Peter Becker

Vom Stromkartell zur Energiewende


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eine andere Grundsatzfrage der Energieversorgung aufgriff, war der Demarkationsvertrag zwischen den Gasversorgern Ruhrgas und Thyssengas. Diese hatten am 27.9.1927 einen „Gemeinschaftsarbeitsvertrag“ geschlossen, mit dem sie sich die Versorgung von Köln, Düsseldorf, Duisburg und Oberhausen mit Gas aufgeteilt hatten. Der Vertrag sollte am 19.1.1993 erneuert werden. Die Anmeldung wurde vom Amt untersagt. Rechtsgrundlage war wiederum Art. 85 Abs. 1 EGV in Verbindung mit Vorschriften des deutschen Kartellrechts. Diese Abmahnung betraf mit der Ruhrgas das führende deutsche Gas importierende und vertreibende Handelsunternehmen: Es war mit ca. 83 % an der gesamten Gasabgabe in der Bundesrepublik Deutschland beteiligt. Thyssengas war mit einem Anteil von 10 % dabei. Insgesamt betraf also diese Gebietsaufteilung deutlich über 90 % des deutschen Gasabsatzes, wäre sie wirksam geworden. Aber das Amt scheiterte beim Berliner Kammergericht: Das Gericht beanstandete die Verfügung mit der an den Haaren herbeigezogenen Begründung, das Amt habe die Bundesländer nicht angehört. Diesen Mangel heilte das Amt mit einer neuen Entscheidung. Diesen Fall legte das Kammergericht nunmehr dem EuGH vor.80 Aber nunmehr war der Gesetzgeber schneller: Mit dem Gesetzespaket zur Liberalisierung des Energierechts von 1998 wurde § 103, der den Gebietsschutz zuließ, aufgehoben. Man sieht: Auch einer energischen Wettbewerbsbehörde wird von den Konzernen, denen Gerichte häufig sekundieren, der Erfolg schwergemacht. Außerdem lieferten die Auseinandersetzungen zwischen Wirtschaft und Staat die Argumente für die Ebene, auf der die Weichen gestellt wurden, der europäischen Gesetzgebung.

       2. Vorspiel II auf der Brüsseler Bühne

      Der erste Entwurf der Elektrizitäts-Richtlinie verzichtete daher von vornherein auf einen Netzzugangsanspruch, dessen Durchsetzung vom Staat überwacht, also reguliert wurde. Stattdessen gab es zwei Modelle zur freien Wahl der Mitgliedstaaten:

       – Zum einen den verhandelten Netzzugang, nach dem sich die Vertragspartner auf die Modalitäten des Netzzugangs und insbesondere die Kostenerstattung für die Netznutzung verständigen müssten;

       – zum anderen den Netzzugang auf Alleinabnehmerbasis, nach dem der Kunde seine Energie zwar frei einkaufen konnte, diese aber dem Netzbetreiber als „Alleinabnehmer“ überlassen musste, damit dieser sie zum Kunden transportierte.

      Beide Modelle gaben dem Netzbetreiber eine starke Position, die absehbar vor allem eins bewirkte: Viel Phantasie bei der Erfindung von echten oder vermeintlichen Hindernissen für den Netzzugang. Beim Alleinabnehmersystem kam zusätzlich hinzu, dass der Netzbetreiber den Kunden als weiterer Vertragspartner für die Lieferung erhalten blieb, was die Bereitschaft zum autonomen Teilnehmen am Markt nicht gerade stärkte.

      Außerdem erfand der Richtliniengeber eine weitere Beschränkung des Netzzugangs, die Rechtsfigur des „zugelassenen Kunden“. Am Markt einkaufen konnten danach nur Kunden mit einem Bedarf ab 100 Mio. Kilowattstunden (Gigawattstunde (GWh)); außerdem sollten Verteilerunternehmen – und damit alle von ihnen versorgten Kunden wie kleinere Gewerbeunternehmen und Haushaltskunden – von vornherein vom Wettbewerb ausgeschlossen bleiben.

       3. Die Umsetzung in Deutschland