Samantha Prentiss

Unter falscher Flagge


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junger Männer, die ihr unverhohlen den Hof machten, vervollständigten das Image, das ihre Umwelt ihr gegeben hatte.

      Sie schien die Nachmittagsparty zu genießen. Nichts deutete darauf hin, dass ihre Gedanken in Wirklichkeit ganz woanders waren. Nämlich auf dem Flughafen London ›Heathrow‹, wo in diesen Sekunden ein Edelstein-Raub seinen planmäßigen Fortgang nahm, der wie der Eisenbahnraub vom 8. August 1963 in die britische Kriminalgeschichte eingehen würde. Denn schließlich war niemand anders als sie höchstpersönlich die Initiatorin des Plans.

      Endlich war es ihr gelungen, ihre Bewunderer loszuwerden. An der Tür des Salons überzeugte sie sich noch einmal davon, dass ihr auch keiner der anderen Gäste folgte. Die sahen zwar alle aus, als wären sie gerade den Seiten von ›Vogue‹ oder ›Esquire‹ entstiegen, aber schließlich war es auch in den vornehmsten Kreisen nichts Ungewöhnliches, wenn ein junger Mann hinter einer attraktiven Frau herlief.

      Als die Tür zum Büro hinter ihr ins Schloss fiel, atmete Millicent kräftig durch und zündete sich eine Zigarette an. Sie rauchte hastig, mit tiefen, langen Zügen. Die Uhr über dem imitierten Kamin zeigte Viertel nach drei. Wenn alles nach Plan verläuft, muss das Unternehmen jetzt in seine entscheidende Phase treten, ging es ihr durch den Kopf.

      Millicent spürte, wie sich eine innere Unruhe in ihr ausbreitete und von ihrem ganzen Körper Besitz ergriff. Die Zigarette in ihrer Hand begann zu zittern, ihre Zähne schlugen leicht aneinander, als wäre ihr kalt und ihr Magen meldete sich vibrierend.

      Wieder glitt ihr Blick zu der Uhr hinüber. Eine Minute war vergangen. Noch eine Minute, dann muss sich der Fahrer der Transportfirma melden! Gedanken kamen und gingen, ohne dass sie die bewusst gesteuert hätte und ein nagender Zweifel kam in ihr auf. Hoffentlich wird der Ausweis des Fahrers anstandslos akzeptiert. Sie versuchte sich beruhigen, schließlich war er auf Originalpapier und mit echten Stempeln ausgestellt worden. Aber was passiert, falls einem der Kontrollposten einfällt, sich nach dieser neuen Spedition zu erkundigen? Ihr flaues Gefühl in der Magengegend verstärkte sich. Dabei ist der Truck mit seiner knalligen Aufschrift nicht einmal der größte Unsicherheitsfaktor in diesem Millionenspiel.

      Das Smartphone meldete sich.

      Millicent drückte ihre Zigarette aus. »Ja?!«, meldete sie sich. Sie wusste, dass ihre Stimme am anderen Ende der Leitung dunkler tönte. Sie nutzte ein kleines Gerät, dass ihre Stimme veränderte, sodass der Anrufer jederzeit schwören würde, mit einem Mann telefoniert zu haben. Selbst im Fall eines Falles würde gar nicht erst nach einer Frau gefahndet werden.

      »Mir liegt die Meldung vor, dass Sie ein Päckchen aus Brüssel erwarten. Die Maschine ist soeben planmäßig in ›Heathrow‹ gelandet, und ich schätze, dass sie in etwa einer halben Stunde entladen sein wird«, ließ der Anrufer sie wissen. »Wenn Sie eine Zustellung des Päckchens durch einen Kurier wünschten, müssten Sie mir freundlicherweise ihre Adresse durchgeben. Ich werde mich dann entsprechend darum kümmern.«

      »So eilig ist es nicht«, erwiderte sie und bemühte sich entspannt zu wirken. »Im Laufe des Nachmittags werde ich jemanden damit beauftragen, das Päckchen in ihrem Büro in Empfang zu nehmen.«

      »Ganz wie Sie wünschen. Kein Problem«, kam es zurück. »Wenn Sie wieder einmal einen Job zu vergeben haben, würde ich mich freuen, wenn Sie an mich denken.«

      Millicents Hand zitterte, als sie das Smartphone auf den Tisch vor sich legte. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich länger etwas vorzumachen. Sie war übernervös und fast am Ende ihrer Kraft. Zum Glück muss ich vorerst nicht mehr aktiv werden, versuchte sie sich zu beruhigen. Jetzt kommt alles drauf an, dass die Burschen im Cargo-Terminal keinen Fehler machen! Sie fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht und strich ihre Haare zurück. Sie wusste, dass der Überfall an sich noch vergleichsweise einfach war. Sehr viel schwieriger würde es werden, die Herausgabe des Tresorschlüssels und der entsprechenden Kombination, sowie die Duplikatschlüssel für die Handschellen des Begleitpersonals zu erzwingen. Wenn das mit den Schlüsseln nicht klappt, wird der Coup mit Sicherheit misslingen ... und wer weiß, ob die Männer das überleben ...

