Samantha Prentiss

Unter falscher Flagge


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bestaunen. Wenn ich mich richtig erinnere, trug sie angestrapste Nylons dazu ... Ich wusste gleich, so eine wie die gibt's nicht alle Tage.« Er leckte sich über die Lippen. »Und wie ihr seht, habe ich recht gehabt.«

      Langsam richtete sich Clairé auf – ganz ohne Angst. Allerdings stellte sie sich die Fragen, wie es diesen Kerlen gelungen war in ihre Penthouse-Wohnung zu kommen. Vor allem aber ärgerte sie sich darüber, dass sie sich von den vier Burschen so einfach hatte überrumpeln lassen. Denn selbstverständlich war ihr der Ernst der Situation klar, und dass alles darauf hindeutete, dass sie einiges mit ihr vorhatten. Und damit nicht genug. Sie wusste, dass Kerle in diesem Alter im Allgemeinen noch einen höllischen Respekt vor einem Gefängnis hatten, aber schon alt genug waren, um zu wissen, dass eine tote Zeugin dem ›Metropolitan Police Service‹ keine Personenbeschreibungen mehr liefern konnten. »Was wollt ihr hier? Und wie seid ihr hereingekommen?«

      Der Sprecher grinste spöttisch. »Wir haben gehört, dass du Hure deine Liebhaber wechselst, wie unsereins nicht mal seine Unterwäsche.« Er spuckte selbstbewusst neben sich auf den Boden. »Nun, da haben wir gedacht, schauen wir doch mal ganz unverbindlich herein, ob sich vielleicht was machen lässt. Im Gegensatz zu deinen üblichen Mackern sind wir nämlich noch jung, knackig und unverbraucht!«

      »Üblicherweise klingelt man und wird hereingebeten, ehe man eine Wohnung betritt«, erwiderte Clairé, die Beleidigung schluckend und schüttelte ihre blauschwarzen Locken. »Warum habt ihr die nicht benutzt?«

      »Wir wollten dich halt schonen.« Der Bursche lachte widerwärtig. Es war ein schleimiges Lachen, unangenehm und abstoßend. »Immerhin steht dir noch einiges bevor, ... und da wirst du noch all deine Kondition brauchen!«

      Ohne Vorankündigung schnellte Clairé hoch und verpasste dem aufdringlichen Kerl einen knallharten Schlag mit der Faust – haargenau auf den Solarplexus, in die Tiefe des Oberbauchs zwischen Magen und Hauptschlagader.

      Der Bursche mit dem Pickelgesicht flog drei Schritt zurück, landete auf dem Boden und stierte sie von dort aus wutentbrannt an, indessen seine Kumpels zu überrascht waren, um in irgendeiner Weise zu reagieren. Aber es dauerte nur Sekunden, ehe er sich wieder gefangen hatte. Wie ein geölter Blitz wirbelte er hoch und stürmte auf sie zu.

      Erst im letzten Augenblick federte Clairé zur Seite, worauf der Kerl voll gegen die Brüstung der Terrasse rannte. Nur mit viel Glück fiel er nicht über sie hinweg und hinunter in den Abgrund. Er japste nach Luft.

      Blitzschnell packte Clairé ihn am Kragen und schleuderte ihn seinen Gefährten entgegen.

      Jetzt piepste er in hellem Sopran, bevor er endgültig zusammenbrach.

      Einem der verbliebenen drei, ein langhaariger Typ, kam anscheinend plötzlich zum Bewusstsein, dass ihnen ihr zuvor anvisiertes Objekt der Begierde einen Strich durch ihr lustvolles Vergnügen machen wollte und ging als nächster zum Angriff über. Allerdings musste er sehr schnell die Erfahrung machen, dass Clairés Kenntnisse in Judo und Taekwondo auf dem absolut neuesten Stand waren. Im Bruchteil von Sekunden vollführte er einen höchst unfreiwilligen Kopfstand, der ihm bisher aus eigenem Entschluss noch nie gelungen war.

      Die beiden anderen blieben aber nun ebenfalls nicht untätig. Sie nutzten ihre Chance und überfielen sie von hinten. Der eine hängte sich an ihre Arme, der andere an die Beine, worauf sie eingekeilt war.

      Für Clairé stellte sich jetzt eine entscheidende Frage: Würden die beiden Ohnmächtigen schneller munter, als ihre Kumpels der Versuchung widerstanden, ihren weiblichen Körper in den Armen zu halten, ohne entsprechenden Gebrauch davon machen zu können. Sie wusste, dass ihre Chance gleichzeitig gegen alle vier anzukämpfen ausgesprochen schlecht stand. Allerdings waren ihre Erfolgsaussichten gegen zwei der Milchgesichter zumindest nicht ganz so schlecht.

