Würde der Markt einige dieser Produkte oder Gebiete nicht enthalten, dann würde eine Preiserhöhung Konsumenten dazu veranlassen, auf diese Produkte oder Gebiete auszuweichen und die versuchte Ausübung von Marktmacht wäre vereitelt. Diese Überlegung wurde zum hypothetischen Monopolistentest weiterentwickelt, wie er heute in zahlreichen Jurisdiktionen für Fragen der Marktabgrenzung als konzeptioneller Rahmen verwendet wird.59
Dieser Test stellt die Frage, ob ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist, d.h. ein Unternehmen, das der einzige Anbieter eines Produktes ist, den Preis für dieses Produkt anheben würde.60 Wenn das der Fall wäre, dann würde dieser hypothetische Monopolist über Marktmacht verfügen und die Marktanteile der Unternehmen in diesem Markt würden einen, wenn auch nur unvollkommenen, Rückschluss auf ihre jeweilige Marktmacht erlauben. Würde die Anhebung des Preises durch den hypothetischen Monopolisten jedoch zu keiner Erhöhung des Gewinns führen, dann sind der Marktmacht des hypothetischen Monopolisten offensichtlich Schranken gesetzt. Diese Schranken können entweder durch Ausweichreaktionen der Konsumenten oder durch Angebotsreaktionen anderer Unternehmen gebildet werden. In diesem Fall würden die Marktanteile der Unternehmen in diesem Markt kein brauchbares Indiz für Marktmacht liefern. Aber nicht jedes Maß an Marktmacht ist aus ökonomischer Sicht problematisch. Erst wenn diese eine gewisse Grenze überschreitet, kann sie zum Problem werden. Es stellt sich daher die Frage, welches Maß an Marktmacht, d.h. welche Preiserhöhung und welcher Zeitraum hierfür in Betracht kommen.61 Eine sehr starke Preiserhöhung, die jedoch nur für einen Zeitraum von wenigen Wochen wirksam ist, bevor die Konsumenten auf andere Güter ausweichen oder andere Anbieter in den Markt eintreten, ist vermutlich weniger problematisch als eine moderate Preiserhöhung, die jedoch für einen Zeitraum von mehreren Jahren bestehen bleibt.62 Hier ist eine normative Entscheidung darüber zu fällen, welches Ausmaß der Preiserhöhung und welcher Zeitraum ihrer Dauer noch akzeptiert werden können, bevor wettbewerbspolitische Konsequenzen zu ziehen sind. Im Allgemeinen wird eine Grenze bei einer Preiserhöhung von 5–10 % für die Dauer ungefähr eines Jahres gezogen. Wird diese Grenze überschritten, dann entsteht Marktmacht, die nicht mehr toleriert werden kann.63 In diesem Fall ist der relevante Markt so abgegrenzt, dass die Marktanteile der Unternehmen als Indiz für ihre Marktmacht gelten können. So kann für die Abgrenzung des relevanten Marktes die folgende Bedingung formuliert werden: Ein relevanter Markt umfasst die Produkte und Gebiete, für die ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist den Preis nicht nur vorübergehend um einen kleinen, aber signifikanten Betrag erhöhen wird. Dabei wird unterstellt, dass die Preise und sonstigen Verkaufsbedingungen aller anderen Güter unverändert bleiben. Es wird davon ausgegangen, dass ein gewinnmaximierendes Unternehmen den Preis um mindestens 5–10 % anheben würde. Bisweilen wird auch die Formulierung verwendet, dass eine Preiserhöhung um 5–10 % profitabel sei. Der Unterschied besteht darin, dass eine Preiserhöhung um 5 % zwar noch profitabel sein könnte, aber ein gewinnmaximierendes Unternehmen den Preis nur um z.B. 3 % anheben würde. Aus ökonomischer Sicht ist der erste Test vorzuziehen, da er auf das abstellt, was das Unternehmen tun wird.64 „Nicht nur vorübergehend“ bedeutet dabei für mindestens ein Jahr und „klein aber signifikant“ heißt im Bereich von 5–10 %. Dabei sind bei verschiedenen Konstellationen Abweichungen von diesen Grenzen möglich; sie sollten nicht absolut gesehen werden, manchmal sind geringere oder höhere Grenzen sinnvoll.65 Weiterhin ist zu beachten, dass diese Grenzen nur etwas über den relevanten Markt aussagen, sie sollten daher nicht automatisch mit einer Toleranzgrenze für Preiserhöhungen nach einer Fusion gleichgesetzt werden.66 Im Englischen wird dieses Konzept der Marktabgrenzung auch als SSNIP-Test (Small but Significant Non-transitory Increase in Price) bezeichnet.67 Ein weiterer Punkt, der in diesem Zusammenhang anzusprechen ist, ist die Beschränkung des SSNIP-Tests auf die Preisdimension.68 Im Prinzip lässt sich das konzeptionelle Vorgehen bei der Marktabgrenzung in analoger Weise auch auf Änderungen anderer Wettbewerbsparameter übertragen. In vielen Fällen kann die Beschränkung auf die Preisdimension jedoch als Approximation einer kleinen Änderung in einem anderen Wettbewerbsparameter als dem Preis aufgefasst werden, z.B. einer Verringerung der Qualität, die die Produkte für einen Nachfrager weniger attraktiv macht.69
