auch hätte bleiben lassen können. So wirkte er lächerlich. Die Frau verdrehte die großen runden Augen. Ihr molliger Körper beherrschte den ganzen Raum. Sie sah aus wie aus einem Gospel Chor.

      „Ich habe sechs Kinder und du glaubst, es würde mir was ausmachen deinen kleinen Peter zu sehen?“ Ein verschmitztes Grinsen zierte ihre vollen Lippen und erweckte trotz der peinlichen Situation Sympathie.

      „Er ist nicht klein.“

      „Etwas verschrumpelt.“

      „Er hatte bestimmt eine harte Nacht hinter sich.“

      Sie zog die dunklen Augenbrauen so weit nach oben, dass Sean glaubte, sie müssten gleich in dem Ansatz ihres schwarzen Haares verschwinden, das sie zu einem strengen Dutt nach hinten gekämmt hatte. Während sie einige Schritte nach hinten machte, ließ sie ihn nicht aus den Augen. Als wäre er ein Irrer, der sie jeden Moment anspringen könnte.

      „Diese Unterhaltung sollten wir fortsetzen, wenn Sie eine Hose anhaben, Mr. Grandy. Nehmen Sie eine Dusche. Sie stinken.“ Sie rümpfte angewidert die breite Nase. „Tabletten liegen auf dem Nachttisch. Kleider auf dem Bett. Er wartet unten auf Sie.“

      Bevor sie den Raum tatsächlich verlassen konnte, sprang Sean nach vorne und packte sie am Arm.

      „Halt. Woher kennen Sie meinen Namen?“

      „Steht auf Ihrem Namensschildchen.“

      Sie grinste humorlos und wollte verschwinden, doch Sean hielt immer noch ihren Arm fest. Als sie das bemerkte, wanderte ihr Blick so lange zwischen Seans Gesicht und seiner Hand hin und her, bis er sie losließ und eine leise Entschuldigung flüsterte.

      „Wer sind Sie?“, fragte er.

      „Die gute Fee. Was denken Sie denn?“

      „Ich will lieber nichts denken.“

      „Würde ich auch nicht empfehlen, vielleicht brennen Ihnen da noch ein paar wichtige Verbindungen durch.“ Ihr Zeigefinger bohrte sich tief in Seans Stirn.

      „Bin ich bei-?“

      „Korrekt“, sagte sie wie ein Showmaster auf der Bühne.

      Sean entglitt das Gesicht vollkommen. Seine allerschlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. Fast durchsichtig wirkte Seans Haut, als er krampfhaft die Erinnerungen hervorzuholen versuchte, was er und Bourdain letzte Nacht getan hatten. Er förderte nichts Hilfreiches zutage.

      „Haben wir …?“

      „Von den Nachbarn liegt eine Beschwerde wegen Ruhestörung vor und der eingerissenen Putz über dem Bett lässt sich nicht auf einen Wasserschaden zurückführen“, meinte sie voller Ironie, die Sean nicht heraushörte.

      „Oh. mein. Gott“, hauchte er erschrocken, riss die Augen weit auf und bedeckte vor Entsetzen seinen Mund mit der Handfläche. „Wir haben wirklich-?“

      Beleidig zog die Schwarze eine lange Schnute.

      „Woher, um Himmels willen, soll ich das wissen? Sehe ich so aus, als würde ich mit dem Ohr an der Tür, andere beim Sex belauschen? Flegel.“ Diesmal hielt Sean sie nicht davon ab, den Raum zu verlassen. Die Situation war demütigend genug.

      Mechanisch setzte er sich in Bewegung, duschte, zog sich frische Sachen, die für ihn auf dem Bett bereitlagen, an und trank das Glas mit zwei Aspirin. Vorsichtig streckte er den Kopf aus der Schlafzimmertür. Kurzerhand beschloss er, dass dem Gang zu folgen sicherlich nicht gefährlich werden konnte. Die Einrichtung war modern, stillvoll und ziemlich exklusiv. Das konnte selbst er erkennen.

      Dem Lauf einer schmalen Wendeltreppe folgend gelangte er in einen Wohnraum, der größer war, als manches Besprechungszimmer in der Firma. Ein surrendes Geräusch beherrschte den Raum, er konnte aber die korpulente Schwarze nirgends mit ihrem Staubsauger entdecken.

      Rot und Weiß beherrschten mit einigen ausgesuchten Schwarzakzenten die Kücheneinrichtung. Hinter dem großen Herd entdeckte er die kräftige Frau wieder, die ein Lied summte. Sie verstummte, als sie seine Anwesenheit bemerkte und ihre gute Laune gefror. Unsicher blickte Sean über die