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Strafrecht Besonderer Teil


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StGB auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann.[219] Die Tathandlung des § 221 Abs. 1 Var. 1 StGB besteht darin, dass der Täter einen anderen Menschen in eine hilflose Lage versetzt.

      135In einer hilflosen Lage befindet sich, »wer der abstrakten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung ohne die Möglichkeit eigener oder fremder Hilfe ausgesetzt ist […]. Hilflosigkeit im Sinne des Tatbestandes definiert sich danach als das Fehlen hypothetisch rettungsgeeigneter sächlicher Faktoren oder hilfsfähiger (und generell auch hilfsbereiter) Personen«[220]. Entscheidend ist, dass sich das Opfer in einer Situation befindet, in der es sich nicht selbst oder mit der Hilfe schutzbereiter Dritter vor Gefahren für Leib und Gesundheit zu schützen vermag.[221] Abzustellen ist jeweils auf die konkreten Umstände des Einzelfalls, wobei sich die Hilflosigkeit insbesondere aus den örtlichen Gegebenheiten, aber auch aus der persönlichen Konstitution des Tatopfers ergeben kann. Zutreffend bejahte der BGH daher die Hilflosigkeit in einem Fall, in dem zwei Streifenpolizisten einen erheblich alkoholisierten Heranwachsenden, den sie zuvor wegen einer Ruhestörung aufgegriffen hatten, nachts und bei einer Außentemperatur von 4 Grad Celsius in 8 km Entfernung zur nächsten Ortschaft aus dem Streifenwagen aussteigen ließen und davon fuhren.[222] Die Hilflosigkeit des Heranwachsenden ergab sich hier daraus, dass er sich in einer Situation befand, die jederzeit in eine konkrete Gefahrenlage umschlagen konnte,[223] und dass er selbst wegen seiner Alkoholisierung nicht in der Lage war, die Gefahr abzuwehren, während zugleich wegen der örtlichen |64|und zeitlichen Umstände mit einem Eintreffen schutzbereiter Dritter nicht zu rechnen war. Dass der Heranwachsende ein funktionstüchtiges Mobiltelefon bei sich trug, änderte nach Einschätzung des BGH nichts am Vorliegen einer hilflosen Lage, da es ihm nicht gelungen war, jemanden anzurufen und er im Übrigen gar nicht wusste, wo er sich befand.[224] In einer hilflosen Lage befinden sich typischerweise auch Kleinstkinder und Schwerverletzte, die sich an entlegenen oder ansonsten von anderen Menschen nicht frequentierten Orten aufhalten. Keine hilflose Lage besteht demgegenüber bei nur kurzfristigen Augenblicksgefahren oder in Fallkonstellationen, in denen jemand nur nicht erkennt, dass er sich in einer gefährlichen Situation befindet, er im Fall ihrer Realisierung aber ohne Weiteres in der Lage wäre, der Gefahr selbst zu entgehen.[225]

      136Der Täter muss das Opfer in die hilflose Lage versetzt haben. Das Versetzen erfasst sämtliche dem Täter zurechenbaren Zustandsveränderungen, durch die dieser die hilflose Lage herbeiführt.[226] Typischerweise geschieht dies dadurch, dass der Täter die kritische Situation selbst unmittelbar verursacht, das Opfer also beispielsweise an einen abgelegenen Ort verbringt, es einsperrt, betäubt oder ihm eine derart große Menge Alkohol verabreicht, dass es nicht mehr in der Lage ist, sich eigenverantwortlich zu verhalten.[227] Daneben erfüllt aber auch derjenige die Voraussetzungen der 1. Tatbestandsvariante, der das bereits hilflose Opfer in eine andere hilflose Lage versetzt oder diese dadurch herbeiführt, dass er hilfsbereite Dritte dazu veranlasst, das Tatopfer alleine zu lassen.[228] Nicht erforderlich ist, dass der Täter die hilflose Lage durch eine Ortveränderung bewirkt.[229] So kann ein Versetzen in eine hilflose Lage auch darin liegen, dass der Täter dem Tatopfer überlebenswichtige Ressourcen (d.h. insbesondere Nahrung) oder zur Kontaktaufnahme hilfsbereiter Dritter geeignete Gegenstände (bspw. Mobiltelefone) wegnimmt und hierdurch eine spezifische Gefahrensituation begründet.

      bb) Im Stich Lassen in hilfloser Lage trotz Obhutspflicht

      137Die 2. Tatbestandsvariante des § 221 Abs. 1 StGB unterscheidet sich vorrangig dadurch von der. 1. Variante, dass sie ein echtes Unterlassungsdelikt normiert, auf das die in § 13 Abs. 2 StGB vorgesehene Milderungsmöglichkeit keine Anwendung findet.[230] Auch bei der 2. Variante muss sich das Tatopfer in einer hilflosen Lage befinden, wobei die vorherigen Ausführungen entsprechend gelten. Im Unterschied zur 1. Tatbestandsvariante wirkt der Täter jedoch nicht aktiv an deren Entstehung mit, sondern lässt das Tatopfer in der hilflosen |65|Lage im Stich, obwohl er dazu verpflichtet wäre, diesem beizustehen. Besteht Anlass, die Verwirklichung von § 221 Abs. 1 Var. 2 StGB zu prüfen, ist daher im Anschluss an die Feststellung, dass sich das Tatopfer in einer hilflosen Lage befand, der Frage nachzugehen, ob der Täter eine besondere Obhutspflicht für das Tatopfer inne hatte und (bejahendenfalls), ob er sich dieser dadurch entzogen hat, dass er das Tatopfer im Stich ließ.

