steuerliche Erklärungen.“
„Seien Sie unbesorgt. Mit dem Finanzamt habe ich nichts zu tun“, stellte Albertiner unbewegt fest.
Er musterte den Sessel, den ich ihm zuwies, mit Abscheu und war offensichtlich stark versucht, ihn erst mit einem Taschentuch abzuwischen, ehe er seinen etwas breit angelegten Rumpf widerwillig in ihm niederließ.
„Der genaue Titel der von mir vertretenen Organisation ist in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Aber lassen Sie sich gesagt sein, dass es weder das Bundeskriminalamt noch der BND ist. Ich arbeite in einem bedeutend höheren Rang. Was unsere weiteren Aktivitäten angeht, so sind diese erstens streng geheim und gehen Sie zweitens auch gar nichts an. Ist das klar?“
Es war klar. Vollkommen klar. Und ich gebe gern zu, dass ich beeindruckt war, ja, dass ich diese Sache sogar ziemlich aufregend zu finden begann. Zwar war ich soeben zum ersten Mal in meinem Leben gründlich durchgefickt worden, aber dabei darf man doch nicht vergessen, dass ich trotzdem noch ein ganz schöner Kindskopf war.
Allerdings - Romane, in denen Geheimagenten vorkamen, hatte ich verschlungen. James Bond war mein Held, besonders wenn er von Daniel Craig gespielt wurde.
Philipp Albertiner saß noch immer qualvoll steif und missbilligend in seinem Sessel, und trotzdem schien sich ihm plötzlich ein Hauch vom Glanz der großen Welt um die Schultern zu legen. Sein ungeschlachter Körper war unversehens von einer knisternden Aura leidenschaftlicher Liebschaften und todesmutiger Abenteuer umweht. Das genügte, um ihm schlagartig meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu sichern. Vorübergehend vergaß ich sogar das nackte Traumschiff im Nebenzimmer.
„Ich bin nicht zu einem Plauderstündchen mit Ihnen gekommen, Frau Rabenau“, sagte Albertiner mit seiner scharfen Spaßbeiseite-Stimme. „Der Zweck meines Besuchs ist, Ihre Hilfe und Unterstützung in einem Fall zu gewinnen, dessen Ausgang für unsere Regierung sehr ernste Folgen haben könnte. Ich weiß, dass Sie kurz vor Fertigstellung des Auftrags stehen, mit dem die Stadt München Sie betraut hat, und dass Sie nach dieser Arbeit Ihren Onkel auf Mallorca zu besuchen gedenken. Mein Angebot sieht nun folgendermaßen aus: Sie sollen Ihre Ferien auf der Mittelmeerinsel genauso gestalten, wie geplant, nur sollen Sie uns, wenn Sie einmal dort sind, ein paar Dienste erweisen. Sie werden von uns entsprechend honoriert werden, großzügig honoriert, doch will ich nicht verschweigen, dass der Ihnen hiermit angetragene Job beträchtliche Gefahren mit sich bringt und dass er Ihnen für andere Dinge nicht viel Zeit lassen wird. Obwohl zunächst großzügig scheinend, ist die Vergütung in Anbetracht der Risiken, die Sie eingehen werden, doch eher armselig. So kann ich letztlich nur an Ihre Vaterlandsliebe appellieren, Frau Rabenau, und nochmals darauf hinweisen, dass die Lage, mit der wir fertig zu werden haben, sehr kritisch ist.“
„Sie brauchen mir kein Volkslied vorzusingen“, sagte ich, indem ich mich wissbegierig vorbeugte und dabei völlig vergaß, dass ich unter meinem nur lose gegürteten Arbeitskittel nackt war. Dann sah ich, wie er rot wurde. Ich zog den Kittel enger um mich herum.
„Ich bin hochinteressiert und begeistert und fühle mich überdies sehr geehrt“, fuhr ich fort. „Aber ich fürchte, Sie haben die falsche Anna Rabenau erwischt. Ich bin Malerin, und keine Geheimagentin. Ich weiß nicht einmal, wie man eine Pistole hält. Messer jagen mir Angst ein, und Kraftsport habe ich nie ausgeübt.“
„Von einer falschen Anna Rabenau kann keine Rede sein“, wies er mich zurecht. „Und der Auftrag macht Waffengebrauch nicht erforderlich. Das einzige, was Sie zu tun haben, ist einen gewissen Herrn für uns zu identifizieren, einen Herrn, von dem wir mit gutem Grund annehmen, dass er inkognito und wahrscheinlich raffiniert getarnt in Cala Ferrera auf Mallorca. Das ist eine kleine Ortschaft unweit der Villa ihres Onkels. Abgesehen davon kann ich Ihnen über diesen Herrn nicht viel erzählen, nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern weil wir über ihn praktisch nichts wissen. Wir haben einen Namen, aber das ist zweifellos ein Deckname, der uns nicht weiterhilft. In gewissen Teilen Europas ist der Mann unter dem Namen Nikolaj Jegorow bekannt. Mehr kann ich Ihnen über ihn wirklich nicht sagen. Andererseits sind Sie, wenn mich nicht alles täuscht, der einzige lebende Deutsche, die ihn je gesehen hat. Deshalb sind Sie auch die einzige, die ihn für uns identifizieren könnte, obwohl er, wie ich schon sagte, sein Äußeres wahrscheinlich stark verändert hat.“
„Jetzt weiß ich hundertprozentig, dass Sie das falsche Mädchen erwischt haben“, sagte ich enttäuscht. „Ich kenne keinen Nikolaj Jegorow. Tut mir leid, Herr Albertiner.”
