bin tief beeindruckt«, sagte Harald einige Stunden später. »Wie ist es möglich, dass Sie in so kurzer Zeit so viel Wissen sammeln konnten. Sie kennen sogar meine wichtigsten Wettbewerber. Man könnte fast auf die dumme Idee kommen, einer Mata Hari gegenüber zu sitzen.«
Chantal versuchte, dankbar und gleichzeitig etwas verlegen zu lächeln.
»Hm. Mata Hari. Ich weiß jetzt nicht, ob ich mich geehrt fühlen soll.«
»Das dürfen Sie. Das dürfen Sie«, lachte der Grauhaarige.
»Wie auch immer«, fuhr Chantal fort. »Meine Freunde auf Zeit dürfen ruhig das Gefühl haben, dass ich sie respektiere, indem ich mich mit ihnen, ihrem Leben und ihrem Umfeld auseinandersetze. Es wäre doch schlimm, wenn ich mich mit dem Manager eines Mineralölkonzerns nur über Kleider oder Fußball unterhalte.«
»Oder mit dem Inhaber einer Geflügelschlachterei«, lachte Lambers.
Chantal verschränkte ihre schmalen Finger ineinander.
»Dazu würde es erst gar nicht kommen«, sagte sie mit plötzlich ernster Miene.
»Oh. Wie darf ich das verstehen?«
»Weil ich mit einem solchen Mann nicht so locker plaudern könnte. Mit Sicherheit würde ich mit ihm nicht ein Bett teilen wollen.«
Lambers rückte lachend seinen Sessel ein Stückchen näher.
»Holla. Ich bin jetzt mehr als erstaunt. Eine Frau mit Prinzipien?!«
Chantal legte ihre beiden Zeigefinger vor ihren Lippen, und senkte leicht den Kopf.
»Es wäre jetzt nicht schön gewesen, wenn Sie statt „Frau“ einen anderen Begriff gewählt hätten.«
Fast blitzartig legte der Mann seine rechte Hand sanft und beschwichtigend auf den Arm seiner attraktiven Begleiterin. Er blickte ihr dabei tief in die Augen. Chantal entnahm aus seinen Augen ein bittendes Entsetzen.
»Wenn ich so denken würde, säßen wir nicht beieinander. Bitte nenne mich Harald.«
Ein offenes Lächeln huschte über das Gesicht der Begleiterin.
»Einverstanden Harald. Der Kunde ist König.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort:
»Darf ich zu diesem Thema abschließend bemerken, dass ich nur Männer begleite, die mir sympathisch sind. Meine Kunden haben ein Anrecht auf eine möglichst unbelastete und reine Seele. Nur dann kann ich ganz und gar Madame Chantal sein; eine offene, ehrliche und kompetente Begleiterin - und eventuell Liebesdienerin. Eventuell; das bedeutet, dass ich mir die Freiheit nehme, nur dann mit Männern das Bett zu teilen, die mir zumindest weitestgehend sympathisch sind. Klingt das verrückt?«
»Nein. Nein.« Harald drückte Chantal einen Kuss auf die Hand. »Das ist für mich eine Bestätigung, die richtige Wahl getroffen zu haben … seit langer, langer Zeit.«
Die routinierte Escort-Dame verstand es, das Gespräch sanft und glaubhaft in eine andere Bahn zu lenken. Während des erlesenen Abendessens, in einer verschwiegenen Ecke der weitläufigen Lokalitäten des Hotels, unterhielten sie sich fast ausschließlich über Musik; über Edward Grieg, über die zehn wichtigsten Stationen der Moldau von Smetana, über die vier Jahreszeiten von Vivaldi und viele andere Komponisten.
Und erst zur fortgeschrittener Stunde gingen sie in das große Doppelzimmer mit dem riesigen Bett.
Als Chantal mit einem aufreizenden Negligé in das Bett schlüpfte, stellte sie fest, dass Harald in einem einfallslosen, fast altbackenen Schlafanzug auf sie wartete.
Es hämmerte und arbeitete in Chantals Kopf.
Diese Situation kannte sie nur von reifen Herren. Oder von Männern, die es spannend machen wollten. Das unterschied diese Alterskategorie von jungen Draufgängern, die mit hochgezogenen Augenbrauen darauf warteten, dass sie sein bereits erigiertes Glied mit einem „Wow“ bewunderte. Sie erfand immer wieder neue Namen für diese Wunder der Natur. Oder sie entschied sich dann einfach, jauchzend diesen Himalaja zu besteigen. Manche Kerle grunzten wie Bären, schrien vor Freude, bejubelten ihren Körper, wollten es später unbedingt noch einmal unter der Dusche machen - wollten ihre Fantasien in vollen Zügen ausleben – bis sie nur noch mit offenem Mund und geschlossenen Augen darauf warteten, dass Chantal deren unfassbare Kräfte glaubhaft lobte. Dann, erst dann, waren sie vollends glücklich.