      138Während der Täterkreis bei der 1. Tatbestandsvariante nicht auf bestimmte Personen beschränkt ist, kann die 2. Variante von vornherein nur von demjenigen verwirklicht werden, der eine auf den Schutz des Lebens und der Gesundheit des Opfers gerichtete Garantenstellung innehat. Trotz des insoweit nicht identischen Wortlauts der Vorschriften ist das Vorliegen der Garantenstellung bei § 221 Abs. 1 Var. 2 StGB nach den zu § 13 Abs. 1 StGB entwickelten Grundsätzen zu ermitteln. Als Täter kommen daher insbesondere Ehegatten, Lebenspartner und Familienangehörige in Betracht, daneben aber auch solche Personen, die einverständlich eine Schutzfunktion übernommen (bspw. Babysitter), oder aufgrund ihres pflichtwidrigen Vorverhaltens eine Ingerenzgarantenstellung innehaben. Im Übrigen ist an dieser Stelle auf die Darstellungen zur Existenz und Reichweite von Garantenstellungen zu verweisen.[231]

      139Der Täter muss das Tatopfer entgegen der ihn treffenden Obhutspflicht im Stich gelassen haben. Hierunter sind sämtliche Verhaltensweisen zu subsumieren, durch die der Täter sich seiner Beistandspflicht entzieht, also die zur Abwendung der Gefahr gebotene Hilfeleistung nicht erbringt.[232] Typischerweise erfolgt dies dadurch, dass der Täter das Opfer in der hilflosen Lage zurücklässt, erforderlich ist ein entsprechendes Verlassen des Tatorts indes nicht. Vielmehr kann ein »Im-Stich-Lassen« auch dann anzunehmen sein, wenn der Täter zwar am Ort des Geschehens verweilt, aber die Vornahme der gebotenen Rettungsmaßnahme verweigert. Auch insoweit unterscheidet sich die Prüfung des § 221 Abs. 1 Var. 2 StGB nicht grundlegend von den zu § 13 Abs. 1 StGB entwickelten Grundsätzen.

      b) Erfolgseintritt und Risikozusammenhang

      140Durch die jeweilige Tathandlung muss das Tatopfer in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung versetzt worden sein. Schwere Gesundheitsschädigungen sind in diesem Zusammenhang zunächst die in § 226 StGB umschriebenen Folgen, darüber hinaus aber auch das Verfallen in eine ernste, langwierige Krankheit sowie der Verlust bzw. die erhebliche Beeinträchtigung der Arbeitskraft.[233] Von einer hinreichend konkreten Gefahr i.S.d. Tatbestandes ist dann auszugehen, wenn es für das Tatopfer nur noch vom nicht mehr beherrschbaren Zufall abhängt, ob es stirbt bzw. an seiner Gesundheit |66|schwer geschädigt wird.[234] Insoweit gelten die Ausführungen in Rn. 531 zu den Anforderungen an die konkrete Gefahr bei § 306a Abs. 2 StGB entsprechend. Der Gefahreintritt muss ursächlich auf die hilflose Lage zurückzuführen sein. Darüber hinaus muss ein Risikozusammenhang dergestalt bestehen, dass sich im konkreten Gefahrerfolg gerade das vom Täter begründete Risiko realisiert, wofür es allerdings ausreicht, wenn eine bestehende Gefahr durch ihn weiter verstärkt wird.[235]

      c) Qualifikationen und Erfolgsqualifikation

      141Den in § 221 Abs. 2 Nr. 1 StGB enthaltenen Qualifikationstatbestand erfüllt, wer die Tat gegen sein Kind oder eine Person begeht, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, also eine spezifische Garantenpflicht verletzt. § 221 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 StGB enthalten zwei Erfolgsqualifikationen, die voraussetzen, dass sich entweder die Gefahr der schweren Gesundheitsbeschädigung realisiert oder der Täter den Tod des Opfers verursacht. Hinsichtlich der Erfolgsqualifikationen gilt § 18 StGB, so dass der Täter im Hinblick auf die schwere Folge zwar nicht vorsätzlich, aber zumindest fahrlässig handeln muss.

      d) Konkurrenzen

      142Die Aussetzung wird von vorsätzlichen Tötungsdelikten verdrängt, sind diese nur versucht, gilt aus Klarstellungsgründen Tateinheit. Ebenfalls in Tateinheit steht die Aussetzung grundsätzlich mit Körperverletzungsdelikten, allerdings tritt die fahrlässige Körperverletzung (ebenso wie die fahrlässige Tötung) hinter § 221 Abs. 2 Nr. 2 bzw. Abs. 3 StGB zurück. § 323c StGB wird von § 221 StGB im Wege der Spezialität verdrängt. Innerhalb des § 221 StGB wird die Erfolgsqualifikation nach § 221 Abs. 2 Nr. 2 StGB von derjenigen in § 221 Abs. 3 StGB verdrängt.[236]