      ***

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      Kapitel 6

      Die Uhr zeigte drei Uhr einundzwanzig an als sie der Monteur und der junge Mann mit den unnatürlich blauen Augen im Frachtbüro des ›Heathrow Airports‹ angeregt über die aktuellen Spiele der Premier League unterhielten.

      Glenn Cussler wartete darauf, dass er an die Reihe kam. Es war nur noch ein Mann vor ihm. Dann erhielt auch der sein Paket ausgehändigt und ging hinaus.

      Unmittelbar hinter ihm versperrte der junge Mann mit seinem großen Überseekoffer den Eingang und lehnte sich dagegen.

      Kaum war das geschehen, stellte der Monteur seine bauchige Tasche auf den Tresen und klappte sie auf.

      Inzwischen hatte Cussler dem Angestellten des Cargo-Terminals einen Frachtbrief zugeschoben.

      »Dauert einen Augenblick«, erwiderte der Mitarbeiter des Flughafens freundlich und schritt mit dem Brief zu seinem Schreibtisch, weiter hinten im Büro, wo er die Sendungsnummer auf einem Bildschirm abfragte.

      Derweil blickte der junge Mann scheinbar gelangweilt durch eines der Fenster hinüber auf die Rollbahnen. Eine Tür führte auf das Flugfeld hinaus und war nur angelehnt. Sogar der Schlüssel steckte. Außer dem Mitarbeiter, der gerade Cussler bediente, befanden sich nur noch zwei Männer im Raum.

      Ein älterer Herr saß vor einem Bildschirm und glich mit einem jüngeren Kollegen Unterlagen ab, während der zahlreiche Papiere auf seinem Klemmbrett durchsah und von Zeit zu Zeit zustimmend nickte. Der Stuhl vor dem vierten Schreibtisch war zurückgeschoben, so als hätte dort zuvor noch jemand gesessen.

      Der Blick des jungen Mannes glitt zu einer Tür aus Milchglas hinüber. Der dunkle Schatten einer Frauengestalt schimmerte verschwommen durch die Scheibe.

      Mit der linken Hand griff Glenn Cussler flink über den Tresen und löste für die Angestellten unbemerkt die Verriegelung zum Büroraum. Unauffällig nickte er den beiden anderen zu. Ein fast ebenso unmerkliches Zeichen mit den Augen bestätigte ihm, dass auch seine Komplizen bereit waren.

      *

      Drei Minuten später kam der Cargo-Mitarbeiter mit leichtem Kopfschütteln wieder zurück. »Die Sendung ist leider noch nicht eingetroffen. Der Kapitän gab eine Störung der Maschine an, die noch nicht näher überprüft werden konnte und sich Techniker ansehen müssen. Hinzu kam eine Wetterfront. Infolge des Defekts wurde zunächst Edinburgh angeflogen. Die Lieferung verzögert sich bis morgen früh.

      Der Mann lächelte freundlich. Ein Lächeln, das sich schlagartig in eine erschreckte, verängstigte Grimasse verzerrte, als er zwei Selbstladepistolen auf sich gerichtet sah.

      Dann überschlugen sich die Ereignisse.

      Der Überseekoffer klappte auseinander, und ein vierter Mann tauchte auf. Dieser Mann trug die Uniform der Flughafenangestellten, und er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit einer Katze. Noch bevor Cussler in den Büroraum eindringen konnte, hatte der Mann aus dem Koffer den Tresen übersprungen. Er verriegelte die Tür zum Flughafengelände und hielt die völlig überraschten Angestellten an den Schreibtischen in Schach.

      »Was - was soll denn das?«, stotterte der eine fassungslos. Er war so überrascht, dass er noch nicht einmal Angst empfand, sondern nur grenzenlose Verwunderung.

      Mit vier großen Sprüngen durchquerte der braungebrannte Mann den Büroraum und riss die Tür mit der Milchglasscheibe auf. Eine junge Frau fuhr erschrocken herum. Der Kaffeebecher, den sie in der Hand hielt, fiel zu Boden. Sie wollte schreien, aber der Fremde war schneller.

      Brutal presste er ihr den Mund zu. »Wenn du schreist, kann ich für nichts garantieren«, zischte er, und in seinen Augen blitzte es gefährlich auf.

      Die Frau schluckte und kämpfte gegen die Tränen, die ihr in die Augen stiegen.