Jeder Kunde hatte das Anrecht darauf, individuell „bedient“ zu werden.
Wortlos kuschelte sie sich nun an den Schlafanzugträger. Sie wartete zunächst darauf, dass er ihr vielleicht ein Signal geben würde. Schließlich war er der König dieses Abends und dieser Nacht. Er, dieser König, entlohnte sie schließlich königlich.
Doch. Verdammt. Davor hatte sie sich immer gefürchtet! Das war Gift für ihren Job, den sie so sehr liebt; den sie in den letzten Jahren zunehmend genoss. Dieser Mann, in seinem grässlichen Schlafanzug, war ihr im Laufe des Tages und vor allem während des Abends sympathisch geworden – sogar mehr als das.
»Reiß‘ ihm diesen dämlichen Schlafanzug vom Leib. Lass‘ deiner Frivolität freien Lauf. Zeig‘ ihm, dass du eine Hure bist!«, schrie sie in sich hinein. »Zeig‘ vor allem dir, dass du nichts anderes als eine Liebesdienerin bist; eine einfallsreiche und professionelle Hure!«
Oft hatte sie sich gefragt, ob es unerklärliche Schwingungen gab zwischen ihr und ihren Kunden. In den meisten Fällen waren es hilfreiche Schwingungen und Signale.
»Oh Gott, lass‘ diesen Abend und diese Nacht ebenso verlaufen, wie die vielen, vielen anderen auch«, wünschte sie sich leicht zitternd – und schaltete das Licht aus.
Als ob dieser Mann ihre Gedanken und Wünsche mitgehört hatte, nahm er sie in die Arme. Er genoss es. Das fühlte sie.
Viele Minuten lag sie schweigend in seinen Armen. Eine knisternde, fast unheimliche Stille waberte durch den Raum. Sie schmiegte sich an seine Schulter; empfand wohlige Wärme.
Plötzlich fühlte sie seinen Atem. Wollte er ihr einen Kuss geben? Oder wollte er ihr etwas sagen?
Und dann glaubte sie, diesen Satz zu hören. Er flüsterte diesen Satz. Es war ein warmes und wohliges Flüstern. Seine Stimme zitterte leicht; war bittend, fragend, ehrlich:
»Ich würde mich unendlich glücklich schätzen, wenn du mich heiraten würdest.«
Auf alles war Chantal an diesem Abend vorbereitet. Aber nicht auf diese Frage; nicht auf diese Szene.
Fast ruckartig richtete sie sich im Bett auf, um fast gleichzeitig das Licht wieder einzuschalten.
Um nichts auf der Welt wusste sie, wie sie sich in den nächsten Sekunden verhalten sollte; was sie sagen würde, sagen musste, sagen durfte.
Nach unendlich vielen Sekunden entschied sie sich für den Angriff. Im Extremfall würde sie einen Kunden verlieren; einen sympathischen Kunden. Sie war immer bereit gewesen, mehr zu geben, als dies viele ihrer Kunden für möglich gehalten hatten. Viele Kunden hatten in den letzten Monaten nicht nur ihren Körper gespürt, sondern auch ihr Herzblut. Mitunter war sie bereit gewesen, ihnen für ein paar Stunden oder auch für ein paar Tage, Einblick in ihre Seele zu gewähren. Das kam allerdings äußerst selten vor. Aber manchmal passierte es eben. Ihre Kunden dankten es ihr. Und kamen immer wieder.
Zunächst entschied sie sich für ein dunkles Lachen, das ganz tief aus ihrem Körper herausbrach. Danach sprang sie aus dem Bett. Breitbeinig stellte sie sich in die Mitte des Raumes.
»Schau mich an!«, schrie sie mit ausgebreiteten Armen.
»Ich bin eine Hure. Gutgut. Ich bin eine teure Hure. Eine interessante und vielleicht sogar eine geistreiche Hure. Aber ich bin eine Hure.«
Harald hatte sich ebenfalls im Bett aufgesetzt. Er lachte.
»Einverstanden. Dann liebe ich eben eine Hure. Ich habe das Gefühl, dass ich dich mehr liebe, als ich jemals einen Menschen geliebt habe.«
Chantal zerriss ihr teures