      Der Bursche, der die Füße hielt, war momentan in der für ihn denkbar schlechtesten Position. Er sah ihre sich unter dem T-Shirt wölbenden Brüste über sich, die leichte Wölbung des Bauches und die schwungvollen Oberschenkel. Das war mehr, als er ertragen konnte, schließlich war er auch ein Mann. Er sank auf die Knie und drückte seinen Kopf an ihren Oberschenkel.

      Gnadenlos knallte Clairé ihm ihr rechtes Kinn gegen die Schläfe, sodass sein Kopf ruckartig zur Seite flog. Dann traf sie ihn auch bereits mit dem Spann ihres Fuß unmittelbar an der Halsschlagader, worauf er zu würgen begann und heftig nach Luft schnappte. Der käsigen Farbe seines eh schon blassen Gesichts ließ sie darauf schließen, dass es ihm recht dreckig ging.

      Nun wurde auch der Letzte aktiv. Er wollte seinen Kumpel rächen und holte mit der linken Faust aus, die ihr Ziel aber nie erreichte.

      Clairé fing sie in der Luft ab und drehte den Spieß um, worauf der junge Bursche einen angehockten Salto rückwärts vollführte, den er nicht stand, weil sie ihm die Füße unter der Taille wegtrat.

      Inzwischen war der Gruppenführer wieder munter geworden und starrte sie an, als sei sie eines der Sieben Weltwunder.

      Ohne zu zögern gab Clairé ihm einen weiteren Handkantenschlag auf die Nase, was diese knacken und bluten ließ und seine Aufmerksamkeit merklich von den begehrenswerten Vorzügen ihres makellosen Körpers ablenkte.

      Er heulte vor Wut und Schmerz laut auf und hätte ihr am liebsten alles heimgezahlt. Doch dafür hätte er sie erst einmal in seine Finger bekommen und in den Bereich ihrer trainierten Arme zurückkehren müssen. Aber dazu konnte er sich nicht entschließen. Stattdessen bevorzugte er den sofortigen Rückzug und lief in einer Geschwindigkeit wie sie seinerzeit Dr. Richard Kimble an den Tag gelegt hatte.

      Gleich darauf folgten ihm auch seine Kumpane. Sie rannten hinter ihm her wie die Katzen hinter der Baldrianflasche.

      *

      Nach der Fluchtaktion der vier Draufgänger war Clairé die Lust am Sonnenbaden vergangen. Sie betrachtete das Türschloss und musste anerkennend feststellen, dass einer der Bursche sein Handwerk verstanden hatte – es war fein säuberlich mit einem Spezialwerkzeug geöffnet worden. Schau an, talentierter Einbrechernachwuchs, dachte sie still und wurde in ihren Gedanken unterbrochen, als sich unvermittelt die Tür des Lifts öffnete.

      Ein alter Mann stand in der Kabine. Er keuchte und starrte sie mit aufgesperrtem Mund und aufgerissenen Augen an.

      In der obersten Etage öffnete sich der Fahrstuhl unmittelbar vor ihrer auf dem Dach gelegenen Wohnung und war normalerweise nur durch ihre Haustür getrennt. Und erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie sich nur mit einem dünnen T-Shirt notdürftig bekleidet hatte und dass er sich ohne Schwierigkeiten ausmalte, welche prachtvollen Formen sich darunter versteckten.

      »Miss Beauvais?«, erkundigte er sich mit trockener Kehle.

      Sie nickte.

      »Ich bin Bote von der Boutique ›Monique‹ und soll Ihnen ein Kleid vorbeibringen«, fügte er hinzu, nachdem er sich wieder ein wenig gefasst hatte.

      »Danke«, erwiderte sie kurz, nahm es entgegen und knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Dann lief sie in den Salon, riss die Schleife auf und wollte das Kleid, das sie sich hatte anfertigen lassen, sofort anprobieren. Aber dazu kam es nicht, denn Leonard Edwards, den sie infolge seiner Leibesfülle heimlich ›Fatso‹ nannte, erinnerte sie per Smartphone daran, dass sie nicht nur auf der Welt war, um ihren sagenhaften Körper ins rechte Licht zu setzen, sondern auch um ihr Gehirn zu gebrauchen – und genau das wurde von ihm im Augenblick gewünscht.

      Edwards war eines Tages auf die Idee verfallen, sie, das Luxus-Callgirl, für den Geheimdienst zu akquirieren, um so eine gute Plattform für wichtige Operationen und vor allem eine ausgezeichnete, gut florierende Informationsquelle aus dem Bett und darüber hinaus zu haben. Dennoch war sie nach wie vor eine freie Mitarbeiterin geblieben. Sie sah in ihm nicht ihren Chef, sondern nur einen weiteren Auftraggeber.

      ***

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      Kapitel 5

      Niemand sah Millicent Morton die innere Hochspannung an, unter der sie stand.