Er nickte, als seien meine Worte Luft. „Sie haben ihn kennengelernt“, beharrte er. „Erinnern Sie sich an einen Zwischenfall, zu dem es kam, als Sie zwölf Jahre alt waren? Sie waren mit Ihrem Vater in Wien, und da waren Sie eines Abends so neugierig, sich heimlich aus dem Hotel zu stehlen, um ein bisschen durch die Straßen zu strolchen.“
Und ob mich erinnerte! Es war die zugleich abenteuerlichste und beängstigendste Sache, die ich je erlebt hatte. Ich war noch keine zwei Kreuzungen weit gegangen und eben in eine dunklere Nebenstraße eingebogen, als sich mir ein kräftiger Arm ums Genick legte, während ein anderer meine Taille umschlang und damit gleichzeitig meine Arme einklemmte.
Da war noch ein zweiter Mann gewesen, und sie zerrten mich mit vereinten Kräften in eine Einfahrt. Während der eine mich festhielt, riss der andere mir die Bluse auf, um sich an meinen festen kleinen Brustansätzen zu schaffen zu machen.
Dann wurde mein Rock hochgeschlagen, das Höschen runtergezogen und ein rauer Finger in meine Fotze geschoben. Ich hatte natürlich eine panische Angst, und es tat grässlich weh, aber meine Versuche, sie abzuwehren, waren ziemlich müßig. Selbst wenn sie nicht zehnmal stärker gewesen wären als ich, hätte der aus ihren Mündern aufsteigende Nikotingestank immer noch genügt, mich restlos zu überwältigen. Sie standen zweifellos kurz davor, mich zu vergewaltigen, und hätten es auch geschafft, wenn ihnen in dem Augenblick nicht ein Strich durch die Rechnung gemacht worden wäre.
Ich hörte Flüche in mindestens zwei Sprachen, eine davon vermutlich russisch, dann ein Japsen aus der Kehle des Mannes, der mich hielt, und dann fühlte ich auf meinem bloßen Rücken etwas Warmes, Nasses, Klebriges herunterlaufen. Das nächste war ein dumpfer Schlag, dann war ich frei. Ich konnte gerade noch erkennen, dass ein Mann zu meinen Füßen lag, und hören, dass ein anderer davonlief.
„Komm“, sagte eine Stimme.
Es war Deutsch, aber mit einem leichten osteuropäischen Akzent. „Ich werde dich in dein Hotel zurückbringen.“
Ich registrierte, dass mir eine Lederjacke über die Schultern gelegt wurde, um meinen bloßen Oberkörper zu verdecken. Eine feste Hand packte mich am Arm. Als wir die Straße erreichten, blickte ich zu meinem Retter hoch. Es war ein dunkelhaariger, gutaussehender Mann Ende Zwanzig, der, wie mir damals schien, mindestens drei Meter groß war.
Ich bedankte mich natürlich, wovon er aber nichts wissen wollte. Stattdessen fragte er nach dem Namen meines Hotels. Er zerrte mich wortlos durch die Straßen zu unserem Ziel, wartete noch, bis ich durch die Hoteltür verschwunden war, und machte sich dann eilends davon. Seine Lederjacke hat er mir gelassen.
„Dieser Mann... dieser Mann, der mich vor meinen mutmaßlichen Vergewaltigern gerettet hat... das war Nikolaj Jegorow?“
Albertiner nickte. „Wir sind ziemlich sicher, dass er es war. Zwei unserer Agenten hatten ihn beschattet und standen eben im Begriff, ihn zu stellen, als es zu diesem Zwischenfall kam. Sie haben ihn um weniger als fünf Minuten verpasst. Die Frage ist, Frau Rabenau - können Sie sich an ihn erinnern? Glauben Sie, dass Sie ihn wiedererkennen würden, wenn Sie ihn nach all den Jahren noch einmal sähen?“
Ich war nicht sicher. Ich war jung, verängstigt und verdattert gewesen. Es war später Abend gewesen, und die Straßen waren schlecht beleuchtet. Es konnte schon sein, dass ich ihn wiedererkennen würde, aber ehe ich mich in irgendeiner Weise verpflichtete, wollte ich wissen, was sie mit ihm vorhatten. Schließlich hatte er mich aus einer sehr üblen Lage gerettet, und ich hatte nicht vor, ihn zum Dank für ein Handgeld auszuliefern. Ich teilte Albertiner meine diesbezüglichen Überlegungen mit. Er schien meine Haltung nicht zu billigen.
„Unsere Pläne für Nikolaj Jegorow sind streng geheim“, erklärte er. „Aber