Konzeptionell wird bei Fusionskontrollverfahren wie folgt vorgegangen: Es wird mit einem Kandidatenmarkt begonnen, der nur die Produkte der fusionierenden Unternehmen enthält, und es wird untersucht, ob das Unternehmen nach dem Zusammenschluss bei gewinnmaximierendem Verhalten eine kleine, aber signifikante Preiserhöhung durchführen wird.70 Die Preiserhöhung muss nicht die gleiche für alle Produkte im Kandidatenmarkt sein. Wenn sich die Gewinnmargen der Produkte erheblich unterscheiden, dann könnten auch produktspezifische Preiserhöhungen unterstellt werden. In einer symmetrischen Situation mit ähnlichen Gewinnmargen und vergleichbarer Nachfrage ist eine einheitliche Preiserhöhung jedoch eine sinnvolle Annahme. Weiterhin wird angenommen, dass Unternehmen, die nicht im Kandidatenmarkt sind, nicht auf diese Preisänderung reagieren. Wenn also ein hypothetischer, gewinnmaximierender Monopolist eine solche Preiserhöhung durchführen würde, dann ist der relevante Markt abgegrenzt. Die Marktanteile können ermittelt und, unter Berücksichtigung der Wettbewerbsbedingungen auf dem so abgegrenzten Markt, interpretiert werden. Kann jedoch das fusionierte Unternehmen bei gewinnmaximierendem Verhalten keine derartige Preiserhöhung durchsetzen, dann ist der Markt zu klein für einen Antitrustmarkt, dem hypothetischen Monopolisten sind durch den Wettbewerb, d.h. durch Ausweichreaktionen der Nachfrager bzw. Reaktionen anderer Anbieter, Grenzen gesetzt. Eine Variante des hypothetischen Monopolistentests geht nicht von einer Preiserhöhung bei gewinnmaximierendem Verhalten aus, sondern fragt, ob eine Preiserhöhung von z.B. 5 % für den hypothetischen Monopolisten profitabel wäre. Dies kann zu unterschiedlichen relevanten Märkten führen, wenn z.B. ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist den Preis nur um 3 % erhöhen würde, eine Preiserhöhung um 5 % aber noch profitabel wäre.
An dieser Stelle kann zwischen der sachlichen und der räumlichen Marktabgrenzung unterschieden werden. Im Rahmen der sachlichen Marktabgrenzung müssen dem Kandidatenmarkt weitere Produkte hinzugefügt werden, während ihm bei der räumlichen Marktabgrenzung weitere Gebiete hinzugefügt werden.71 Dann wird der Test wiederholt, solange bis ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist eine solche Preiserhöhung durchführen würde.72 Der relevante Markt ist also der kleinste sachliche und räumliche Markt, für den diese Bedingung erfüllt ist. Nur wenn man den relevanten Markt auf diese Weise abgrenzt, hat man die zentralen wettbewerblichen Schranken erfasst, die der Ausübung von Marktmacht gesetzt sind, und nur dann können die Marktanteile der Unternehmen ein brauchbares Indiz für Marktmacht sein.73 Entscheidend für die Frage, ob ein hypothetischer Monopolist eine kleine aber signifikante Preiserhöhung durchführen wird, sind die Reaktionen der Nachfrager und der Anbieter. Beide werden im Weiteren näher betrachtet.
c) Einzelaspekte der Marktabgrenzung
Im Folgenden werden die wesentlichen Aspekte behandelt, die bei Abgrenzung des relevanten Marktes zu berücksichtigen sind. Bei der Gedankenführung wird aus den zuvor genannten Gründen (oben S. 89–93) jeweils vom Konzept des hypothetischen Monopolistentests ausgegangen.
α) Nachfragesubstitution
Sämtliche Ausweichreaktionen der Nachfrager bei einer Preiserhöhung werden, wie auf den Seiten 67–70 bereits beschrieben, durch die Preiselastizität der Nachfragefunktion erfasst.74 Ist diese Preiselastizität gering, dann würde eine kleine, aber signifikante Preiserhöhung nur zu einem geringen Rückgang in der Nachfrage führen und der hypothetische Monopolist könnte hierdurch einen höheren Gewinn erzielen. Dies ist immer dann der Fall, wenn den Konsumenten keine ausreichenden Substitutionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.75 Reagiert die Nachfrage hingegen sehr preiselastisch, dann führt eine Preiserhöhung zu keiner Erhöhung des Gewinns, da bereits eine kleine Anhebung des Preises einen großen Nachfragerückgang induziert.76 In diesem Fall stehen den Nachfragern hinreichend sachliche und räumliche Substitute zur Verfügung, auf die sie bei einer Preiserhöhung ausweichen würden.77 Wenn sich nun herausstellt, dass sich der hypothetische Monopolist einer sehr preiselastischen Nachfrage gegenübersieht, dann müsste der relevante Markt durch Einbeziehung weiterer Güter und Gebiete erweitert werden. Dabei sollten zuerst die in sachlicher und räumlicher Hinsicht engsten Substitute der betrachteten Güter und Gebiete berücksichtigt werden, da vor